Wie damals in Chile...

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Austro-Chilene Jorge Fuentes wird nach 30 Jahren von bösen Erinnerungen eingeholt: Im Konflikt in Venezuela sieht er dieselben Vorboten, die einst zum Sturz von Chiles Salvador Allende geführt haben.

Déjà-vu-Erlebnis für Jorge Fuentes. Gerade von einem Besuch bei seiner Schwester in Venezuela zurück, berichtet er von einer Zeitreise, die ihn 30 Jahre und in eine überwunden geglaubte Vergangenheit geführt hat: "Das heutige Venezuela erinnert mich fatal an die Situation in Chile - wenige Monate vor dem Militärputsch." Fuentes erklärt der Furche "dasselbe böse Spiel", damals wie heute: "Zuerst wird die Produktion des Hauptwirtschaftsgutes des Landes - in Venezuela Erdöl, in Chile Kupfer - lahmgelegt, um die Regierung zu schwächen und dann ..."

1973 in Chile folgte der Sturz von Präsident Salvador Allende. Seit diesem Jahr und nicht erst seit 2001 ist Dienstag, 11. September, für Jorge Fuentes ein Synonym für Katastrophe. An diesem Tag verlor der Gewerkschaftler und Parteigänger der "Izquierda Cristiana" (Linkschristen) nicht nur den Staatspräsidenten, auf den er seine Hoffnungen für eine bessere Zukunft Chiles gesetzt hat. Nach diesem Tag "unvergesslicher Traurigkeit" verlor Fuentes auch viele seiner Compañeros und Compañeras, seine Arbeit, seine Freiheit und - nach Jahren der Verfolgung, Drangsalierung und Angst - seine Heimat.

Ein neues Zuhause hat Fuentes in Österreich gefunden, nach Umwegen und mit großen Anfangsschwierigkeiten. Dieses Schicksal teilt Fuentes mit den anderen Autorinnen und Autoren im Sammelband: "Zerstörte Hoffnung - Gerettetes Leben". Sigrun und Herbert Berger (siehe Interview auf dieser Seite) haben das Buch initiiert, die Berichte der Chile-Flüchtlinge gesammelt, großteils übersetzt und als beeindruckendes Zeitdokument herausgebracht. Das Ehepaar war Anfang der siebziger Jahre in Chile entwicklungspolitisch tätig - sie in der Sozialarbeit, er in der Pastoral - und kennt daher die Umstände vor, während und nach dem Putsch aus eigener Anschauung. Und genausogut kennen sie die mühsamen ersten Schritte der nach Österreich geflohenen Chilenen am Beginn ihres Lebens in einer fremden, neuen Welt.

Etwa 1.500 Chilenen fanden nach dem Putsch Asyl in Österreich. Ihre erste Station, das Flüchtlingslager Traiskirchen, war für den Großteil eine traumatische Erfahrung. Militärgefängnissen in Chile mit knapper Not entronnen, sahen sie sich jetzt wieder eingesperrt und von Polizeipatrouillen kontrolliert. Außerdem gab es starke Vorbehalte gegenüber dieser Flüchtlingsgruppe sowohl bei den Behörden als auch von Seiten der Bevölkerung, die "sich wunderten, als wir sie nach der nächsten Kirche fragten, denn für sie waren alle, die aus Chile kamen, Kommunisten".

Die Integration wurde jedoch vor allem dadurch erschwert, dass die meisten Chilenen an eine rasche Rückkehr glaubten, und Österreich für sie sehr lange nur eine "provisorische Existenz" darstellte. Jorge Fuentes beispielsweise ist nach wie vor aktives Mitglied seiner Partei in Chile und will nach der Pensionierung in die Heimat zurückkehren und sich kommunalen Aufgaben widmen: "Vielleicht werde ich in einer armen Gemeinde Gemeinderat oder gar Bürgermeister, nun, träumen ist ja erlaubt".

Mehr als dieser Traum treibt ihn momentan aber die Sorge um die politische Zukunft Venezuelas. Denn die Drohung der dortigen Erdöl-Maharadschas: "Wir ruhen nicht, bis die Demokratie wieder hergestellt ist", lässt dunkle Erinnerungen in ihm wach werden.

Buchtipp:

Zerstörte Hoffnung -

Gerettetes Leben

Chilenische Flüchtlinge und Österreich

Von Sigrun und Herbert Berger (Hg.)

Mandelbaum Verlag, Wien 2002

313 Seiten, geb. e 19,90

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