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Im oberösterreichischen Stift Schlägl suchten zwei Vertreter einer jüngeren Theologengeneration - die Schweizer evangelische Theologin ina praetorius und max deeg, Religionswissenschafter an der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Wien -nach einer zeitgenössischen Antwort auf diese Frage.

Ina Praetorius: Brauche ich überhaupt Religion? Vor ungefähr 20 Jahren hätte ich diese Frage zwar nicht entschlossen verneint, aber entschlossen in der Schwebe gelassen. Damals, in meinen autonomisierenden zwanziger Jahren, war Religion für mich in erster Linie eine Lehre, die ich vor allem kritisierte. Dass ich damals, bevor ich zum Beispiel, wie ich es auch heute noch tue, ein Rednerpult bestieg, um den durchgehenden Patriarchalismus der jüdisch-christlichen Tradition zu entlarven, vorher manchmal ein Stoßgebet irgendwohin schickte, um zum Beispiel meine Nervosität in Schach zu halten, das schien mir damals unwesentlich. Hätte jemand vor 20 Jahren meine Stoßgebete hören können, mich vielleicht sogar darauf angesprochen, wäre ich peinlich berührt gewesen ...

Religion - ein offener Begriff

Max Deeg: Vermag die Begriffsgeschichte des lateinischen Wortes religio nicht weiter zu helfen, so erscheint es noch unmöglicher, in den verschiedenen historischen Religionen für das, was wir als Merkmalbündel mit Religion zu bezeichnen bereit sind, völlig kongruente Begrifflichkeiten in den Religionen zu finden. Weder entspricht der hinduistische oder buddhistische Begriff des Dharma noch der chinesische Begriff des Tao dem vollständig, was mit dem offenen Begriffsfeld Religion tatsächlich gemeint ist. Am radikalsten kulturwissenschaftlich offen ist ein Definitionsversuch, wie er etwa vom amerikanischen Ethnologen und Anthropologen Clifford Geertz in seinem Aufsatz "Religion als kulturelles System" gebildet wird. Geertz: "Religion ist ein Symbolsystem, das darauf zielt, starke, umfassende und dauerhafte Stimmungen und Motivationen in den Menschen zu schaffen, indem es Vorstellungen einer allgemeinen Seinsordnung formuliert und diese Vorstellungen mit einer solchen Aura von Faktizität umgibt, dass die Stimmungen und Motivationen völlig der Wirklichkeit zu entsprechen scheinen."

Religion im säkularen Feld

Deeg: Nicht zuletzt findet sich der Transfer religiöser Formen und Ausdrucksmittel aus dem Bereich der traditionellen Religionsinstitutionen in säkularen Bereichen wie dem Sport und den modernen Medien, von den totalen Massenpropaganden möchte ich gar nicht sprechen. Der Fußballverein und der Fußballfan sind hierfür ein Beispiel. Eine weitere Form ist selbstverständlich die öffentliche Inszenierung moderner Musikstars, wobei ich mir den Hinweis nicht verkneifen möchte, dass ich dieses Phänomen nicht nur auf die modernen Jugendbereiche Pop, Rock, Rap, Hiphop beschränkt, sondern seine Wurzeln, auch wenn das Vertretern von Elitekultur nicht so recht gefallen mag, in den Wagner'schen Weihespielen hat und in seiner ritualdynamischen Dimension bis zu moderner Performative Art reicht.

In diesem Zusammenhang ist aber auch das inflationäre Anwachsen von Internetseiten zu sehen, in denen Individuen oder Kleingruppen ihre Weltsichten darlegen, die zum großen Teil religiösen Inhalts sind, insofern sie sich auf religiöse Traditionen oder Teiltraditionen beziehen oder sich explizit als religiöse Entwürfe outen.

Lassen sich all diese Phänomene aus einer religiösen Binnensicht als nicht religiös wegdeuten, so kann es sich der Religionswissenschaftler nicht so einfach machen. Was ihn zu einem unbehaglichen Zeitgenossen macht, ist die seltsame Unsicherheit hinsichtlich seines Gegenstandes: Er kann sich weder zu einer Definition noch zu einer Wesensbestimmung von Religion und einer deutlichen Abgrenzung zu einem nicht religiösen Bereich durchringen.

Den Globus im Blick

Ina Praetorius: Trotzdem gibt es Unterscheidungskriterien zwischen der Sinnstiftung, die ein Fußballspiel, und der Sinnstiftung, die ein Psalmtext vermittelt. Für mich wäre ein Kriterium, dass religiöse Texte so etwas wie die Sicht des Ganzen enthalten ... Das ist jetzt vielleicht eine ungewohnte Art, das eben nicht der Fall ist bei der Sinnstiftung durch den Fußball oder durch die Mode oder durch den Popstar. Da geht es um eine momentane Sinnstiftung, die ich für mich persönlich und meine Peergroup erfahren kann - es ist aber nicht das Ganze im Blick. Und das könnte ein zukünftiges Unterscheidungskriterium sein: Eine wirkliche, eine wahre Religion - und ich sage dieses gefährliche Wort - hat den Globus, das Ganze, vielleicht das Weltall im Blick und ist von daher dann schon nicht mehr wahr, wenn sie hinsichtlich des Heils ausgrenzt. Das wäre ein Vorschlag. Da würden natürlich auch die Kirchen drankommen. Von daher ist es durchaus auch kritisch gegenüber den traditionellen religiösen Schulen, denn auch die machen diese Abgrenzung.

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