Wurmstichige Koalition?

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Schwarz-Blau II: Aus Anlass des Starts der alten neuen Regierung lud die Furche zur Journalistenjause. Bei Guglhupf & Rotwein debattierten Reinhard Olt, Österreich-Korrespondent der "Frankfurter Allgemeinen", sowie Thomas Mayer, Chef vom Dienst beim "Standard".

Reinhard Olt: Zum Einstieg möchte ich gerne den Brief einer bekennenden Furche-Leserin an die Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zitieren: "Ich verwehre mich dezidiert", heißt es in dem Schreiben, "gegen die von Ihrem Österreich-Korrespondenten geäußerte Meinung, dass Grün-Wähler Rot-Grün gewählt haben. Als schon etwas betagte christliche Wählerin aus dem bürgerlichen Lager wollte ich mit meiner Entscheidung wirkliche Werte in die Politik hineinreklamieren: soziales Verhalten, Umweltschutz und Menschlichkeit."

Thomas Mayer: Was haben Sie denn in Ihrem Kommentar geschrieben, dass dieser Widerspruch laut wurde?

Olt: Ich hab' geschrieben, dass Schwarz-Grün nicht funktionieren konnte. Schüssel konnte nicht mir nichts dir nichts über 600.000 ehemalige FPÖ-Wähler, die dieses Mal der ÖVP die Stimme gegeben haben, in eine schwarz-grüne Koalition mitnehmen. Das wäre ein Verstoß gegen die politische Arithmetik gewesen.

Mayer: Woher wissen wir denn so genau, dass diese Leute eine Fortsetzung der schwarz-blauen Koalition wollten? Das funktioniert ja nur, wenn wir Tausende Wähler in irgendwelche Lager zwingen. Das war ja der Denkfehler der grünen Parteiführung in der ersten Zeit nach der Wahl. Und plötzlich ist man draufgekommen: Moment Mal, das politische Spektrum innerhalb der Grünen ist ja riesig. Und meine Vermutung ist, dass das bei den anderen Parteien nicht anders ist.

Olt: Die einzige Nicht-Lager-Partei sind die Grünen. Dort finden sich beide klassischen Flügel, und ein Vereinigungsprozess beider Gruppen hat in Wirklichkeit noch nicht stattgefunden. Diese Kluft wird nur überdeckt.

Mayer: Die ÖVP, wie sie sich jetzt präsentiert, zeigt doch auch nicht das ganze Bild dieser Partei. Die Volkspartei ist in wenigen Jahren zu dem geworden, was die SPÖ 1975 war: ein Kanzlerwahlverein. Eine Partei, in der der Kanzler sagen kann: Nulldefizit. Und alle singen Halleluja. Dann sagt der Kanzler: Kein Nulldefizit mehr. Und was sagt die Partei: Wenn der große Häuptling befiehlt, ist das wunderbar.

Olt: Das Problem, vor dem wir als Beobachter standen, war doch, dass der Faktor Stabilität bei einer Koalition mit den Grünen genauso mit Fragezeichen zu versehen gewesen wäre, wie jetzt mit der FPÖ.

Mayer: Das Stabilitätsargument wurde doch als Kampfinstrument missbraucht. Von vornherein zu sagen, diese Regierung sei stabil und diese nicht, ist reine Propaganda, um sich eine inhaltliche Auseinandersetzung zu ersparen. Wir sehen jetzt das Ergebnis: Im Regierungsprogramm steht, wir kaufen Abfangjäger, aber zahlen muss die nächste Regierung. Dann wird eine nachhaltige Umweltsteuer verkündet - die sich beim zweiten Blick als reine Geldbeschaffungsaktion herausstellt. Eine machtpolitische Stabilität gibt es. Wo der Chef sagt: Seid still, sonst geht alles den Bach runter. Aber eine inhaltliche Stabilität sehe ich beim besten Willen nicht.

Olt: Ich bin überzeugt, dass Schüssel und andere, die in dieser Partei noch halbwegs etwas zu sagen haben, verliebt in den Gedanken waren, mit Schwarz-Grün etwas Neues zu bringen.

Die Furche: Eine Alternative zum Neuen, das die erste Wende im Februar 2000 gebracht hat?

Olt: Das Wort "Wende", sagte mir Schüssel neulich, habe er nie verwendet, das seien andere gewesen. Aber Schwarz-Grün wäre sicher das Gegenmodell zum letzten Regierungswechsel gewesen. Siehe da, dürften sich viele in der ÖVP gedacht haben, jetzt machen wir etwas, mit dem ihr alle nicht gerechnet habt. Jetzt sind wir nicht mehr die Bösen. Und nicht nur die deutschen Grünen hätten mit dieser Variante ihre Freude gehabt. Es gibt Hinweise, dass CDU-Politiker intensiv mit ÖVP-Vertretern in dieser Sache gesprochen und die Österreicher ermutigt haben, diesen Versuch mit den Grünen - wenn irgendwie machbar - doch zu wagen. Denn in Deutschland spukt diese Variante ja auch herum.

Mayer: Wir haben eine Variante noch nicht gespielt: die Minderheitsregierung. Wenn es Schüssel mit einer kräftigen Erneuerung des Landes Ernst gewesen ist, dann wäre es doch interessant gewesen, es ohne diesen fürchterlichen Ballast der FPÖ zu probieren. Es gibt Beispiele, siehe Schweden, wo dieses Modell wechselnder Koalitionen sehr gut funktioniert hat. Und wenn es schief gegangen wäre, hätte sich Schüssel mit einer umso größeren Glaubwürdigkeit wieder vor die Wähler stellen können.

Olt: Aber warum hätte Schüssel das tun sollen? Was er jetzt hat, ist eine ÖVP-Alleinregierung mit drei Ministern und drei Staatssekretären der FPÖ, die zwar nicht zu allem Ja und Amen sagen (dürfen), aber schlussendlich doch das vollziehen, was ihnen der Kanzler diktiert.

Mayer: Das ist schlicht falsch. Die machen nicht alles mit. Ich behaupte, die Finanz- und Steuerpolitik würde anders ausschauen, wenn sie der Herr Schüssel allein hätte formulieren können. Die Steuerreform, wie sie jetzt drinnen steht, ist schon tot, bevor sie begonnen hat.

Die Furche: Was hätten Sie sich stattdessen an Programmatik erwartet?

Mayer: Meine Erwartung wäre gewesen, zu sagen: In den nächsten zehn Jahren wird sich das Europa um uns herum komplett verändern. Es ist höchste Zeit, dass wir uns auf die neue Situation einstellen. Diese Perspektive wird jedoch von der neuen Regierung nicht wirklich ventiliert. Da herrscht eine gewisse Beliebigkeit. Zudem wird nie über das geredet, worum es wirklich geht, z. B. Sicherheitspolitik, sondern über Ersatzhandlungen, siehe Abfangjäger.

Olt: Das nennt man politischen Pragmatismus.

Mayer: Sagen Sie bloß, Sie finden das in Ordnung!

Olt: Tatsache ist, dass mit politischer Programmatik herzlich wenig realisiert worden ist. Erfolgreiche Politiker sind halt nicht diejenigen, die ständig mit dem Parteiprogramm oder dem Regierungsübereinkommen unter dem Arm herumrennen.

Mayer: Das ist ja auch ein Grund für den Verdruss der Leute an der Politik. Wir sind in die nächste Phase der Politikverkommenheit eingetreten, die bei der Sprache beginnt. Diese Neusprechart, dem Fragesteller das Wort im Munde umzudrehen, etwas Wahres als falsch hinzustellen und umgekehrt - das scheint jetzt schon eine allgemeine Entwicklung zu sein. Wobei der Herr Haupt ja überhaupt der Avantgardist ist: Der hat eine Politiksprache entwickelt, bei der man überhaupt nichts mehr versteht.

Die Furche: Bei allem Neusprechstil - was trauen Sie der Regierung zu?

Olt: Was die zu Stande bringen werden, ist schwer zu sagen. Visionär kann da nicht viel sein. Das ist Mangelverwaltung, aber in welchem europäischen Land findet denn die nicht statt?

Mayer: Eine Regierung der Mangelverwaltung einerseits, da stimme ich Ihnen zu, und der reinen Machterhaltung andererseits. Das oberste Ziel von Schwarz-Blau ist, gemeinsam an der Macht zu bleiben. Diese Koalition ist auch so eine wurmstichige Angelegenheit, weil sich jetzt herausstellt, dass die Regierung in den letzten Jahren bei weitem nicht so erfolgreich war, wie es ihre Anhänger den Leuten immer weis zu machen versucht haben. Insgesamt mache ich mir aber um Österreich keine Sorgen, dazu sind wir zu gut - und das ist unser Glück - in die europäische Union eingebunden.

Die Furche: Etliche Kommentatoren, die die "Wende" 2000 positiv beurteilt haben, sind heute desillusioniert und dementsprechend zurückhaltender in der Bewertung. Gilt das auch für Sie, Herr Olt?

Olt: Desillusioniert bin ich nicht. Weil man immer - um mit Odo Marquard zu reden - Skeptiker bleibt, bei allem was man beobachtet und was man vielleicht anfangs für gut und richtig hält, das dann aber allmählich verschwimmt oder in seiner Wirkkraft nachlässt. Und das, kann ich gestehen, war bei Schwarz-Blau so. Genauso skeptisch bin ich jetzt bei der Wiederauflage dieser Koalition. Aber ich halte sie, bei allem, was ich in meinen neun Jahren hier in Österreich erlebt habe, immer noch für die akzeptabelste Lösung.

Das Gespräch moderierten Wolfgang Machreich und Rudolf Mitlöhner.

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