"Wertschätzung des ANDERS-SEINS"

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Der Religionspädagoge Martin Jäggle über islamische Kindergärten, religiöse Verschiedenheit und sein Ziel eines "reflektierten" - und nicht "aufgeklärten" - Glaubens.

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Der Religionspädagoge Martin Jäggle über islamische Kindergärten, religiöse Verschiedenheit und sein Ziel eines "reflektierten" - und nicht "aufgeklärten" - Glaubens.

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Selten hat eine "Vorstudie" so hohe Wellen geschlagen wie jene des Islamischen Religionspädagogen Ednan Aslan über die Situation an "islamischen Kindergärten" in Wien. Hier jene, die der Stadt vorwerfen, Missstände wie zweifelhafte Pädagogik, Abschottungstendenzen und mangelnde Sprachförderung zuzudecken; dort jene, die "Verhetzung" orten (vgl. auch S. 16). Dass die Stadt Wien nun eine umfassende Studie sowie einen Religionsleitfaden für Kindergärten plant, sind erfreuliche Konsequenzen der aufgeheizten Debatte. Doch was lehrt sie uns generell über religiöse Verschiedenheit und Erziehung? DIE FURCHE hat mit dem Wiener Religionspädagogen und -psychologen Martin Jäggle darüber gesprochen.

DIE FURCHE: Ednan Aslans Vorstudie zeichnet ein bedenkliches Bild islamischer Kindergärten. Wie schätzen Sie die Situation ein?

Martin Jäggle: Ich halte sie für nicht so bedrohlich, wie sie politisch diskutiert wird. Und ich glaube auch nicht, dass die Lösung allein in mehr Kontrollen liegt, sondern im Etablieren von Standards, anhand derer evaluiert wird. Wenn die Gemeinde Wien jetzt einen Religionsleitfaden erarbeiten will, stellt sie sich jedenfalls erstmals dem Thema Religion, weil die Idee, das auszublenden, politisch nicht mehr aufrecht zu erhalten ist. Die Dynamik der Communities, sich abzuschotten, sollte uns aber zu denken geben. Die angemessene Antwort ist allerdings kein Abschottungsverbot, sondern eine Willkommenskultur und ein aktives Einladungsprogramm.

DIE FURCHE: Aber ist eine "Willkommenskultur" nicht blauäugig angesichts des Verdachts der Unterwanderung vieler Institutionen durch salafistische Vereine?

Jäggle: Selbst wenn 20 Prozent der Kindergärten unter salafistischem Einfluss wären, wäre ein Generalverdacht unangebracht - und destruktiv, weil er eine weitere Radikalisierungs- und Abschottungsdynamik auslöst. Es ist aber auch absurd, dass die Islamische Glaubensgemeinschaft gemeint hat "Es gibt keine islamischen Kindergärten", nur weil man keine autorisiert hat. Trotzdem warne ich davor, die Glaubensgemeinschaft zu demontieren, denn dann hat man überhaupt keinen Ansprechpartner mehr. Man sollte sie vielmehr dazu verpflichten, ihre religionspädagogischen Standards darzulegen - und klar zu kommunizieren, dass jeder, der sie nicht einhält, den islamischen Standards in Österreich widerspricht.

DIE FURCHE: Kommen wir nochmals zum Abschottungsbedürfnis vieler Muslime. Wie ist es religionspsychologisch zu erklären?

Jäggle: Dass bestimmte ethnische oder religiöse Communities eigene Angebote zur Erziehung und Sozialisation von Kindern aufbauen, ist ein ganz normales Phänomen. Das gibt es auch innerhalb der katholischen Kirche in den verschiedenen Sprachgemeinden, von albanisch bis vietnamesisch. In Communities, die sozial schwach sind, kommt freilich dazu, dass das Gefühl der Bedrohung groß ist und dass es dann als Absicherung zu einer verstärkten Bedeutung von Religion kommen kann, auch wenn man gar nicht so religiös ist. Und die öffentlichen und christlichen Kindergärten signalisieren nicht, auf die Bedürfnisse muslimischer Familien angemessen einzugehen.

DIE FURCHE: Inwiefern?

Jäggle: In einer Studie wurde das Beispiel einer muslimischen Mutter genannt, deren Kind in einem katholischen Kindergarten mit anderen gemeinsam das Kreuzzeichen gemacht hat - was die Mutter verständlicherweise nicht wollte. Die Antwort des Kindergartens lautete: "Das Kind muss ja kein Kreuzzeichen machen!" Besser wäre gewesen, dem Kind zu ermöglichen, eine eigene, muslimische Gebetshaltung einzunehmen, die wertgeschätzt wird. Die Lösung liegt also darin, religiöse Differenz wertschätzend leben zu können. Dazu gehören auch so praktische Fragen wie das Essen: Muslimische Kinder müssen zumindest die Möglichkeit haben, kein Schweinefleisch essen zu müssen - nicht nach dem Motto "Iss halt nur die Beilagen!", sondern als programmatisches Ziel der Würdigung des Anders-Seins, das nicht die österreichische Lebenskultur bedroht. Doch dazu muss ich Religion explizit zum Thema machen.

DIE FURCHE: Aber gibt es dafür die nötige Kompetenz?

Jäggle: Darüber kann ich nicht urteilen. Was die Volksschule betrifft, so gibt es jedenfalls an der Katholisch-Pädagogischen Hochschule Wien/Krems, an der Religionslehrende aller christlichen Konfessionen ausgebildet werden, schon eine Kooperation mit der IRPA (Privater Studiengang für das Lehramt für Islamischer Religion an Pflichtschulen in Wien; Anm.). Und der neue Volksschul-Lehrplan für katholischen Religionsunterricht thematisiert explizit den Umgang mit religiöser Vielfalt. Im Elementarbereich gibt es einen bundesländerübergreifenden Bildungsplan für Religion, nur ist ein gesamtösterreichischer am Wiener Kindergartengesetz gescheitert, das Religion völlig ausblendet. Höchste Zeit, das zu ändern.

DIE FURCHE: Manche sehen die Antwort auf religiöse Vielfalt eher in einem Ethikunterricht für alle ...

Jäggle: Dagegen spricht, dass Religion viel mehr ist als Ethik. Spiritualität, Sinn, Rituale, Hoffnung: All diese religiös bedeutsamen Fragen sind keine ethischen. Wenn die Schule sich davon dispensiert - welch reduziertes Verständnis von Welt vermittelt sie dann? Es ist Aufgabe der Schule, auch religiöse Bildung zu leisten - und ich halte es für besser, die Religionsgemeinschaften miteinzubeziehen, als sie auszuschließen. Wobei es wichtig ist, die Pluralität von Religion zu thematisieren - das gilt auch für den Katholizismus.

DIE FURCHE: Apropos: Viele katholische Eltern haben punkto religiöser Erziehung die entgegengesetzte Haltung zu jener muslimischer Familien. Im Film "Wie hast du's mit der Religion?", der Dienstag dieser Woche in der Sendeleiste "kreuz und quer" gezeigt wurde (siehe links bzw. S. 24), meint eine Mutter, ihr Kind solle selbst frei entscheiden können, woran es glaubt

Jäggle: Hier wird Freiheit zum noblen Wort für Beliebigkeit. Das wäre so, als würde ich mit meinem Kind nicht sprechen, damit es sich später seine Sprache aussuchen kann. Eine solche Position resultiert oft aus einer Erfahrung, in der man Religion selbst als Ort der Unfreiheit erlebt hat. Aber ein Kind ist darauf angewiesen, dass ihm Sprache, Kultur und auch ein Verhältnis zu Religion zur Verfügung gestellt wird. Was es daraus macht, ist eine eigene Frage.

DIE FURCHE: Ein katholischer Diakon sagt im Film, es brauche eine "gute, aufgeklärte religiöse Erziehung". Gefällt Ihnen dieses Zitat?

Jäggle: Ich spreche lieber von "reflektierter" Religiosität, in der man sich selbst relativieren kann, ohne sich aufzulösen. Beim Begriff "aufgeklärt" kommen wir sofort in eine Polarität: hier die helle Aufklärung, dort die dunkle Religion. Im Christentum ist aber etwa das Licht ganz zentral, man denke nur an das Oster- und Weihnachtslicht. Dass jedem ein Licht aufgehen möge, das wäre das Verbindende.

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