"Wir sind keine Verräter!"

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Dan Tamir: Im zivilen Leben ist der 27-jährige Israeli mit Wurzeln in Österreich ein Student an der Hebräischen Universität Jerusalem. Gleichzeitig ist er aber auch Hauptmann der Reserve in der israelischen Armee. Deren Vorgehen in den besetzten Palästinensergebieten ist mit Tamirs soldatischem Selbstverständnis nicht vereinbar. Er verweigerte in diesem Punkt den Kriegsdienst und musste deswegen ins Gefängnis.

die furche: Herr Tamir, was war der konkrete Anlass für Ihre Kriegsdienstverweigerung?

dan tamir: Ich bekam den Befehl, meine Soldaten in eine längere Mission in die besetzten Gebieten nicht weit von Ramallah zu führen. Schon vorher war ich ein ein paar Mal als Soldat dort gewesen. Aber nach diesem neuerlichen Einberufungsbefehl habe ich wieder über die Situation, über die Notwendigkeit dieses Krieges und meine Rolle nachgedacht. Und ich bin zum Schluss gekommen, dass ich bei diesem nutzlosen Krieg nicht mehr mitmachen kann. Das habe ich meinem Kommandanten gesagt und am Ende war klar: Entweder ich trete meinen Dienst an, oder ich komme ins Gefängnis. Daraufhin bin ich 26 Tage ins Gefängnis gegangen.

die furche: Warum ist dieser Krieg für Sie nicht mehr akzeptabel?

tamir: Meine Verweigerung ist ein Protest gegen den Missbrauch von Militärmacht und den Einsatz des Militärs für unrechte Ziele. Die Unterdrückung der palästinensischen Zivilbevölkerung ist ungerechtfertigt. Genau gegen diese politische Benutzung des Militärs für falsche Ziele richtet sich mein Protest.

die furche: Sie lehnen also den Kriegsdienst nicht generell ab, sondern sprechen sich nur gegen die jetzige Verwendung der israelischen Armee als Besatzungsmacht aus?

tamir: Genau, meine Verweigerung war selektiv und punktgenau. Ich habe klar gesagt, dass ich kein Teil der Besatzung sein will. Die Besatzung in den Palästinensergebieten ist eine eindeutige Menschenrechtsverletzung. Ich bin jedoch immer bereit, Verteidigungsaufgaben zu übernehmen, ich bin immer bereit mein Land zu verteidigen. Wenn uns morgen eine äußere Macht bedroht, werden ich und meine Kameraden, die heute verweigern, alles tun, um unser Land zu schützen.

die furche: Mit welchen Reaktionen Ihrer Umwelt waren Sie konfrontiert?

tamir: 1982 hat mein Cousin während des Libanonkrieges verweigert. Man hat ihn ins Gefängnis gesteckt, und man hat ihn einen Feigling, einen Verräter geschimpft, ein Krebsgeschwür in der Gesellschaft, ein Messer im Rücken Israels genannt Er wurde bedroht, auch mit körperlicher Gewalt. Ich habe fast zwanzig Jahre später verweigert. Viele Israelis im Militär, aber auch in der zivilen Gesellschaft, waren mit mir nicht einverstanden. Viele Leute haben mir gesagt, dass ich falsch liege, dass ich unrecht habe, dass ich einen schweren Fehler begehe. Aber niemand hat mich bedroht, niemand hat mir gesagt, dass ich ein Verräter oder ein Feigling sei. Ganz im Gegenteil, viele Leute habe mir und meiner Art von Protest große Anerkennung und Respekt entgegengebracht. Wir Verweigerer verweigern ja nicht, weil wir Israel im Stich lassen wollen. Wir machen uns Sorgen um unser Land. Wir wollen mit unserer Verweigerung Israel schützen und aus dieser ausweglosen Situation führen. Laut Umfragen unterstützt uns ein Viertel der Bevölkerung. Das wäre vor 20 Jahren unmöglich, ja undenkbar gewesen.

die furche: Doch die Mehrheit der Israelis hat Ariel Sharon gewählt, im Bewusstsein, dass er das Schlachtfeld dem Verhandlungstisch vorzieht.

tamir: Wenn ich nach den größten Unterstützern Sharons suche, dann finde ich sie nicht in der israelischen Gesellschaft. Die wichtigsten Alliierten Sharons sitzen im Dschihad, in der Hamas, bei den Extremisten in der palästinensischen Autorität. Sharons Macht und Autorität steht und fällt mit der Angst in Israel. Diese terroristischen Organisationen, die Anschläge gegen die israelische Zivilbevölkerung durchführen, untermauern und rechtfertigen Sharons Weltanschauung. Sharon sagt in der Früh, wir führen Krieg, und zu Mittag wird er durch einen Terroranschlag bestätigt.

die furche: Sie wurden durch die Friedensbewegung "Yesh Gvul" ("Es gibt eine Grenze!") unterstützt. Was ist das Ziel dieser Organisation?

tamir: Yesh Gvul organisiert moralische, politische, soziale aber auch finanzielle Unterstützung für Verweigerer und ihre Familien. Sie müssen wissen, der Militärdienst hat in Israel eine große gesellschaftliche Bedeutung. Nein zum Militär zu sagen, ist nicht leicht. Für große Teile der israelischen Gesellschaft, für viele soziale Beziehungen ist die Armee der Klebstoff. Einen Befehl zu verweigern, war für mich zuerst einmal selbst ein Schock. Dieses Gefühl zu überwinden, dabei hat mir Yesh Gvul sehr gut geholfen. Yesh Gvul will den Protest im Militär selbst kanalisieren. Wir wissen, dass Verweigerung im Militär Auswirkungen hat. Und wir möchten nicht die militärische Arena, die militärische Sphäre nur den anderen überlassen.

die furche: Welchen anderen?

tamir: Wenn alle Friedensbewegten aus dem Militär austreten, wird das Militär nur den Nationalisten, Semifaschisten oder anderen gewaltbereiten Leuten überlassen. Ich glaube, das ist in jedem Staat - auch hier in Europa - so. Jede Gesellschaft, die das Militär den Extremisten überlässt, bekommt früher oder später ein großes Problem. Deshalb sagt Yesh Gvul: Verweigere nicht das ganze Militär. Geh in den Militärdienst. Akzeptiere alle legalen und moralisch gerechtfertigte Befehle. Aber jeder Soldat soll auch ein kritischer Beobachter dieser Befehle sein.

die furche: Wie kann man Yesh Gvul unterstützen?

tamir: Wir möchten die israelische Gesellschaft und die Armee von innen her verändern. Zuerst brauchen wir moralische Unterstützung für jeden Soldaten der verweigert. Ich habe Solidarbekundungen aus aller Welt bekommen. Das ist für einen Verweigerer ungemein wichtig. Wir brauchen auch politische Unterstützung von friedensengagierten Parteien und Organisationen, und wir brauchen schließlich finanzielle Unterstützung für die Familien jener Verweigerer, die im Gefängnis sind.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

"Es gibt eine Grenze!"

"Yesh Gvul" ("Es gibt eine Grenze!") ist eine israelische Friedensbewegung, die jene Soldaten unterstützt, die den Missbrauch militärischer Gewalt für unwürdige Zwecke - Angriffskriege oder die gewaltsame Unterwerfung einer Zivilbevölkerung - ablehnen. Im Gegensatz zum Pazifismus oder der generellen Verweigerung aus Gewissensgründen, anerkennt diese "selektive Verweigerung" Umstände, in denen Gewalt als gerechtfertigt erscheint. Dazu gehören die Befreiung von fremder Tyrannei oder die Verteidigung des Landes gegen eine äußere Aggression.

Mit dieser selektiven Verweigerung eröffnet sich für jene zahlreichen Soldaten ein Ausweg, die das Vorgehen der israelischen Armee gegen die Palästinenser in ein schweres moralisches und politisches Dilemma treibt. Denn es wird von ihnen verlangt, eine Politik zu unterstützen, die sie für illegal und unmoralisch halten.

Yesh Gvul wurde als Antwort auf den israelischen Einmarsch in den Libanon im Jahre 1982 gegründet. Der Ausbruch der palästinensischen Intifada führte zu weiteren Verweigerungen. Und seit dem Ausbruch der Zweiten Intifada haben sich bereits über 1.100 Reservisten geweigert, in den besetzten Gebieten Dienst zu leisten.

Weitere Informationen unter: www.yesh-gvul.org

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