"Wir müssen jetzt alles IN FRAGE STELLEN"

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Der eine, ein Akademiker aus Salzburg Stadt. Der andere, ein Bauer aus dem Weinviertel. Der eine, in der Jungen ÖVP die rechte Hand von Sebastian Kurz. Der andere, Präsident der Landwirtschaftskammer und des niederösterreichischen Bauernbundes . Zwischen ihnen liegen mehr als 30 Jahre. Trotz der offensichtlichen Unterschiede sitzen beide, Asdin El Habbassi und Hermann Schultes, für die ÖVP im Nationalrat. In der FURCHE sprechen Sie über die turbulenten Zeiten in ihrer Partei.

DIE FURCHE: Vor einem Jahr hat Michael Spindelegger noch das Jahr der ÖVP ausgerufen. 2013 ist nun Geschichte, der Parteiobmann auch. Was ist in Ihren Augen passiert?

Hermann Schultes: Das letzte Jahr war sicher sehr herausfordernd für die ÖVP. Sicher ist aber auch, dass die Europawahlen sehr gut gelaufen sind für uns.

DIE FURCHE: Platz 1, aber das historisch schlechteste Ergebnis

Schultes: Keine Partei hat Grund zum Jubeln gehabt. Aber wenn wir über meine ÖVP reden, über die ländliche Bevölkerung, dann haben wir mit Elisabeth Köstinger ein sehr schönes Ergebnis erreicht. Das will ich gelten lassen.

Asdin El Habbassi: Die ÖVP hat in diesem Jahr gezeigt, dass sie, wenn sie zusammenhält und eine klare Linie hat, wesentlich stärker ist, als manche Kommentatoren glauben. Michael Spindelegger hat einen weltoffenen, leistungsorientierten Wahlkampf geführt, so eine bunte Kampagne hätte man von uns nicht erwartet. Es gab Versuche, etwas anzupacken. Aber nicht immer hat es die Einigkeit gegeben, neue Wege zu beschreiten, und im Jetzt anzukommen. Der Evolutionsprozess, den wir jetzt starten, setzt genau da an. Es geht darum, eine neue ÖVP zu schaffen.

DIE FURCHE: Ist dieser interne Erneuerungsprozess für Sie, Herr Schultes, als jahrzehntelanges Mitglied etwas wirklich Neues?

Schultes: Ich bin schon mehr als 40 Jahre dabei. Damals haben wir unter Josef Taus begonnen, intensiv zu diskutieren, ob wir die Bünde abschaffen. Ich war damals einer der Jüngeren, die gerne schärfer argumentiert haben. Heute bin ich Obmann des niederösterreichischen Bauernbundes und kenne die Stärke der Bünde, wenn sie als offene Plattformen fungieren.

El Habbassi: Es gibt auch jetzt noch einige, die sie gerne abschaffen würden. Ich glaube aber, dass die Bünde, wenn wir sie richtig verstehen, wichtige Inputgeber sein können. Wenn wir die Interessen der Arbeitnehmer, die Fachexpertise aus Wirtschaft oder Landwirtschaft einbeziehen, öffnet das neue Perspektiven für alle. Aber es ist kontraproduktiv, wenn wir vor lauter Bünden die Partei nicht mehr sehen. Wir brauchen die Identität wieder stärker in der ÖVP und weniger in den Bünden. Zuerst müssen die Werte kommen, die uns alle verbinden, und dann erst die verschiedenen Interessensgruppen, die sich einbringen.

DIE FURCHE: Thomas Köhler schreibt in der FURCHE der letzten Woche, dass die Struktur der Bünde nicht mehr abbildet, was Österreich braucht. Dass sich daran nichts ändert, schiebt er den Menschen im "Mittelbau" zu, die ihren eigenen Aufstieg den Klientelen in den Bünden zu verdanken haben. Fühlen Sie sich angesprochen?

Schultes: Auf dem Wiener Pflaster scheinen die Bünde extrem wichtig. Aber die Basis der ÖVP ist die Gemeindearbeit. Unser großer Vorteil liegt dort, wo es Bürgernähe gibt. In den städtischen Strukturen tun wir uns mit unserem individuellen Ansatz schwer. Aber in der wirklichen Arbeit, wo es darum geht, was die Menschen berührt, wissen die Leute doch gar nicht, wer für welchen Bund steht. Ich glaube nicht, dass dich einer fragt, ob du für die Junge ÖVP antrittst, wenn du wem weiterhilfst, oder?

El Habbassi: Nein, und so soll's auch sein. Aber es gibt den Faktor Bünde im Mittelbau. Dort, wo wir gut sind, geht's um Persönlichkeiten und darum, was wir machen für die Menschen. Das müssen wir wieder mehr forcieren. Zumal sich die Lebenswelten von vielen Menschen nicht mehr klar einem Bund zuteilen lassen. Es gibt Angestellte, die nebenbei selbstständig sind, oder Landwirte, die nebenbei wo angestellt sind. Das müssen wir in unserer Politik abbilden. Die Bünde sind Teil einer Kommunikationsstruktur aber dürfen nicht die Grundlage von Personalentscheidungen sein.

Schultes: Wir müssen lernen, die Vielfalt als etwas Positives zu erleben. Weil am Ende werden wir daran gemessen, ob wir dem Bürger nützen und Wahlen gewinnen.

DIE FURCHE: Was muss passieren, damit das wieder geschieht?

El Habbassi: Wir haben viel Vertrauen verloren, weil wir nicht glaubhaft machen konnten, dass all die Dinge, die wir angegangen sind, auch ankommen. Dass es zum Beispiel bei der Budgetkonsolidierung nicht darum geht, schöne schwarzen Zahlen zu schreiben, sondern um handfeste Fragen, die uns alle betreffen: Können wir uns in Zukunft ein Krankenhaus leisten? Wird es Pensionen für nachfolgende Generationen geben? Die ÖVP ist für viele nicht greifbar, das muss sich ändern. Im Evolutionsprozess, der jetzt startet, werden wir innerhalb der Partei Klartext reden. Wir müssen alles in Frage stellen -unsere Struktur, unsere Themen -und auf Basis unserer gemeinsamen Werte auch unsere Ziele und Visionen definieren.

Schultes: Der Evolutionsprozess ist eine sehr ernstgemeinte Geschichte. Ich bin sehr sehr zuversichtlich. Die ÖVP muss es wieder schaffen, die Dinge so zu benennen, dass die Sorgen der Einzelnen angesprochen werden. Da geht es nicht nur um Kommunikation, sondern darum, ob es uns gelingt, Menschen zu berühren. Das hat auch mit Emotion und Herzenswärme zu tun.

DIE FURCHE: Für eine Volkspartei heißt das, gleichzeitig die persönlichen Sorgen der Landwirte, die der Großindustriellen, der alleinerziehenden Mütter und der urbanen Start-Up-Unternehmer anzusprechen. Nimmt sie sich da zu viel vor?

El Habbassi: Die ÖVP kann sich gar nicht zu viel vornehmen, weil wir eben Lösungen für die Breite anbieten wollen. Die Lebenswelten sind vielfältig, aber letztendlich ist entscheidend, für welche Überzeugungen wir stehen. Will ich, dass mir von der Wiege bis zur Bahre alles durchorganisiert und vorgegeben wird? Oder will ich als Individuum mein Leben selber gestalten? Der Weg der ÖVP führt dahin, die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass jeder seinen Weg gehen kann -aber mit einer gewissen Grundversorgung, mit Haltepunkten.

Schultes: So wie du das sagst, könntest du bei uns als Bürgermeister antreten. Das gilt nämlich nicht nur in der Stadt, sondern genau so am Land. Mein Antrieb in der Politik war schon immer, die Fragen zu beantworten, die am Sonntag am gemeinsamen Tisch aufkommen, wenn alle beieinander sind, von den Großeltern bis zu den Enkelkindern. Natürlich gibt's da unterschiedliche Themen, aber am Ende sollen alle sagen können: "So kann's gehen."

DIE FURCHE: Außer auf Bundesebene koaliert die ÖVP nur mehr in der Steiermark mit der SPÖ. Ist das Konzept "Große Koalition" noch zeitgemäß?

El Habbassi: Es ist mir ein ganz ehrliches Anliegen, dass sowohl SPÖ als auch ÖVP jetzt zeigen, dass sie es ernst miteinander meinen und anpacken. Die Personalbesetzungen von Reinhold Mitterlehner sind ein klares Signal, dass wir Reformen machen wollen. Die Menschen wollen einfach, dass etwas weitergeht. Ob mit rot-schwarz oder in einer anderen Konstellation, ist ihnen egal.

Schultes: Vor kurzem hat eine Dame zu mir gesagt: "Hermann, was macht's ihr mit unserer ÖVP?" Das hat mich sehr berührt. Es ist nämlich nicht die ÖVP der Führungskräfte. Die ÖVP gehört den Mitgliedern und Funktionären und Gemeinderäten und Schriftführern. Sie haben ein Recht darauf, dass ihre Grundeinstellung in einer politischen Wirklichkeit ankommt. So lange wir wissen, wo wir herkommen, wird diese Koalition leben. Das muss aber auch unser Koalitionspartner verstehen.

Die Furche: Sie sind ja selbst einer von "denen da oben" in der ÖVP. Was kann man gegen diesen Frust in der Basis tun?

Schultes: Genau das, was jetzt gerade läuft. Die ÖVP holt tief Luft und entwickelt Kraft.

el habbassi: Es werden gerade einige Entscheidungen getroffen, die zeigen, dass wirklich etwas weitergeht.

Die Furche: Wieso gab es diese Aufbruchsstimmung unter Michael Spindelegger nicht? el habbassi: Michael Spindelegger hat richtungsweisende Entscheidungen getroffen, wie die Ernennung von Sebastian Kurz als Außenminister. Das wurde aber nicht von allen als Aufbruch wahrgenommen.

Schultes: Mit dem Finanzressort und der Hypo hat er sich eine sehr belastende Aufgabe umgehängt. Er hat sie gut gemeistert, aber am Schluss war nicht mehr sichtbar, dass er Freude daran hat, Politik zu machen. Aber das ist für uns alle essenziell und jetzt wieder der Fall.

POLITISCHE BEOBACHTER

Hermann Schultes

Die Aubesetzung in Hain 1986 veranlasste Schultes, in der Politik mitzumischen. Seit neun Jahren steht der 60-Jährige dem NÖ Bauernbund vor, seit Februar auch der Landwirtschaftskammer.

Asdin El Habbassi

Der 27-jährige Salzburger sitzt seit der letzten Wahl für die ÖVP im Parlament. Seit zehn Jahren engagiert er sich, zuerst bei der Schülerunion, dann in der Jungen ÖVP, wo er stv. Bundesobmann ist.

Barbara Blaha

Aus Protest gegen die Studiengebühren trat die ehemalige ÖH-Vorsitzende 2007 aus der SPÖ aus. Sie gründete den Politkongress Momentum und veröffentlichte das Buch "Das Ende der Krawattenpflicht."

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