Wissen wir noch, wer wir sind?

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Besorgt schrieb jüngst ein Leitartikler: "Unser Kleinstaat schwebt orientierungslos durch den europäischen Kosmos" und warf dann gleich brisante Fragen auf: Wie viel nationalen Spielraum lässt uns das europäische und globale Umfeld noch? Wie viel an Veränderung und Bewahrung brauchen wir, um in turbulenten Zeiten wir selbst zu bleiben? Wer sind die politisch lebendigen Kräfte in unserem Land? Vor allem aber: Was prägt Österreichs Identität? Denn: "Unabhängigkeit und Neutralität können nicht reiner Selbstzweck sein. Staat und Behörden brauchten zu ihrer Legitimation eine Art Staatsidee!"

Ich gestehe: In den oben zitierten Sätzen habe ich ein wichtiges Wort verändert: Statt "Österreich" stand da "Schweiz". Der Titel des Leitartikels in der Neuen Zürcher Zeitung hieß: "Schweiz ohne Fundament". Erstaunlich, gelten doch gerade die Schweizer als Paradefall eines auf festen Werten ruhenden Staatsvolkes.

Prompt sind mir beim Lesen brisante Fragen in den Sinn gekommen:

Wissen wir Österreicher eigentlich, wer wir sind - jenseits von Unabhängigkeit und Neutralität? Was ist unsere eigene Handschrift und macht uns unverwechselbar? Gibt es bei uns überhaupt ein Nachdenken über unsere Chancen und Risiken in Europa und der Welt? Haben wir eine zeitgemäße Staatsidee - und ein halbwegs gemeinsames Staatsziel?

Zwei Anlässe sind es, die diesen Fragen jetzt eine besondere Aktualität geben:

* Das Jubiläum von 60 Jahre Freiheit und Neutralität, das uns - auch mit guten Argumenten - wieder einmal dazu verleitet, uns heftig auf die Schultern zu klopfen?

* Und die kommende Bundespräsidentenwahl. Schon werden landesweit große Werbeflächen gemietet. Und erste Bewerber(innen) stellen sich bereits den Medien.

Bundespräsident als Vor- und Leitbild

Kein anderes Amt ist sosehr für das Grundsätzliche zuständig, also auch für Staatsidee und Staatsziele. Und kein anderes erlaubt, ja erfordert ein ähnlich hohes Maß an Nachdenklichkeit und Weitsicht über den Weg dieses Landes, jenseits jeder Parteipolitik.

Vielleicht habe ich ein überhöhtes Bild des österreichischen Bundespräsidenten. Aber die ersten Medien-Fragen an mögliche Kandidaten waren leider von genau jener Kurzatmigkeit geprägt, die - offenbar unvermeidlich - unseren politischen Alltag dominiert: Wie hältst Du es mit homosexuellen Partnerschaften? Wie mit der Ganztagsschule? Wie mit einer FPÖ-Regierungsbeteiligung? Usw.

Ist es das, wozu wir ein Staatsoberhaupt brauchen? Einen verlängerten Arm des immer Gleichen?

Ja, das wohl auch - Heinz Fischers Erbe (Erbin) wird sich hinter den Kulissen um manchen Konsens und Kompromiss kümmern müssen. Aber doch nicht nur! Ich bin überzeugt, dass auch künftige Bundespräsidenten noch andere Talente und Überzeugungen haben sollten, um diesem Land als Vor- und Leitbilder zu dienen. Weite und Tiefe sind gefragt, heute vielleicht mehr denn je!

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