Windhunde der Meere

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Vor 160 Jahren erschuf sich der Teehandel ein eigenes Transportmittel - den Chinaklipper.

Jedes Jahr zur Zeit der ersten Teeernte ist die Auslage eines bekannten Wiener Teegeschäfts gegenüber der Oper mit einer Teekiste dekoriert, auf der das Modell eines Passagierflugzeugs steht. Der Jet soll zeigen, dass eine extra schnell nach Wien transportierte Kostprobe der neuen Ernte auf Teeliebhaber wartet, die bereit sind, einen entsprechenden Aufpreis zu bezahlen.

Es ist der Reiz, zu den ersten zu gehören, die einen neuen Jahrgang verkosten können, mehr nicht, denn heute dauert auch der normale Transport aus Indien, Sri Lanka oder China nicht allzu lange.

Vor 160 Jahren hingegen währte die durchschnittliche Reise eines Handelsschiffes von den Häfen an der chinesischen Küste nach New York bis zu einem halben Jahr. Damals, 1842, besiegte Großbritannien China im Opiumkrieg, worauf sich das Reich der Mitte im Frieden von Nanking nicht nur verpflichten musste, die Einfuhr des verheerenden Rauschgifts durch die britische Ostindien-Kompanie zu gestatten, sondern auch fünf Häfen für den internationalen Handel zu öffnen.

Luxusgüter aus aller Welt

In den usa, die nun schon ein halbes Jahrhundert bestanden, hatte sich damals eine wohlhabende Bürgerschicht gebildet. Deren Mitglieder konnten nicht nur für Lebensnotwendiges, sondern auch für Luxusgüter aus Übersee Geld ausgeben: etwa für Seide, Gewürze, Feuerwerkskörper und Tee.

Tee ist ein sensibles Produkt, das an der Seeluft leicht verdirbt und schimmlig wird, daher war jeder Tag weniger, den er im feuchtstickigen Laderaum eines Seglers verbrachte, ein Gewinn für den Spediteur. Denn die Kenner in Boston, Philadelphia oder New York waren bereit, für den frischesten Tee mit der kürzesten Lieferzeit hohe Preise zu bezahlen.

Diese Faktoren schufen den Bedarf nach großen und schnellen Schiffen, und die amerikanischen Schiffbauer lieferten sie.

Schon seit Beginn des Jahrhunderts gab es in den Staaten die Baltimore-Klipper, kleine schnelle Schiffe, die im britisch-amerikanischen Krieg als Blockadebrecher und Handelsstörer dienten. Durch die Erfahrungen mit diesen Schiffen, sowie durch Strömungsversuche an Rumpfmodellen im Wasserbecken entstand ein völlig neuer Typ mit spitzem Bug, V-förmigen schmalem Rumpf und Masten von noch nie dagewesener Höhe - der Klipper. Diese Bezeichnung leitet sich von der englischen Phrase "going at a good clip" (ein scharfes Tempo vorlegen) ab. Ab Mitte der 1840er Jahre liefen in den usa diese immer extremer gebauten Segler vom Stapel, und schon die 1846 fertig gestellte Sea Witch ersegelte einige Rekorde, die nie wieder von einem Handelsschiff unter Segeln gebrochen werden sollten.

Schiffe für eine Elite

Es war die Elite der damaligen Kapitäne, denen man diese Hochleistungsschiffe anvertraute. Und es erforderte herausragende Fähigkeiten, diese Renner mit ihrem Gebirge aus Segeltuch zu beherrschen. Kaum eine Jungfernfahrt ohne zahlreiche Brüche von Rahen und Stengen - die Schiffsführer erlagen dem Rausch der Geschwindigkeit und konnten es nicht lassen, die Klipper bis an ihre Grenzen zu testen, oder auch darüber hinaus. 1854 schaffte die Champion of the Seas ein Etmal (die in 24 Stunden von Mittag bis Mittag zurückgelegte Strecke) von 465 Seemeilen, auch das ein niemals gebrochener Rekord.

Die meisten Kapitäne, die damals in See stachen, wetteten mit Kollegen, deren Schiffe ungefähr zur gleichen Zeit die selbe Strecke fuhren, einen neuen Zylinderhut darauf, als erste anzukommen. Auch Schiffbauer, Kaufleute, die Mannschaften und unzählige begeisterte Anhänger setzten oft auch große Beträge auf den Sieg ihrer Schiffe.

Im Vereinigten Königreich entwickelte man nach anfänglicher Skepsis eine glühende Leidenschaft für die schnellen Schiffe. Die britischen Teehändler setzten eine jährliche Prämie von zehn Shilling pro Tonne für den Besitzer des Schiffes aus, das als erstes mit Tee von der neuen Ernte in London anlegte. Der Kapitän bekam davon 100 Pfund - ein halber Jahreslohn - und wurde dadurch zu Höchstleistungen angespornt.

Das berühmteste Rennen

In den rund 15 Jahren, in denen diese Wettfahrten stattfanden, erregte das Great Tea Race von 1866 das größte Aufsehen. 16 Klipper lagen auf der Pagoda-Reede in Foochow (heute Fuzhou, Hauptstadt der Provinz Fujian), dem wichtigsten Teehafen Chinas, und alle wollten sie die Prämie. Fünf dieser Schiffe, die Serica, die Taeping, die Fiery Cross, die Taitsing und die Ariel, alle zwischen 700 und 850 Tonnen groß, galten als die Favoriten. 13.200 Seemeilen, von denen die ersten 2.200 von der Mündung des Flusses Min bis zur Sundastraße die schwierigsten waren, mussten zurückgelegt werden. Manchmal sichteten die Schiffe einander, während sie durch das Chinesische Meer südwärts jagten. Die Ariel erreichte die Sundastraße 21 Tage nachdem sie Foochow verlassen hatte, einen Tag nach der Fiery Cross, die drei Konkurrenten folgten in den nächsten fünf Tagen. Die fünf Klipper durchflogen den Indischen Ozean unter allen Segeln wie Sturmvögel. Unter der großen Belastung gebrochene Stengen wurden bei voller Fahrt ersetzt. Am 4. August überquerten die Ariel, die Taeping und die Fiery Cross den Äquator ohne Sichtkontakt zueinander. Zu diesem Zeitpunkt trugen nur mehr diese drei Schiffe das Rennen untereinander aus. Einen ganzen Monat rasten die drei Klipper an der Westküste Afrikas nach Norden, in der ersten Septemberwoche folgte ein atemberaubender Endspurt zwischen Ariel und Taeping, Beide passierten bei Sonnenuntergang am 5. September die Isle of Wight. Beide Kapitäne ließen auch den letzten Fetzen Segeltuch setzen und jagten durch den Ärmelkanal, während die Matrosen auf anderen Schiffen und die Menschen an der Küste das Schauspiel mit angehaltenem Atem beobachteten.

Acht Minuten Abstand

Die Themsemündung erreichte die Ariel acht Minuten vor der Taeping, was einem Abstand von nur einer Seemeile entspricht.

Schließlich war es der geringere Tiefgang, der es der Taeping erlaubte, als erste an ihrem Dock anzulegen. Die Eigner der beiden Schiffe vereinbarten wegen des knappen Zieleinlaufs, die Prämie untereinander aufzuteilen.

Für die Händler führte die Ankunft aller 16 Klipper mit fast 15 Millionen Pfund frischem Tee zu einem Preisverfall und im nächsten Jahr wurde keine Belohnung ausgesetzt.

Nur drei Jahre später wurde der Suezkanal eröffnet, und mit einem Mal war der Seeweg für Dampfer von China nach England um 3.400 Seemeilen kürzer. Als schließlich etwa 1885 Dampfschiffe die Geschwindigkeit der Klipper erreichten, waren diese stolzen Schiffe, von denen es hieß, dass "ihre turmhohen Masten die Wolken, den Mond und die Sterne erreichten - und manchmal sogar ein Engel darauf säße", kaum mehr auf den Weltmeeren zu sehen.

Erhalten geblieben ist von all den ruhmreichen Windhunden der Meere ein einziger, der britische Teeklipper Cutty Sark - als Museumsschiff in Greenwich.

Der Ruhm dieser Schiffe hat in den 1930er Jahren dazu geführt, dass amerikanische Wasserflugzeuge Namen mit der Bezeichnung "Clipper" bekamen: China Clipper, Philippine Clipper, Hawaii Clipper und Atlantik Clipper. Und es ist noch nicht so lange her, dass man ozeanüberquerende Verkehrsflugzeuge mit Strahltriebwerken als Düsenklipper bezeichnete.

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