Wölfe belauern Kurdistan

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Gefahren von innen und außen bedrohen die kurdische Insel des Friedens im Irak.

Seit im Zweistromland Widerstand und Terror immer blutiger toben, gelten Suleymania, Erbil und Dohuk, die drei Provinzen des sich seit 1992 selbst verwaltenden Kurdistan, als "der andere Irak", als eine Insel der Ruhe inmitten des Infernos. Hier suchen US-Soldaten Erholung und reiche Iraker ein Leben in gesichertem Luxus. Das Geld fließt wie nie zuvor in diesem jahrzehntelang durch Bagdads Diktatoren, durch Kriege und internationale Sanktionen so gepeinigten Land.

Während die Menschen im Rest des Iraks um ihr Leben zittern, erlebt die Bauwirtschaft in Kurdistan Hochkonjunktur. Ein im Bau befindlicher 33-stöckiges Hochhaus in Erbil, das 5000 Geschäfte beherbergen soll, symbolisiert das einzigartige Wirtschaftswachstum. Das irakische Unternehmen "al Sharq al Awsat" errichtet das Zentrum als Teil seines 3,5 Milliarden Dollar Investitionsprogramms im Nord-Irak. Fünf Universitäten bieten neue Bildungschancen. Zwei große Flughäfen öffnen den Kurden erstmals in ihrer Geschichte den direkten Weg zur Welt, ohne auf die Gnade der feindlichen Nachbarn angewiesen zu sein. Um den Flughafen von Erbil entsteht eine "Traumstadt": 1200 Luxus-Villen hinter farbenfrohen Zäunen im Kaufwert von je 150.000 bis 600.000 Dollar. Neue Spitäler, Einkaufszentren, Bürogebäude springen aus dem Boden. Suleymania wuchs in den vergangenen vier Jahren beinahe auf die doppelte Größe an.

Urlaubsziel für Golfaraber?

In Erbil, der Hauptstadt Kurdistans, ist eine Medien-Stadt geplant, um internationale Journalisten zur Berichterstattung über die Region anzulocken. Vier-Sterne-Hotels gibt es schon auf dem Reißbrett, denn "wir brauchen drei-bis viermal so viele Hotels und viel mehr Fluggesellschaften, die hierher fliegen", erläutert Tourismusminister Nimrud Youkhana. Kurdistan mit seinen herrlichen Flüssen und hohen Bergen soll nach dem Willen seiner Politiker das erste Erholungszentrum für reiche Golfaraber werden. Auch von einem neuen Geschäftszentrum der Region, einem "Singapur des Mittleren Ostens", träumen die Verantwortlichen. Mehr als 5800 Unternehmen, davon 1900 ausländische, sind heute in Kurdistan registriert. "Wir erleben hier eine Erfolgsgeschichte des Iraks", würdigt Mohammed Ihsan, der für die Verhandlungen über den Status der Vielvölkerstadt Kirkuk zuständige Minister. Tatsächlich: Im Gegensatz zum Rest des Landes zeichnet sich Kurdistan durch eine weitgehend tolerante Gesellschaft aus, durch ein funktionierendes Parlament und eine weit effizienter arbeitende Regierung als in Bagdad. Vor allem aber sind es die rund Hunderttausend hochdisziplinierten, motivierten und kampferprobten kurdischen Peshmergas - die ehemaligen Guerillatruppen Kurdistans - die dieser Region das hohe Maß an Sicherheit bescheren.

Doch es lauern Wölfe an den Grenzen dieses Paradieses. Gefahren von außen und von innen bedrohen Ruhe und Stabilität. Wie stets in der Geschichte, gönnen die Nachbarn den Kurden Selbständigkeit und Frieden nicht. Die Türkei lässt seit Monaten Zehntausende Soldaten an der Grenze zum Nord-Irak aufmarschieren und droht mit einer Invasion, um die sich im Nachbargebiet verschanzten anti-türkischen kurdischen Guerillas der PKK zu verjagen. Der Iran konzentriert an seiner Grenze zu Kurdistan Truppen und bombardiert kurdische Dörfer, um die mit der PKK verbündete iranisch-kurdische Guerillagruppe PJAK zu zerschlagen. Das nicht genug, versprachen die bislang engsten Freunde der Kurden, die Amerikaner, auch noch den türkischen Militärs Finanzhilfe zum Angriff auf die PKK.

Zweifelhafte Rolle der USA

Von beiden Nachbarn bedrängt und besorgt, die USA als Garanten ihrer Sicherheit zu verlieren, setzen die Kurden ihren beträchtlichen Einfluss in Bagdad ein, damit der Streitpunkt Kirkuk gelöst wird. Der schwerbedrängte irakische Premier Maliki kann sich nur mit kurdischer Unterstützung an der Macht halten. Dafür versprach er, die Vorbereitungen für das umstrittene, doch in der Verfassung vorgeschriebene Referendum über Kirkuk und andere nicht der autonomen Kurdenregion angeschlossene Kurdengebiete voranzutreiben. Dieser Konflikt ist ständig Quelle neuer Gewalt, die sich zuletzt gegen kurdisch-jesidische Dörfer entlud. Eine friedliche Lösung für Kirkuk - das "Herz Kurdistans" - und andere kurdische Regionen wird entscheidend für den ökonomischen Aufschwung, die Stabilität der Region sowie für den Erfolg des demokratischen Kurdenexperiments sein.

Große Chance verspielen?

Trotz des enormen Geldflusses nach Kurdistan (allein in diesem Jahr 6,8 Milliarden Dollar aus der nationalen Ölkasse) wächst unter der Bevölkerung die Unzufriedenheit. Während, wie vorhin beschrieben, unzählige Luxus- und Prestigeprojekte gebaut werden, ist eine vollständige Strom- und Wasserversorgung für die einfache Bevölkerung nicht garantiert. Die Preise steigen enorm: Ein Essen in einem Mittelklasse-Restaurant kostet heute 25 Dollar pro Person, fast fünfmal so viel wie noch vor drei Jahren. Ein großer Teil der neuen Projekte bietet der heimischen Bevölkerung kaum Arbeitsplätze, da die Projektleiter meist die qualifizierten Arbeitskräfte aus dem Ausland mitbringen, obwohl es dafür in Kurdistan reiches Angebot gäbe.

Die Regionalregierung versucht nun nach dem Vorbild der reichen Ölstaaten junge Kurden in den bürokratischen Apparat einzugliedern, gewährt ihnen aber nur ein Gehalt von durchschnittlich 180 Dollar. Wo doch allein die Mieten für eine Einfamilienwohnung schon über 400 Dollar im Monat betragen. Kurdische Ökonomen klagen über fehlendes strategische Planen ihrer Führer. Weder Industrie noch Landwirtschaft werden gefördert. Lebensmittelgeschäfte bieten fast nur importierte Güter an. Das heißt, die Basis für ökonomische Unabhängigkeit fehlt. Das alles lässt die Gruppe der Unzufriedenen anwachsen. Unter ihnen finden die feindlichen Nachbarn mit ihren zerstörerischen Absichten sowie Radikale im restlichen Irak einen willkommenen Nährboden - und die Kurden könnten dadurch die größte Chance ihrer Geschichte verspielen.

Die Autorin ist Nahost-Korrespondentin.

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