Wer ist der Gute, wer der Böse?

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Instinktiv spüren wir, dass sich sogar unsere 'freie Welt' im Glauben, das Richtige zu tun, oft auf dem Weg des Verrats eigener Prinzipien, ja, der Selbstzerstörung befindet.

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Instinktiv spüren wir, dass sich sogar unsere 'freie Welt' im Glauben, das Richtige zu tun, oft auf dem Weg des Verrats eigener Prinzipien, ja, der Selbstzerstörung befindet.

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Immer wieder höre ich die gleiche Frage, wenn ich in Schulen von meinen Begegnungen mit den Großen der Weltpolitik erzähle: "War dieser König (Präsident, Revolutionsführer ) ein Guter oder ein Böser?" Zumeist flüchte ich dann in die Antwort, dass in jedem von uns das eine wie das andere angelegt ist. Dass auch beides zugleich möglich ist. Dass aber "Macht" jeglicher Art selten dazu beiträgt, das Gute in uns Menschen zu fördern.

Kürzlich fand ein Gymnasiast einen noch heikleren Zugang: Wie ich überhaupt mit Mächtigen reden konnte, die Todesurteile vollstreckt, Gegner eingesperrt und Menschen in Massen aus ihrer Heimat verjagt hätten? Ja, sagte ich ihm zögernd, auch das gehöre zum Journalismus: mit jedermann reden zu können - und zugleich darauf zu achten, dass persönliche Nähe nie zur Einseitigkeit führe.

Warum ich das erzähle? Weil ich meine Kollegen nicht beneide, die heute von den Krisenschauplätzen der Welt berichten müssen; auf der Suche nach Tätern, Opfern - und nach Lichtgestalten im Dunkel. Die eine Zeit analysieren müssen, die noch weit weniger politisch und moralisch begreifbar ist, als "meine Zeit" damals. Wir durchleben eine Zeit des chaotischen Wandels, in der alle Erklärungsversuche rasch an Grenzen stoßen.

Das gilt zunächst für jene höchste Konfliktebene, die einst mit den Begriffen "Ost" und "West" umschrieben wurde und für die wir noch immer keine neue Begrifflichkeit gefunden haben. Instinktiv spüren wir, dass sich sogar unsere "freie Welt" im Glauben, das Richtige zu tun, oft auf dem Weg des Verrats eigener Prinzipien, ja, der Selbstzerstörung befindet.

"Policy is about interests"

Noch heikler wird die Aufgabe im Krisenzentrum Nahost: Wo sind - im Kampf gegen die Abscheulichkeiten des IS - die "Guten", wo die "Bösen"? Wohin gehört der Iran, dessen Stern jetzt wieder steigt? Wohin gehören all unsere Verbündeten: der Irak? Die Saudis? Das Ägypten as-Sisis? Das Israel Netanjahus? Wer verdient unseren Beistand im zerstörten Syrien, in Libyen, in der Türkei? Was ist mit Kurden, Huthis, der Hisbollah, den Muslimbrüdern?

Und Europa: Wohin rückt unser Kontinent, von dem sich die Welt gerade jetzt einen starken Friedensbeitrag erhofft? Wie belastbar sind unsere Fundamente der Gerechtigkeit und Solidarität mit Millionen Verzweifelten?"Wir müssten liefern, wovon wir fast nichts haben", hat kürzlich ein Soziologe gesagt.

Und das kleine, gute Österreich? Auch da ist gerade zuletzt enorm viel politisch gelogen, das eben erst gesprochene Wort verdreht und der eigene Machterhalt über alle Grundsätze und Versprechungen hinweg gehoben worden.

Amerikas alter Polithaudegen Henry Kissinger hat es einmal auf den Punkt gebracht: "Policy is about interests"(Interessen bestimmen die Politik). Wenn er recht hat: Darf man das den jungen Leuten sagen, die sosehr an das Gute glauben möchten?

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