X-mal angeklagt, eingesperrt, fast ermordet - nun: gewählt

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Er habe längst aufgehört, die Verfahren gegen ihn zu zählen, meinte Akin Birdal vor einigen Jahren in einem Interview: "Ich war schon so oft bei der Staatsanwaltschaft und bei Gericht - das ist nach meinem Haus und dem Menschenrechts-Verein meine zweite Adresse." Nun hat es Birdal geschafft - er ist einer von 23 kurdischen "Unabhängigen", die bei der Wahl in der Türkei am Sonntag einen Parlamentssitz erobern konnten: eine nicht minder große Sensation wie der Erdrutschssieg von Recep Tayyip Erdogan und seiner AKP.

Dabei hatte 1980 die damalige Militärjunta eine 10-Prozent-Klausel eingeführt, um gerade kurdische Parteien vom Parlament fernzuhalten. Die Kurdenpartei DTP trat daher bei der jüngsten Wahl auch nicht an, sondern schickte ihre Politiker als Unabhängige ins Rennen um Direktmandate; in den Kurdenhochburgen Südostanatoliens rund um die Stadt Diyabakir fuhren diese fulminante Wahlsiege mit bis zu 60 Prozent der Stimmen ein.

20 Abgeordnete können im türkischen Parlament eine Fraktion bilden - man darf also davon ausgehen, dass es in Ankara demnächst eine kurdische Parlamentsfraktion geben wird. Unter den Gewählten sind Prominente wie der Chef der DTP Ahmet Türk oder der Rechtsanwalt Hasip Kaplan, der den zum Tod verurteilten und zu lebenslanger Haft begnadigten Chef der verbotenen radikalen Kurden-Partei PKK, Abdullah Öcalan, verteidigt hat. Eine frischgebackene Abgeordnete, Sebahat Tuncel, sitzt zur Zeit wegen des Verdachts der PKK-Mitgliedschaft in Untersuchungshaft und wird erst freikommen, wenn ihre parlamentarische Immunität in Kraft tritt.

Der knapp 60-Jährige Akin Birdal ist wahrscheinlich der im Westen Bekannteteste dieser neu gewählten Parlamentarier. Als langjähriger Vorsitzender des türkischen Menschenrechtsvereins IHD trat er nicht nur für die Rechte der Kurden ein - und war für die türkischen Behörden ein rotes Tuch: Einmal habe er Staatsorgane beleidigt, dann wieder "separatistische Äußerungen" getan, ein anderes Mal habe er im Ausland die Türkei aufgefordert, sich der Geschichte des Massaker an der Armeniern zu stellen usw.

Im Juni 1998 wurde Akin Birdal in seinem Büro überfallen und von sechs Kugeln lebensgefährlich verletzt - später nahm die Polizei einige Ultranationalisten wegen des Mordanschlags fest. Noch nicht genesen musste Birdal wieder vor Gericht, wurde zu einer Haftstrafe verurteilt, die wegen seiner Rekonvaleszenz ein wenig aufgeschoben, dann aber doch verhängt wurde. Als er im gleichen Jahr mit dem Menschenrechtspreis von der deutschen Sektion von Amnesty International ausgezeichnet wurde, mussten deren Vertreter in die Türkei kommen, weil Birdal die Ausreise verwehrt worden war.

Weil er im Gefängnis saß, gabBirdal den Vorsitz des Menschenrechtsvereins IHD, den er 1986 mitgegründet hatte, ab: Der Verein wäre sonst von den Behörden verboten worden. Zahlreiche westliche Politiker - von Fraktionen des Europaparlaments bis zum damaligen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel intervenierten für ein Ende der vielfältigen Verfolgungen Birdals.

Wie er und seine kurdischen Mitabgeordneten sich nun politisch entfalten können, wird eine der Nagelproben für die Europareife der Türkei sein. Kurdische "Erfahrungen" mit dem türkischen Parlamentarismus gibt es genug: 1994 waren einige wenige kurdische Abgeordnete in die Volksvertretung eingezogen. Als aber ihre Wortführerin Leyla Zana den Amtseid auf Kurdisch sprach, wurden sie und ihre Mitstreiter aus dem Parlament entfernt und zu Gefängnisstrafen verurteilt - sie saßen mehr als 10 Jahre hinter Gittern! Wegen dieser Vorstrafe durfte Zana bei der Wahl am Sonntag auch nicht kandidieren.

Bürgerrechtler wie Akin Birdal sind Repression gewohnt - können sich diesmal aber doch ausrechnen, dass die Chancen für ein zivilisiertes Verhalten der Staatsmacht nicht so schlecht sind: Wahlsieger Erdogan hat ja einmal mehr bekräftigt, den Weg nach Europa fortsetzen zu wollen. Gerade über die Menschenrechte wird die EU mit Argusaugen wachen. ofri/APA

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