Wer wird der "Herr" des Vorverfahrens?

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Nicht der so genannte "Journalistenknebel" ist der heikelste Punkt der Strafprozessnovelle.

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Nicht der so genannte "Journalistenknebel" ist der heikelste Punkt der Strafprozessnovelle.

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Vor einigen Jahren schrieb ein Betrachter der österreichischen Innenpolitik, die Intensität politischer Auseinandersetzungen stehe in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zur Bedeutung der jeweiligen Angelegenheit: Am leidenschaftlichsten werde über Nebensächlichkeiten diskutiert, während wichtige Angelegenheiten niemanden aufregen. Die jüngst entflammte Debatte um einen Paragraphen der geplanten neuen Strafprozessordnung scheint dies zu bestätigen: Der mittlerweile als "Journalistenknebel" berüchtigte §56 wird pathetisch als Hebel zur Abschaffung des Rechtsstaates und der Demokratie bezeichnet. Dabei drängt sich der Verdacht auf, dass mancher Kommentator den Text nicht gelesen hat. Das allein ist schlimm genug; noch viel schlimmer ist, dass in dieser Aufgeregtheit die grundsätzlichen Fragen der Reform des Strafprozessrechtes gänzlich unbeleuchtet bleiben.

Die österreichische Strafprozessordnung (StPO) stammt in ihrem Kern aus dem Jahre 1873; vor allem in den letzten Jahrzehnten hat sich gezeigt, dass dieses Regelwerk den Ansprüchen, die man heute an ein derartiges Gesetz stellen muss, nicht gerecht wird. Schlimmer noch: Seit mehr als 40 Jahren wird Österreich vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte regelmäßig verurteilt, weil Bestimmungen der StPO den Anforderungen der Menschenrechtskonvention nicht genügen. Zahlreiche Novellen (mehr als zehn) erzeugten ein wahrlich barockes Flickwerk. Dies betrifft vor allem das Vorverfahren, in dem Sicherheitsbehörden, Staatsanwälte und Untersuchungsrichter in einem kaum nachvollziehbaren Durcheinander tätig zu werden haben. Nach dem Gesetz ist der Untersuchungsrichter die zentrale Instanz (er ist "Herr" des Vorverfahrens), nach der Praxis sind es die Sicherheitsbehörden. Strafrechtspraktiker berichten, dass der Ausgang eines Strafverfahrens wesentlich von der Arbeit der Sicherheitsbehörden abhängt, dass es später kaum gelingt, deren Ermittlungsergebnisse zu widerlegen. Dazu muss man wissen, dass die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden in diesem Bereich weithin ungeregelt ist.

Die neue StPO soll hier Klarheit schaffen: Der Staatsanwalt soll zentrale Schaltstelle des Ermittlungsverfahrens werden. Er soll in Kooperation mit den Sicherheitsbehörden, deren Tätigkeit nun eingehend geregelt wird, die Ermittlungen führen und verantworten. Das Gericht soll auf Rechtsschutzaufgaben beschränkt werden. Insgesamt kann man sagen, dass es (jedenfalls auf dem Papier) zu einer Machtverschiebung vom unabhängigen Richter zum weisungsgebundenen Staatsanwalt und den weisungsgebundenen Sicherheitsbehörden kommt.

Auch wenn dieser "Machtverlust" des Richters in der Praxis nicht groß erscheint, liegen grundsätzliche Fragen auf dem Tisch: Sind die Regeln des Ermittlungsverfahrens ausreichend? Dienen sie einer effizienten Strafverfolgung und wahren sie ausreichend die Rechte der Beschuldigten? Natürlich stellt sich auch die Frage, ob die Staatsanwaltschaften in ihrer Unterordnung unter ein politisches Organ (Justizminister) geeignet sind, ein objektives Ermittlungsverfahren zu gewährleisten? Ob sie geeignet sind, jeden Anschein der Befangenheit zu vermeiden? Ist Gewähr gegeben, dass ein ausreichender Verdacht wirklich (und in jedem Fall!) effizient verfolgt und, so er sich erhärtet, zur Anklage führt? Dass auch jeder Anschein, es könnte anders sein, vermieden wird?

Der Umstand, dass Staatsanwälte nicht nur weisungsgebunden sondern auch sonst in vielfältiger Weise vom Justizminister abhängig sind, lässt hier Sorge angebracht erscheinen. Die Stellung der Staatsanwaltschaft ist dringend zu überdenken. Sie muss aus dem Einfluss der Parteipolitik herausgehalten werden. Das (und nicht der §56) sind die brennenden Fragen, über die zu diskutieren wäre. Aber möglichst bald und bevor das Gesetz beschlossen ist. Dass diese Diskussion Sachverstand und Augenmaß verlangt ist selbstverständlich.

Der Autor ist Professor am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der Uni Wien.

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