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Was Österreich und Deutschland trennt, ist nicht nur die gemeinsame Sprache, sondern auch die Qualität der Ansprachen seiner Politiker im Zeitraum der Pandemie. Das nimmt nicht wunder: Dass pars pro toto eine neue Staatssekretärin, die des Hochdeutschen kaum mächtig ist, unter „Normalität“ fällt, ist diesseits möglich, jenseits aber nicht.

Anders als in Deutschland entscheidet in Österreich nämlich eher Quantität denn Qualität, wer was wie wird. In „logischer“ Konsequenz ist der Wechsel im Personal, der die beiden Seiten des Ballhausplatzes strapaziert, in erster Linie den statischen Strukturen der Volkspartei aus Bünden und Ländern geschuldet und erst in zweiter Linie den dynamischen Charismen und Kompetenzen von Menschen.

Dass all das in einem so rasanten Tempo erfolgt, das vielen Beobachtern im In- und Ausland den Atem nimmt, hätte Alexander Van der Bellen als Garant einer „eleganten“ Verfassung jedenfalls längst anders kommentieren müssen als humoresk: Heiser kichern und vage mahnen verdient selbst Kritik. Rebus sic stantibus braucht es vielmehr würdigen Ernst und deutliche Strenge, wie sie Frank-Walter Steinmeier beständig zum Ein- und Ausdruck bringt. Nur so wird das scharfe Wort, die wichtigste Waffe eines Präsidenten, zur festen Tat.

Gefallenes „Wunderkind“

Kommen wir von der Krise eines Staates zu der einer Bewegung: Dass Republik und Volkspartei mit Sebastian Kurz ein „Wunderkind“ verlieren, wie es deutschsprachige wie amerikanische Zeitungen beschreiben („Wunderkind“ ist ein deutsches Lehnwort im Englischen), bezeichnet die aktuelle Tragik von Mensch und Partei, der mythologischen Figur des Ikarus vergleichbar dem Himmel ganz nahe kommen zu wollen, ohne sich der Gefahr bewusst zu sein, sich dabei an den Strahlen der Sonne zu verbrennen. Eben hatte sein Vater Dädalus noch einen Weg aus dem Labyrinth auf Erden gefunden, da suchte sein Sohn schon ein Ziel gegen Himmel. Er stürzte ab: Die Anmaßung ist es, die den unreifen Knaben zu Fall bringt und kein Überleben gewährt.

Bleiben wir beim Vergleich von Österreich mit Deutschland: Parallel geht die Krise der ÖVP nämlich mit einer solchen der CDU. Beide Schwesterparteien tragen Trauer, und wer hätte gedacht, dass der offizielle Zapfenstreich für Angela Merkel am selben Tag zum inoffiziellen für Sebastian Kurz wird. Mit Karl Nehammer verfügen die österreichischen Christdemokraten immerhin über einen neuen Vorsitzenden, während die deutschen abermals um einen solchen ringen. Außerdem verbleibt die ÖVP an der Macht, die CDU hingegen verliert sie. Das ist umso entscheidender für beide, als sich Volksparteien traditionell eher über das Regieren denn über das Opponieren definieren.

Dass Karl Nehammer in seiner ersten Ansprache als designierter Obmann sogleich auf die personalen Werte der Freiheit und Verantwortung sowie auf den subsidiären Wert der Solidarität verwies, gereicht ihm nicht nur ideologisch zur Ehre, sondern schildert – neben seiner Abwertung von Farbe als Marketing – auch eine weitere schwarze Distanz zum türkisen Wording, wonach Eigenverantwortung, pointiert gesagt, viel galt und Fremdverantwortung wenig. Gerade die Christdemokratie muss sich aber an das biblische Doppelgebot erinnern wollen: neben Gott den Nächsten zu lieben wie sich selbst. Zuwendung zu sich vollendet sich also in dieser zum Anderen und in jener zum Höchsten.

Gehen wir noch einen Schritt weiter: Wenn wir ehrlich sind, spricht einiges dafür, dass wir in Österreich seit rund fünf Jahren nicht mehr in der Zweiten Republik, sondern in einer Dritten leben. Obwohl die Verfassung – ebenso übrigens wie bei Erster und Zweiter Republik – die selbe ist, erscheint es fraglich, ob sie angesichts des markanten Wandels von Theorie in Praxis heutzutage die gleiche bleibt.

So gesehen wird der neue Kanzler seine Weichen gegen extreme Ränder links wie rechts und für eine radikale Mitte zu stellen haben. Ansonsten droht wohl auch ihm, dem Offizier, früher oder später ein Zapfenstreich – ebenso wie dem Ober­befehlshaber des Bundesheeres selbst.

Der Autor war von 1991 bis 1995 Sekretär von ÖVP-Obmann Erhard Busek und ist Herausgeber des biennalen „Jahrbuchs für politische Beratung“ (Ed. mezzogiorno).

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