"Wir öffnen den Piraten die Arme"

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Für den Sojaanbau werden in Brasilien immer größere Flächen Regenwald abgeholzt. Lara Lutzenberger, die Tochter des verstorbenen Umweltschützers José Lutzenberger, kritisiert in einem Gespräch mit der furche, dass das Soja nicht einmal der Ernährung der Bevölkerung dient, sondern als Futtermittel unter anderem nach Europa exportiert wird.

Die Furche: Ihr Vater war eine Ikone des Umweltschutzes. Ist nach seinem Tod in der brasilianischen Umweltschutzbewegung ein Vakuum entstanden?

Lara Lutzenberger: Natürlich. Er war als einer der ersten Umweltschützer Brasiliens wirklich sehr einflussreich und hat dazu beigetragen, viele aufzuwecken - nicht nur Umweltschützer, sondern die Gesellschaft als Ganzes. Als mein Vater vor 20 Jahren anfing, wurde sein Engagement als Verrücktheit verstanden, jetzt hat die Mehrheit der Menschen zumindest schon ein Gefühl dafür entwickelt. Ich glaube, das ist der ganz große Unterschied.

Die Furche: Ein Schwerpunkt der Arbeit Ihres Vaters war der Kampf gegen die rasante Abholzung des Regenwaldes. Konnte eine Verlangsamung der Rodungen erreicht werden?

Lutzenberger: Ganz im Gegenteil. Unsere Regierung will große Konzerne ins Land bringen, um es industriell zu entwickeln. Doch das ist genau die entgegengesetzte Richtung, in die man gehen sollte, wenn man die Umwelt und die sozialen Rechte wirklich schützen möchte.

Die Furche: Wodurch wird der Regenwald vorallem zerstört?

Lutzenberger: Durch den immer weiter vordringenden Sojaanbau: Dafür wird der Wald Tag und Nacht abgeholzt. Das Einzige, was helfen würde, wäre ein höherer Druck auf internationaler Ebene. Die Mehrheit der brasilianischen Menschen lebt nämlich nicht im Urwald, sondern an der Küste und macht sich nicht wirklich Gedanken über die Abholzung.

Die Furche: Ist es fünf vor zwölf, was den Regenwald betrifft?

Lutzenberger: Vielleicht sogar schon drei vor zwölf. Die Situation ist katastrophal. Über die Hälfte des Amazonas-Waldes ist Staatsland. Jetzt möchte die Regierung, dass ein Teil des Waldes unter ihrer Aufsicht bewirtschaftet wird. Ich glaube, das wird die Situation noch zusätzlich verschlimmern.

Die Furche: Wie stark hat der Soja-Anbau in der Vergangenheit zugenommen?

Lutzenberger: In den letzten drei Jahren hat er unglaublich zugenommen. Es hat immer schon Soja in Brasilien gegeben, aber jetzt ist fast das ganze Land damit bepflanzt - auch in das Amazonasgebiet dringt Soja vor. Die Gesamtanbaufläche soll innerhalb weniger Jahre sogar noch verdoppelt werden.

Allerdings haben die Sojabauern im vergangenen Jahr wegen der Dürre - der größten seit 40 Jahren - rund 80 Prozent ihrer Ernte verloren. Dazu kommt noch, dass der Dollar gefallen ist und dass die Amerikaner auch vermehrt Soja auf den Markt gebracht haben. So sind viele Bauern Bankrott gegangen. Wie sich das in den nächsten Jahre auswirken wird, kann man nicht wissen. Ich glaube, dass es zu einer Reduzierung führen wird. Ein Problem ist allerdings, dass China ganz wild auf sehr viel Soja ist und nie genug davon kriegen kann.

Die Furche: Für welchen Zweck kauft China das Soja?

Lutzenberger: Für Vieh, so wie der größte Teil der Sojaproduktion für die Tiernahrung bestimmt ist. Die brasilianische Regierung behauptet zwar, dass wir so viel Soja produzieren, um die Bevölkerung zu ernähren. Das ist falsch, denn die Bevölkerung isst dieses Soja gar nicht. Wir essen schwarze Bohnen, Reis, Fleisch, Gemüse und Obst in Brasilien. Das ganze Soja wird exportiert.

Die Furche: Was wäre für Brasilien das Beste?

Lutzenberger: Die Wirtschaft muss wieder für den eigenen Bedarf produzieren. Warum soll man das Soja aus Brasilien kaufen, um beispielsweise in Österreich Vieh zu züchten? Südbrasilien war immer ein Viehweidengebiet. Doch anstatt dass wir weiterhin wie vor hunderten Jahren unsere Viehherden frei halten und Fleisch produzieren, pflanzen wir Soja damit anderswo die Kühe im Stall gehalten werden können. Jeder sollte seine Nahrung selbst produzieren und nur die Überschüsse des anderen importieren.

Vor kurzem wurde auch noch ein Gesetz beschlossen, das ausländischen Firmen Steuererleichterungen verspricht, wenn sie über 80 Prozent ihrer Produkte exportieren. Es ist, als würden wir den Piraten die Arme öffnen: Nehmt alles mit, wir helfen euch auch noch dabei.

Die Furche: Lange galt Brasilien als Vorzeigeland für den Anbau ausschließlich gentechnikfreien Sojas. Doch das Verbot ist vor eineinhalb Jahren gefallen. Können zumindest Teile Brasiliens gentechnikfrei gehalten werden?

Lutzenberger: Nein, das ist schon so gut wie vorbei. Heute stellt die Sojaproduktion aber ein größeres Problem dar als die Genmanipulation: Die Diversität wird durch Soja ersetzt.

Die Furche: Ist demnach die Diskussion in Europa, dass man Brasilien in der gentechnikfreien Sojaproduktion unterstützen sollte, schon hinfällig geworden?

Lutzenberger: Man sollte am besten gar kein Soja mehr kaufen. Europa könnte ein Beispiel geben.

Die Furche: Ihr Vater hat die Stiftung Gaia gegründet, die Sie zusammen mit Ihrer Schwester weiterführen. Welche Ziele sind damit verbunden?

Lutzenberger: Wir tragen dazu bei, dass das Umweltbewusstsein in Brasilien wächst: Durch die Medien, die Schulen, Umwelterziehungsprojekte mit Kindern. Wir empfangen auch Besucher aus aller Welt auf unserem Gut: Rincao Gaya ist ein Ort, der durch den Basaltabbau völlig zerstört war und in den letzten 15 Jahren durch die Leitung meines Vaters in ein artenreiches Gebiet verwandelt worden ist. Wir bieten den Leuten an, dass sie nicht nur verstehen, wie sie an einer nachhaltigen Welt teilhaben können, sondern es auch erleben. Zum Umdenken kommt es weniger aus rationalen Gründen, sondern aus einem Herzgefühl heraus. Man muss zu dem zurückfinden, was einem wirklich gut tut.

Das Gespräch führte Klaus Faißner

In den Fußstapfen des Vaters

Die Biologin Lara Lutzenberger ist die Tochter des legendären brasilianischen Umweltschützers José Lutzenberger. Lutzenberger, ein Sohn deutscher Einwanderer, wurde mehr und mehr zur Leitfigur der brasilianischen Umweltbewegung und warnte immer wieder vor den verheerenden Folgen der Abholzung des Regenwaldes. 1988 wurde er mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet und zwei Jahre später vom brasilianischen Präsident zum Staatssekretär für Umweltfragen ernannt. Als er die Rolle der Regierung im Holzhandel öffentlich kritisierte, flog er 1992 wieder aus dem Amt. Sein Kommentar: "Meine einzigen Chefs sind dieser wunderbare Planet und seine künftigen Generationen." Stets kritisierte er die einseitige Denkweise der Wissenschaft, was die Universität Wien nicht abhalten konnte, ihm 1995 den Titel des Ehrendoktors zu verleihen. José Lutzenberger starb am 14. Mai 2002 im Alter von 75 Jahren. Seine Tochter Lara Lutzenberger führt gemeinsam mit ihrer Schwester Lilly das Werk ihres Vaters fort.

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