"Wunderbare Freundschaft"

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Der moralische Status von Tieren zählt zu den Kernfragen der philosophischen Arbeit von Mark Rowlands. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er mit einem Buch über seine Beziehung zum Wolf "Brenin" bekannt, den er als Welpen erworben hatte und der ihn fortan über elf Jahre begleiten sollte. "Was es bedeutet, ein Mensch zu sein, lernte ich von einem Wolf", sagte er rückblickend. Die FURCHE traf den Professor der Universität Miami, USA, bei der Weltkonferenz zur Mensch-Tier-Beziehung (ISAZ) in Wien.

DIE FURCHE: Die Reflexion der Mensch-Tier-Beziehung fußt bei Ihnen in der konkreten Freundschaft zu einem Wolf. Wie hat sich diese Erfahrung in Ihrer Arbeit niedergeschlagen?

Mark Rowlands: Dass ich die Fragen des Unterschieds zwischen Mensch und Tier überhaupt aufgegriffen habe, kommt im Wesentlichen aus dieser wunderbaren Freundschaft. Wölfe, die mit Menschen zusammen leben, wollen typischerweise nicht allein gelassen werden und verstehen dies auch, zum Ausdruck zu bringen. Also musste ich Wolf "Brenin" überall hin mitnehmen, zum Jogging und Rugby-Training, an die Universität und auf Partys. Das heißt, wir waren in den elf Jahren kaum einmal länger außer Sichtweite. Mein ganzes Leben nahm durch diese Beziehung eine neue Form an und ich begann dadurch existenzielle Themen wie Liebe, Freundschaft, Tod, Natur und Zivilisation zu überdenken. Auch die Frage, ob Tiere moralisch sein können, begann mich damals erstmals zu beschäftigen.

DIE FURCHE: Tatsächlich haben in den letzten Jahren einige Forscher mit der Idee geliebäugelt, dass Tiere moralische Wesen sind. Was ist Ihrer Meinung nach für diese neue Sichtweise verantwortlich?

Rowlands: Die Psychologie des 20. Jahrhunderts war weithin durch die seltsame Ära des Behaviorismus geprägt, in der man innere Vorgänge gar nicht beachtete. Behavioristen würden nicht einmal auf die Idee kommen, die Psyche von Tieren zu untersuchen. Diese Strömung ist in den 1970er-Jahren verebbt, und Forscher begannen sich für das Innenleben zu interessieren. Zunächst wurden kognitive Prozesse modelliert, Jahrzehnte später rückten auch andere mentale Phänomene wie Emotionen in den Vordergrund. Heute sind Gefühle ein brandaktuelles Thema der Psychologie, und es gibt neurobiologische Erkenntnisse, wonach Emotionen bereits bei Reptilien zu finden sind. Wenn man in Tieren emotionale Lebewesen erkennt und wie der Philosoph David Hume davon ausgeht, dass moralisches Verhalten aus der Gefühlswelt erwächst, lässt sich nachvollziehen, dass Tiere heute auch mit Moralität in Zusammenhang gebracht werden.

DIE FURCHE: Warum macht es einen bedeutenden Unterschied, wenn wir Tiere als moralfähige Wesen betrachten?

Rowlands: Dadurch wird unser Denken über Tiere grundlegend verändert. Lebewesen, die fähig sind, moralisch zu handeln, verdienen eine besondere Art von Respekt. Prinzipiell könnte man sagen, dass es gut ist, wenn solche Wesen existieren. Wenn jemand einem anderen Menschen etwas Gutes tut, dann ist das begrüßenswert, selbst wenn man davon ausgeht, dass er keine Kontrolle über seine Handlungen hat. Die Idee des moralischen Respekts ist analog zum ästhetischen Respekt: Wenn jemand schöne Kunst produziert, ist das eine gute Sache, selbst wenn dies in Umnachtung geschehen sollte. Das Gute ist unabhängig von der Kontrollfähigkeit über das eigene Tun. DIE FURCHE: Manche Hirnforscher sagen ohnehin, dass wir weniger Kontrolle über unsere Handlungen haben als gemeinhin angenommen. Was halten Sie davon? Rowlands: Es könnte sein, dass uns Neurowissenschaftler demonstrieren, dass es letztlich keine Autonomie und Kontrolle gibt. Aber selbst wenn die Deterministen recht haben und es zutrifft, dass wir keinen freien Willen haben, würde das nicht das Ende unserer Moralität bedeuten. Weil es noch immer Sinn macht, etwas als gut oder böse zu bewerten.

DIE FURCHE: In wissenschaftlichen Debatten gewinnt man den Eindruck, dass der Status des Tieres zunehmend aufgewertet wird. Wie könnte denn die Beziehung von Mensch und Tier in zwei oder drei Jahrzehnten aussehen?

Rowlands: Ich bin da nicht so optimistisch. Allerdings habe ich den Verdacht, dass die Fleisch-Industrie, wie wir sie heute kennen, bald verschwinden wird -nicht weil die Menschen im Umgang mit den Tieren moralischer werden, sondern weil das System ökologisch nicht mehr tragbar sein wird. Die Fleisch-Industrie verursacht mehr Treibhausgase als der gesamte Transport-Sektor. Wenn man sich um das Weltklima Sorgen macht, dann ist es nur logisch, das Ende dieser Industrie zu fordern. Und es hängen weitere Probleme damit zusammen: Verschleiß von Wasser-Ressourcen und dramatische Austrocknung, ein gigantisches Ausmaß an Exkrementen ohne entsprechende Abwasser-Systeme, dadurch bedingt Mikroben-Bildung mit Antibiotika-Resistenz. Aber hoffentlich gibt es bald Alternativen: Wir sind ja bereits in der Lage, Fleisch aus tierischen Zellen künstlich herzustellen -auch wenn heute ein solcher Burger noch unleistbar wäre.

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