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Das BORG in der Wiener Hegelgasse ist ein Pionier in Sachen Ethikunterricht: Schüler haben seit 14 Jahren die Wahl zwischen Religion und Ethik. Als Konkurrenten gelten die beiden Fächer nicht.

War die Tötung von Osama bin Laden gerechtfertigt? - Als Michael Jahn, Ethiklehrer und Direktor des BORG in der Wiener Hegelgasse, diese Frage in den Raum der fünften Klasse stellt, schnellen gleich einmal drei Hände in die Höhe. "Es war schon in Ordnung, aber ich find es makaber, wie die Amerikaner das feiern“, sagt ein Schüler aus der letzten Reihe. "Man hätte ihn einfach einsperren sollen“, ist die Meinung einer anderen Schülerin. "Wenn jemand tot ist, soll man ihn in Ruhe lassen und nicht so durch die Medien reichen“, sagt eine Dritte.

Im Klassenzimmer in der Hegelgasse diskutieren 13 Jugendliche. Während der Rest der Klasse Religion hat, besuchen sie das alternative Pflichtfach KER, also "Kultur, Ethik, Religionen“. Ab der neunten Schulstufe können die Schüler zwischen KER und Religion wählen, so sieht es der Schulversuch vor. Die Möglichkeit, sich einfach vom Religionsunterricht abzumelden und eine zusätzliche Freistunde zu genießen, gibt es hier nicht mehr. Mehr als 200 BHS und AHS in Österreich führen derzeit ähnliche Schulversuche zum Ethikunterricht durch. Das BORG in der Hegelgasse hat diesbezüglich aber einen Sonderstatus: Schon vor 14 Jahren startete dort der Schulversuch. Damit ist die Schule eine der Gründerschulen des Ethikunterrichts und zählt zu den Pionieren auf dem Gebiet.

Religionsunterricht ohne Konfessionsbrille

Für Direktor Jahn ist es eine Kernaufgabe des Ethikunterrichts, aktuelle Themen wie die Tötung Osama bin Ladens zu diskutieren. "Die Schüler sollen lernen, ihre Meinung zu artikulieren, diese zu argumentieren und andere Meinungen zu tolerieren“, so Jahn. "Sie sind zueinander Reibebäume und schleifen sich gegenseitig ab. Die Aufgabe des Lehrers sei es, einen fachlichen Wissensinput zu geben, dann solle er sich selbst zurückziehen und die Diskussion nur moderieren.

Wesentlichen Platz in KER nimmt auch das Thema "Weltreligionen“ ein. "Ethikunterricht ist eigentlich Religionsunterricht ohne Konfessionsbrille mit Erweiterung von Lebens- und Sinnproblemen“, definiert Jahn das Fach. Beim Unterricht in der fünften Klasse steht also an diesem Tag nicht nur die Diskussion über Osama bin Laden am Programm, sondern auch ein Referat über den Shintoismus, eine in Japan praktizierte Religion. Die Schüler lernen über das Judentum und den Islam genauso wie den Glauben der Aborigines oder jenen der Zeugen Jehovas. "Man kann ja nicht über Religionen diskutieren, wenn man sie nicht kennt“, so Jahn.

Der katholische Pastoraltheologe Paul Zulehner ist da ganz seiner Meinung: "Es wird immer wichtiger, andere Religionen in ihrer weltanschaulichen und ethischen Option kennen und wertschätzen zu lernen.“ Nicht religiöse Bildung stehe im Vordergrund, sondern Bildung über Religionen. Zulehner betont, dass der Religionsunterricht diesbezüglich sehr geschätzt werde. "Für 69 Prozent der Österreicher ist das Christentum ein Teil der Identität Europas.“ Um diese Identität zu wahren - so die kulturpolitische Forderung - sollten Kinder Religionsunterricht erhalten.

Wenn sich Schüler von Religion abmelden, sei hingegen der Staat verpflichtet, Bildung über religiöse und ethische Fragen zu sichern. "Es kann einer modernen Gesellschaft nicht egal sein, ob Bürger für Fragen der Solidarität und Gerechtigkeit sensibel sind“, so Zulehner. "Vor allem dann nicht, wenn einem klar ist, dass soziale Konflikte, Krieg und Terror meist einem Gemenge von religiös-kulturellen Kränkungen und sozialen Ungerechtigkeiten entspringen.“ Letztlich leben und arbeiten Menschen zusammen, die eine andere Lebensdeutung haben, aber Einblick in das, was Fremde glauben und leben, hätten sie kaum.

Genau in dieser Frage gibt Patricia Urban aus der 7d in der Hegelgasse dem Ethikunterricht einen Gutpunkt. "Religionen sind nicht mehr das große, unbekannte Fremde“, sagt die 17-Jährige. Sie besucht seit drei Jahren KER und entschied sich vor allem aus Interesse an anderen Religionen für das Fach. "Ich glaube, dass Ethikunterricht da objektiver ist als Religion.“

Doch ob sich Schüler für KER oder für Religion entscheiden, ist nicht immer eine Frage des Interesses oder der Konfession. Es ist vor allem auch eine Lehrerfrage. "Ich bin mit unserer Religionslehrerin sehr zufrieden“, sagt Barbara Belohlavy, Urbans Klassenkollegin, die sich für Religion entschieden hat. In KER wechseln die Lehrer jedes Jahr, um möglichst viele verschiedene Meinungen zu gewährleisten. Der Wechsel schreckt viele Schüler ab. Für Belohlavy ist es nie zur Debatte gestanden, in Ethikunterricht zu gehen. Auch in Religion gäbe es viele Denkanstöße, die das Leben außerhalb der Schule bereichern. Und Religion hin, KER her - in einem sind sich die beiden Schülerinnen einig: Ethische Bildung soll es auf jeden Fall geben.

Aufwertung auch für Religionsunterricht

Eine Konkurrenz zwischen KER und Religion empfinden weder Schüler noch Lehrer. Im Gegenteil: Religionslehrerin Brigitte Rappersberger erlebt eine Aufwertung des Religionsunterrichts. Denn die Wahl ist fairer, seit es KER gibt. "Es heißt nicht mehr Religion oder Freistunde. Gegen das Kaffeehaus kommt man halt nicht an, da kann man noch so gut unterrichten.“ Der Religionsunterricht werde jetzt insgesamt ernster genommen.

Die 14 Jahre des Schulversuchs haben jedenfalls das Klima der Toleranz an der Schule gestärkt, ist Jahn überzeugt. Die Finanzierung des Ganzen ist ihm allerdings ein Dorn in seinem Auge. Das einzige Mal, als Jahn in den 14 Jahren am Erfolg des Ethikunterrichts zweifelte, war, als der Staat sukzessive zu sparen begann. Auch heute müssen die Schulen für den Ethikunterricht zur Gänze selbst aufkommen. Dennoch ist Jahn zuversichtlich, dass der Schulversuch in absehbarer Zeit, flächendeckend ins österreichische Regelschulsystem übernommen und vom Staat finanziert wird.

Der Religionsunterricht werde aber auch in den nächsten Jahren nicht verschwinden, ist Jahn überzeugt. "Etwa neunzig Prozent der Bevölkerung in Österreich sind an eine Religion gebunden. Da kann man nicht sagen, das ist alles Humbug.“

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