"Wird es knapp, profitieren DIE GROSSEN"

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Meinungsforscherin Eva Zeglovits über taktisches Wählen, das Aussterben der Stammwähler, die Ehrlichkeit von Umfragern und darüber, wieso es jetzt noch keine Wetterprognosen für den 15. Oktober gibt. | Das Gespräch führte Martin Tschiderer | Mitarbeit: Mickey Manakas

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Meinungsforscherin Eva Zeglovits über taktisches Wählen, das Aussterben der Stammwähler, die Ehrlichkeit von Umfragern und darüber, wieso es jetzt noch keine Wetterprognosen für den 15. Oktober gibt. | Das Gespräch führte Martin Tschiderer | Mitarbeit: Mickey Manakas

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Iln der Wiener Teinfaltstraße sitzt Eva Zeglovits in Sichtweite zu den Zentren der Macht. Denn das Meinungsforschungsinstitut IFES, für das sie arbeitet, liegt keine 100 Meter entfernt vom Café Landtmann, das Politiker und Medienmenschen so gerne frequentieren. Und auch die Löwelstraße, in der Spitzenpolitiker gleich zweier Parlamentsparteien ein und aus gehen, ist ums Eck. Im Gespräch mit der FURCHE analysiert die Politologin die Chancen der Parteien bei der Wahl im Herbst.

Die Furche: Frau Zeglovits, bei der Nationalratswahl könnten so viele Parteien antreten wie noch nie. Haben Sie noch den Überblick, welche es alle sein werden?

eva Zeglovits: Es gibt diesmal mehr Parteien mit prominenten Akteuren, von denen man manchen den Parlamentseinzug zutrauen kann. Besonders spannend wird, ob die Liste Peter Pilz den Einzug schafft. Unübersichtlich war diesmal die Frage: Welche Personen kandidieren jetzt wo und wie heißen die Parteien eigentlich? Ab Mai mussten wir ständig die Parteibezeichnungen und Spitzenkandidaten ändern (lacht). Es hat gedauert, bis Mitterlehner und Glawischnig aus allen Umfragen draußen waren und überall der richtige Listenname stand.

Die Furche: Kleinparteien wie KPÖ, Christen oder die Männerpartei dürften den Einzug kaum schaffen. Gibt es eine Liste, der Sie am ehesten etwas zutrauen würden?

Zeglovits: Für die Kleinen ist es ganz schwierig, besonders wenn sie eher lokal oder regional verankert sind. Tritt etwa Karl Schnell mit einer Art Salzburger Liste an, wird es schwierig sein, damit im Burgenland Stimmen zu bekommen. Männerpartei und Christen spielen nur im Westen eine Rolle. Ausschließen kann man aber nichts. Läuft der Wahlkampf eher darauf hinaus, welche der drei großen Parteien erster wird, dürfte es für die Kleinen besonders schwierig werden. Hat man als Wähler nämlich den Eindruck, der Einzug für eine kleine Partei wird knapp, ist man vielleicht geneigt, seine Stimme einer der drei großen zu geben, um mitzuentscheiden, wer erster wird.

Die Furche: Auch wenn die meisten Kleinen letztlich nicht ins Parlament kommen werden: Würden Sie sagen, dass die heimische Parteienlandschaft im Umbruch ist?

Zeglovits: Bei der vergangenen Wahl hatten wir die Phänomene NEOS und Team Stronach - das war ein größerer Umbruch. Das Team Stronach bekam damals viele Proteststimmen Unzufriedener. Vielleicht fühlen sich heute viele davon auch wieder bei einer der etablierten Parteien wohl. Abgesehen von der Liste Pilz sind die ja die selben - trotz ausgetauschter Namen und Spitzenkandidaten. Es gab einiges an Umbruch innerhalb der Parteien, aber einen Umbruch im Parteiensystem würde ich daraus nicht interpretieren.

Die Furche: Seit Jahren diskutiert man über SPÖ und ÖVP als ehemalige Großparteien im Erosionsprozess, lange führte die FPÖ in allen Umfragen. Nach Wechseln an der Spitze sind sowohl Schwarz als auch Rot wieder groß im Rennen. Leben Totgesagte länger?

Zeglovits: Es gibt drei zentrale Motive, die FPÖ zu wählen: Unzufriedenheit mit der Regierung, Unzufriedenheit mit der EU und ein Wunsch nach restriktiver Zuwanderungspolitik. Das Thema EU zieht seit dem Brexit nicht besonders. Bei der Zuwanderung gibt es ein Gerangel, wer die strengsten Positionen hat. Die ÖVP unter Kurz ist für Wähler, denen dieses Thema wichtig ist, ähnlich attraktiv wie die FPÖ. Unzufriedenheit mit der Regierung könnte durch die neuen Köpfe bei ÖVP und SPÖ zum Teil abgefangen werden. All das macht den Freiheitlichen das Leben etwas schwerer. Sie liegen in Umfragen aber nach wie vor sehr gut. Ein Phänomen existiert aber: Stammwähler, die bei jeder Wahl die gleiche Partei wählen, gibt es immer weniger. Auch die großen Parteien müssen jedes Mal um ihre Wähler kämpfen und sie möglichst gut mobilisieren.

Die Furche: Der vermutete Dreikampf an der Spitze wird es für die kleineren Parteien nicht gerade einfach machen. Werden Sie durch den Kampf der drei Goliaths um Platz eins zerrieben?

Zeglovits: Es wird für sie nicht leicht. Der Wettbewerb um Platz eins wird viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, denn darüber lässt sich gut berichten. Es ist für die Kleinen aber sicher möglich, sich durch gezielte Themensetzung und Inszenierung von den Großen zu unterscheiden. Ulrike Lunacek etwa wird voraussichtlich die einzige weibliche Spitzenkandidatin sein. Dadurch kann sie auffallen. Neben Migration, Wirtschaft und Arbeitsplätzen, ein bisschen Bildung und Gesundheit bleiben zudem viele Themen von den Großen unbehandelt - die könnten die Kleinparteien für sich nützen.

Die Furche: Ob eine Liste in den Nationalrat einzieht, hat auch Auswirkungen auf die Mandatsanzahl der anderen Parlamentsparteien. Konkret: Sollten etwa die NEOS den Einzug kein zweites Mal schaffen, wem würde das am meisten nützen?

Zeglovits: Es würde proportional den stimmstärksten Parteien nützen. Es sind 183 Mandate zu vergeben. Entfallen beispielsweise zehn Prozent der Stimmen auf Parteien, die den Einzug ins Parlament nicht schafften, werden die restlichen 90 Prozent auf die Parteien im Nationalrat verteilt. Je mehr Stimmen auf Listen entfallen, die den Einzug nicht schaffen, desto mehr nützt es den großen Parlamentsfraktionen. Einer Partei, die 40 Prozent bekommt, nützt es vier Mal so viel wie einer mit zehn Prozent. Dass die NEOS den Einzug nicht schaffen, halte ich aber für unwahrscheinlich.

Die Furche: Wird der Antritt von Peter Pilz mittels eigener Liste vor allem für die Grünen schmerzhaft? In welchen Lagern könnte er sonst am meisten wildern?

Zeglovits: Noch ist nicht klar, wie sein Wahlkampf aussehen wird. Es wird mit Korruption und Kontrolle zu tun haben, sonst ist noch vieles offen. Ich halte es daher nicht für sicher, dass Pilz vor allem grüne Stimmen bekommt. Das Problem der Grünen ist auch weniger, dass Peter Pilz geht, sondern wie damit umgegangen wurde: Wähler bekamen den Eindruck, dass es chaotisch ist und Krisenkommunikation nicht funktioniert.

Die Furche: Wäre es theoretisch denkbar, dass die Grünen durch die internen Turbulenzen und den Antritt von Pilz nach 31 Jahren aus dem Parlament fliegen könnten?

Zeglovits: Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Für die Grünen ist thematisch viel Platz, weil sich die SPÖ beim Thema Zuwanderung ein Stück weit den Positionen von FPÖ und ÖVP angenähert hat. Dass die Grünen das nicht nützen können, kann ich mir nicht vorstellen.

Die Furche: Meinungsforscher gerieten zuletzt wegen falscher Prognosen unter Beschuss - etwa bei der Bundespräsidentenwahl, beim Brexit oder bei der Wahl von Donald Trump. Wie zuverlässig sind die Umfragen für die Nationalratswahl?

Zeglovits: Nimmt man die Umfragen als das, was sie sind -nämlich Momentaufnahmen - halte ich sie für zuverlässig. Umfragen werden aber gerne als Prognosen ausgegeben - zu Zeitpunkten, wo die nicht möglich sind. Es gibt jetzt auch noch keine Wetterprognosen für den 15. Oktober. Wir wissen, dass ein Fünftel bis ein Viertel aller Wähler sich erst in den Tagen vor der Wahl entscheidet. Wenn die also selbst noch nicht wissen, wen sie wählen: Woher soll es die Umfrage wissen? Es braucht die Ehrlichkeit, Umfragen als das zu bezeichnen, was sie sind - sowohl auf Seiten jener, die die Umfragen machen, als auch jener, die darüber schreiben.

Die Furche: Die Schwankungsbreite war in vielen Umfragen wegen kleiner Samples hoch. Der Verband der Meinungsforschungsinstitute hat nun Richtlinien erarbeitet - wichtigster Punkt: Mindestens 800 Befragte.

Zeglovits: Früher wurden oft Umfragen mit 400 Befragten publiziert. Davon sagen vielleicht 300, welche Partei sie wählen. Alle Schätzungen basieren dann auf 300 Personen - das ist einfach zu wenig. Je mehr Leute ich befrage, desto weniger schwanken die Aussagen. Mindestens 800 Befragte sind ein Kompromiss aus: Wie viel ist finanzierbar und was ist halbwegs seriös.

Die Furche: Ihre persönliche Prognose für die Wahl?

Zeglovits: Ich sehe die drei großen Parteien tatsächlich als die drei Großen. Trotz Startvorteils für die Liste Kurz halte ich aber für offen, wer erster wird. Eine Prognose traue ich mich jedenfalls zu machen: Ich gehe davon aus, dass die Wahlbeteiligung steigen wird. Denn erstens gibt es ein neues Angebot an Parteien und Köpfen. Zweitens wird es eine spannende Wahl - und das Gefühl, es könnte knapp werden, hebt immer die Wahlbeteiligung.

Interview zum Thema: Ein Gespräch mit der grünen Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek lesen Sie auf Seite 9.

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