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Wohnungsreform als Vorrangproblem

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Auch in der Wohnungsfrage kommt man über die wirtschaftliche Erfahrungstatsache nicht hinweg, daß sich Mangelerscheinungen einfach nicht beseitigen lassen, indem man durch die Entwicklung zumindest teilweise überholte Zwangsmaßnahmen verewigt und das Problem auf diese Weise einfrieren läßt. Dadurch nimmt man dem natürlichen Entwicklungsprozeß jede Chance und fördert so geradezu jene Mißstände, die stets dort aufzutauchen pflegen, wo der Bedarf keineswegs gedeckt werden kann. Je länger derartige Engpässe bestehen, um so stärker treten die Mißstände in Erscheinung, um so unübersichtlicher wird die Situation, um so schwieriger gestaltet sich seine Grundreform, die den Übergang zu gesunden Verhältnissen ermöglicht.

Diese ‘allgemein gültige Regel finden Wir heute in der österreichischen Wohnungswirtschaft recht plastisch bestätigt. Die seit mehr als 40 Jahren praktisch unverändert bestehenden Verhältnisse sind die Hauptursache, weshalb das Wohnungswesen im Gegensatz zu den meisten anderen Wirtschaftsbereichen noch immer die Achillesferse im Wohlstandsgefüge bildet. Darunter leidet vor allem die Jugend, die bei der mit jeder Hausstandsgründung verbundenen Suche nach einem eigenen Heim oft vor unüberwindbaren, zumeist finanziellen Schwierigkeiten steht.

So sehen wir uns heute in Österreich auf dem Neubausektor einem vielfältig aufgefächerten System verschiedener Förderungsmaßnahmen mit stark differenzierten Konditionen gegenüber, was wiederum zu sehr unterschiedlichen Belastungen der Wohnungswerber selbst bei Heimen gleicher Güte führt. Unbestreitbar stellt dies ebenso ein grobes soziales Unrecht dar wie der leider vielfach unter dem Schirm des Mietenschutzes betriebene Mißbrauch mit Wohn- raum, indem die Not von Mitbürgern durch Ablöse- und Untermietenwucher aus unvertretbaren, rein gewinnsüchtigen Motiven schamlos ausgenützt wird. Ein besonders trauriges Kapitel egoistischer Rücksichtslosigkeit bildet auch die sehr stark verbreitete Hortung von kaum ausgenützten Zweit- und Drittwohnungen, eine Erscheinung, die durch den Mieterschutz dadurch gefördert wird, daß solche Wohnungen eben nahezu nichts kosten.

Die unbestrittenen Segnungen des Mieterschutzes, der doch bloß das Dach über dem Kopf sichern soll, werden solcherart zum Fluch für tausende Familien. Darum müssen gerade gegen solche Auswüchse zielführende Maßnahmen ergriffen werden, um den ursprünglich angestrebten Zweck der Schutzbestimmungen — jenen soziale Sicherheit zu geben, die wirklich bedürftig sind — wieder zu erreichen.

Wenn man heute bei der ersten sich bietenden Chance darangeht, die Wohnungswirtschaft auf eine neue Grundlage zu stellen, so verlangt die eben beleuchtete Situation eine umfassende Neuordnung des Gesamtkomplexes, soll das Entstehen neuerlich ungerechter Verhältnisse vermieden werden.

Ich habe wiederholt betont, daß parallel zur Vereinheitlichung der Wohnbauförderungsmaßnahmen auch auf dem Sektor des erhaltungswürdigen Altbestandes notwendige Initiativen zu ergreifen sind. Ohne die Einbeziehungen des Altbestandes in die Reformpläne läßt sich die Wohnungsnot in überschaubaren Zeiträumen nicht beseitigen. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte beweisen dies deutlich, in denen sowohl quantitativ wie qualitativ mehr gebaut wurde als jemals zuvor. Die heute schon weitgehend ausgelastete Bauwirtschaft, die ihre Leistungskraft im Zeichen des Arbeitskräftemangels wohl nur noch in sehr engen Grenzen durch Rationalisierung und Technisierung wird steigern können, stellt gegenwärtig im Jahr etwa

45.0 Neubauwohnungen zur Verfügung. Dennoch nimmt die Zahl der Interessenten kaum spürbar ab, ein Phänomen, das sich in erster Linie aus den wohlstandsbedingt wachsenden Qualitätsansprüchen der Bevölkerung erklären läßt. Wenn es jedoch gelingt, die gehorteten Wohnungen dem Wohnungsmarkt zur Verfügung zu stellen, brächte dies ohne Aufwand eine spürbare Entspannung der Verhältnisse. So sind etwa in der Bundeshauptstadt Wien seit Jahren konstant

30.0 Wohnungswerber bei den Wohnungsämtern vorgemerkt, während es nach verläßlichen Schätzungen in der Bundeshauptstadt, eine mindestens gleich große Zahl gehorteter Wohnungen gibt! Vor wenigen Wochen wurden nun die Grundzüge für die Gesamtreform les Wohnungswesens festgelegt. Die Detaii-

konzepte werden nun im Ministerkomitee und in Expertengesprächen gemäß diesen Richtlinien über den Sommer erarbeitet, damit sich hoffentlich noch’ im Herbst ein eigener Parlamentsausschuß aller im Nationalrat vertretenen Parteien mit der Ausarbeitung der hierfür erforderlichen Rechtsnormen befassen kann.

Beim Neubausektor geht es zunächst einmal um die Zusammenführung der drei bisher weitgehend getrennt operierenden Förderungsmaßnahmen des Wohnhaus-Wiederaufbaufonds, des Bundeswohn- und Siedlungsfonds und der Wohnbauförderung 1954 zu einem Instrument mit einheitlichen Konditionen. Das neue Kompetenzgesetz, das diese drei Einrichtungen zunächst einmal dem von mir geführten Bundesministerium für Bauten und Technik unterstellte, brachte bereits einen ersten Schritt in dieser Richtung, wird es doch im Rahmen der gesetzlich bestehenden Gegebenheiten möglich sein, etwa auf dem Gebiet des Vergabewesens zu koordinierten Maßnahmen zu kommen. Als „kleine Reform“ soll schon im kommenden Herbst auch beim Bundeswohn- und Siedlungsfonds das so segensreiche System der Eigentumswohnung durch Gesetzesnovelle ermöglicht werden.

Ich rechne mit Bestimmtheit damit, daß nach einer notwendigen Übergangsphase bereits im Jahre 1968 — sowohl hinsichtlich der rechtlichen Grundlagen als auch der praktischen Durchführung — der Verschmelzungsprozeß nahtlos bewerkstelligt sein wird. Ab diesem Zeitpunkt soll die Finanzierung nicht bloß nach einheitlichen Gesichtspunkten erfolgen, sondern auch auf einer wesentlich verbreiterten Basis stehen. Nach wie vor wird die öffentliche Hand im Rahmen einer sogenannten Sockelfinanzierung im Ausmaß von 50 bis 60 Prozent die Hauptlast der Wohnbaudarlehen tragen, die allerdings zum überwiegenden Teil nicht mehr zentral, sondern gemäß dem gesunden föderalistischen Prinzip durch die Länder vergeben werden sollen. Von den Wohnungswerbem selbst wird in Zukunft gerechterweise ebenfalls eine Eigenleistung verlangt werden, die man mit einem Anteil von 10 Prozent bewußt niedrig halten möchte, damit auch einkommensschwächere Bevölkerungskreise in den Genuß solcher Wohnungen kommen können. Das Restkapital soll schließlich über den Kreditmarkt aufgebracht werden, wobei besonders den Bausparkassen hier eine wichtige Aufgabe zufallen wird. Der Ausschaltung von Härtefällen wird die Subjektförderung dienen, die ein nach Einkommensverhältnissen und Familienstand orientiertes Beihilfen- system darstellt.

Von dieser klaren Neuordnung verspricht man sich vor allem eine weitgehende Entbürokratisierung und Entlastung beim Wohnungsneubau und erhofft sich zusammen mit den von der Bauwirtschaft selbst eingeleiteten Rationalisierungsmaßnahmen eine Steigerung der Bauleistung auf jährlich 50.000 Einheiten. Gleichzeitig mit diesen Maßnahmen wird man auch die Lockerung der erstarrten Verhältnisse beim Altbestand behutsam vornehmen, wobei sich die Experten darüber einig sind, daß dies ohne eine generelle Mietzinserhöhung ermöglicht werden kann. Deshalb wird man eine freie Mietzinsbildung bloß für freie oder freiwerdende Wohnungen zulassen, um vor allem dem Ablöseunwesen zu begegnen. Dabei wird allerdings eine Obergrenze für diese freien Mietzinse festzulegen sein. Es ist weiter daran gedacht, im Rahmen der Mietengesetzgebung Bestimmungen einzubauen, durch die der Kündigungsschutz für gehortete Wohnungen aufgehoben werden soll. Mit der gleichen Maßnahme wird voraussichtlich auch der Untermietenwucher bekämpft werden.

Als oberster Grundsatz für alle derartigen Regelungen gilt der Gedanke, daß jeder Wohnungswerber, jede Familie nur Anspruch auf eine begünstigte Wohnung besitzt, gleichgültig, ob die Begünstigung durch den Mieterschutz oder durch öffentliche Förderungsmaßnahmen beim Bau der Wohnung selbst begründet worden ist. Inhaber von aus öffentlichen Mitteln geförderten Zweitwohnungen werden daher zu entscheiden haben, ob sie den in Anspruch genommenen Kredit unverzüglich rückzahlen oder die Wohnung einem wirklich bedürftigen Werber überlassen wollen.

Es gibt keinen Zweifel, daß sich die Mißstände, die im Laufe von 40 Jahren zu einem gewaltigen Paket angeschwollen sind, keineswegs über Nacht aus der Welt schaffen lassen. In den nächsten Jahren werden gewiß schon deutliche Entspannunigstendenzen auf dem Wohnungsmarkt in Richtung auf eine Normalisierung der Verhältnisse fühlbar werden.

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