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Der französische Starphilosoph Bernard-Henri Lévy hat ein Jahr lang den Fall des in Pakistan ermordeten US-Journalisten Daniel Pearl recherchiert.

Bernard-Henri Lévy konnte und kann nicht umhin, den jüngsten Irakkrieg für einen "einzigartigen Fehler historischen Kalküls" zu halten. Als Hohn schlechthin erscheint ihm die Tatsache, dass man in die an und für sich fragwürdige Koalition im Kampf gegen den Diktator von Bagdad ausgerechnet jenes Pakistan einreihen wollte, das sich seinen eigenen Beobachtungen nach auf dem besten Weg dazu befindet, "das eigentliche Haus des Teufels" zu werden. Was war denn Saddam Hussein mehr als "ein Tyrann in seinem Herbst, ein Fantom der Geschichte des 20. Jahrhunderts, während dort (in Pakistan; Anm.) die barbarischen Koordinaten von morgen gezogen werden", schreibt der französische Philosoph, Publizist, Romancier, Cineast und Weltreisende im Vorwort zu seinem jüngsten, im April erschienenen Buch mit dem Titel "Qui a tué Daniel Pearl?"

Wer hat Daniel Pearl getötet, den Südasien-Korrespondenten des Wall Street Journal, der am 23. Jänner 2002 in der pakistanischen Hafenstadt Karachi entführt und acht Tage danach vor laufender Videokamera enthauptet wurde? Wer waren die Täter, in welchem Umfeld operierten sie und warum wollten sie Pearl für immer zum Schweigen bringen? Das sind die Fragen, denen BHL, wie ihn die Franzosen kurz nennen, in einer einjährigen Recherchearbeit nachgegangen ist. Sie hat ihn genau in jener Zeit, in der George Bush und Tony Blair den Blick der Welt auf den Irak fixierten, nach Karachi, Los Angeles und London, Sarajewo, Islamabad und Dubai, Kandahar, Neu Delhi und Rawalpindi und immer wieder zurück nach Karachi geführt.

Größter Schurke: Pakistan

Das Resümee, das Lévy auf Seite 525 seines 538 Seiten dicken Werkes zieht: "Ich behaupte, dass Pakistan der schurkenhafteste aller Schurkenstaaten ist. Ich behaupte, dass da, zwischen Islamabad und Karachi, ein wirkliches schwarzes Loch im Entstehen ist, gegen das sich das Bagdad von Saddam Hussein ausnimmt wie eine Müllhalde für veraltete Waffen. Über diesen Städten liegt der Geruch der Apokalypse; und das ist es, davon bin ich überzeugt, was Danny gerochen hatte."

Daniel Pearl musste - Lévys Thesen zufolge - sterben, nicht weil ein paar islamistische Fanatiker in dem Amerikaner und Juden ein ideales Opfer sahen, sondern weil er zu viel wusste. Hatte nicht der pakistanische Staatschef Pervez Musharraf selbst festgestellt, dass Pearl "overintrusive", zu neugierig, gewesen sei, dass er Fragen nachgegangen sei, von denen er besser seine Finger gelassen hätte, wie Lévy mehrfach in Erinnerung ruft. Der Mord an Pearl wurde seiner Ansicht nach von der radikalsten und antiamerikanischsten aller Fraktionen, die um die Vorherrschaft im pakistanischen Geheimdienst ISI ringen, verübt, wobei der noch 2002 offiziell als Drahtzieher verurteilte Omar Sheikh ein Agent von ISI und Al Kaida war. Es handelt sich um ein "Staatsverbrechen, gewollt und gedeckt [...] vom pakistanischen Staat", betont Lévy - wobei er allerdings die Frage offen lässt, wer diesen Staat nun tatsächlich regiert, der Präsident oder der Geheimdienst.

Drei miteinander direkt verwobene Themenbereiche nennt Lévy, bei denen Pearl den pakistanischen Machthabern offenkundig zu weit gegangen war. Zum einen die Erkundung der engen Verbindungen zwischen dem Geheimdienst und Al Kaida. Dann sein Versuch - der ihn in die Falle von Omar Sheikh führte -, Pir Mubarak Shah Gilani zu treffen, den Leiter der angeblich in den USA fest verwurzelten mörderischen Sekte al-Fuqrah. Dieser Gilani, der Mann im Hintergrund, könnte, mutmaßt Lévy, gar der geistige Vater von Osama bin Laden und zugleich dem "pakistanischen wie auch - wer weiß? - amerikanischen Geheimdienst verbunden" sein.

Pearl war laut Lévy schließlich auch auf dem besten Weg dazu, das doppelte Spiel des pakistanischen Staates zu belegen, der auf der einen Seite den braven Alliierten der USA mimt und auf der anderen mit Hilfe seiner eigenen Atomwissenschafter die nukleare Proliferation vorantreibt. Könnte Pearl an einer Liste jener hohen ISI-Männer gearbeitet haben, die eine islamistische Bombe befürworten und "bereit wären, bei einem Technologietransfer an terroristische Gruppen ein Auge zuzudrücken?"

Bei seinen Recherchen hat BHL weder Zeit noch Mühe noch Risken gescheut. Er hat hochrangige Politiker, Islamisten diverser Couleurs, Experten für islamistische Netzwerke, Geheimdienstler, Anwälte, Journalisten, Diplomaten und Finanzexperten getroffen. Er hat die pakistanischen und internationalen Medienberichte eingehend und kritisch studiert und sich darüberhinaus Zugang zu offiziellen Dokumenten wie auch einem Tagebuch von Omar verschafft. Er hat den Lebensweg von Pearl und Sheikh nachgezeichnet, mit Familienangehörigen, Freunden und Bekannten, ehemaligen Lehrern und Mitarbeitern gesprochen. Und er hat, so weit möglich, die von den beiden in der Zeit unmittelbar vor dem Verbrechen besuchten Orte selbst aufgesucht wie auch die von ihnen kontaktierten Personen selbst kontaktiert. Er hat sich selbstverständlich auch an den Tatort begeben.

Dass vieles von dem, was Lévy schildert, nicht neu ist, ansatz- oder gerüchteweise bereits in den großen internationalen Medien zu lesen war, mindert nicht die Bedeutung seiner Arbeit. So wie in seinem Buch zusammengetragen, ist die Fülle der Informationen zum Fall Pearl nirgendwo sonst vorzufinden. Noch dazu gewährt der Autor Einblick in Konzeption und Aufbau seiner Recherche, in die Schwierigkeiten und Leerläufe, die Zweifel und Irrwege, die vielen Augenblicke, in denen er ansteht, in denen sich jede Wahrheit entzieht und er auf reine Vermutungen angewiesen ist.

Doch an dieser Grenze zur Mutmaßung macht Lévy nicht Halt, er will sich nicht mit der Erforschung des Erforschbaren begnügen. Er will, wie er gleich am Anfang schreibt, sich auf die Spuren Pearls "bis zum Augenblick seines Todes und dessen, was er in diesem Augenblick durchgemacht hat", begeben. Wo es an Quellen und Spuren mangelt, hat er seine "Arbeit als Schriftsteller gemacht" und auf "die Methode des Romanquête", der romancierten Recherchearbeit, zurückgegriffen.

Was ging Pearl, den Lévy nie persönlich kennengelernt hatte, in seinen letzten Lebensmomenten durch den Kopf? Wir werden es nie wissen. Wie verbrachte Omar Sheikh die letzte Nacht vor der Entführung und war er selbst am Ort des Geschehens? Der Verurteilte könnte es eines Tages preisgeben, derzeit ist es nicht bekannt. BHL aber füllt Seiten über die angebliche Befindlichkeit Sheikhs, des in Großbritannien aufgewachsenen Sohns liberaler pakistanischer Einwanderer, Schachexperten und einstigen Studenten an der London School of Economics, der zu einem der führenden Terroristen werden sollte, zum Verbindungsmann zwischen ISI und Al Kaida und Financier der Anschläge vom 11. September. Hat dieser "Lieblingssohn" von Osama bin Laden die fragwürdige Nacht wirklich verbracht, wie Lévy es imaginiert: "er zittert vor Kälte - und er schläft schlecht?" Galten einige der letzten Gedanken Pearls tatsächlich seiner damals schwangeren Frau Mariane: "Er denkt an Mariane, am letzten Abend, so begehrenswert, so schön - was wollen die Frauen, im Grunde? die Leidenschaft? die Ewigkeit?"

An der Grenze zur Fiktion

Es stimmt schon, am Beginn derartiger Passagen finden sich oft Wörter wie "nehmen wir an", "ich wage zu behaupten" und andere Begriffe, die die Unsicherheit, das Nichtwissen und den Übergang in die Intuition und Fiktion signalisieren. Doch die gleichen oder ähnliche Wörter verwendet Lévy das gesamte Werk hindurch an jenen Stellen, wo die Fakten nicht ausreichen mögen, aber doch mit Sicherheit oder zumindest einiger Wahrscheinlichkeit auf etwas hindeuten. Was steht also fest, was ist hinlänglich bewiesen, was weitgehend, was unzureichend oder gar nicht? Wie sicher ist der Boden, auf dem der Autor jeweils seine Thesen gründet? Lévy selbst verweigert die einwandfreie Gewichtung der schieren Überfülle an Informationen, die er zu diesem so komplexen Thema zusammengetragen hat.

"Qui a tué Daniel Pearl?" steht in Frankreich seit Wochen auf den Bestsellerlisten. Die führenden Medien des Landes preisen vorbehaltlos das Buch, an dessen Ende Lévy ein, wenn auch nicht neues, so doch apokalyptisches Szenario anspricht: Abdul Qadir Khan, der Vater der 1998 getesteten pakistanischen Atombombe, ist demnach Mitglied von Lashkar e-Toiba, einer der Terrororganisationen im engsten Umkreis von Al Kaida. Der Besitzer der Bombencodes ist somit Bin Laden verbunden. Damit ist offenkundig, was passieren würde, sollte Musharraf stürzen und ein Gotteskrieger ihm nachfolgen. "Die Clique ist schon da. Die Gottesfanatiker sind an ihren Plätzen. Sie haben, da sie sie schließlich erfunden haben, den Schlüssel, den Zugangscode für die Silos, die Übertragungssysteme und die pakistanischen Raketenköpfe."

Qui a tué Daniel Pearl?

Von Bernard-Henri Lévy

Editions Grasset, Paris 2003

538 Seiten, e 20,00

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