Zeichen an Europas Wand

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Nun auch noch Straßburg. Als wären die europäischen Nöte nicht schon bedrängend genug, hat nun auch der (mutmaßlich) islamistische Terror wieder zugeschlagen. Die Gemengelage ist deprimierend: das "Brexit-Chaos" in Großbritannien (siehe auch S. 12), die "Gelbwesten"-Proteste in Frankreich - die jeweiligen politischen Spitzen der beiden Länder schwer unter Druck; dazu das wichtigste EU-Land, Deutschland, mit einer Kanzlerin, die nun auch ganz offiziell ein Ablaufdatum auf der Stirn trägt; weiters der Budgetstreit mit Italien, dessen Sprengkraft nicht unterschätzt werden sollte (Italien "retten" wie Griechenland?); osteuropäische Länder, die sich deutlich vom bisherigen EU-Mainstream des Juncker-Merkel-Europa absetzen; und neben und über allem die Migrationskrise. Die Wahlen zum Europäischen Parlament im kommenden Jahr werfen ihre Schatten voraus, sie könnten das bisher vertraute Gefüge ordentlich durcheinander wirbeln, wenn es den großen Parteien -Christ- und Sozialdemokraten nicht noch gelingt, das Ruder herumzureißen und zumindest einen Teil jener Glaubwürdigkeit wiederzugewinnen, welche sie sukzessive verspielt haben.

Signalfarbe Gelb

Das Gelb der gilets jaunes ist auch im metaphorischen Sinne eine Signalfarbe: Kaum je ward ein Hoffnungsträger so schnell entzaubert wie Emmanuel Macron. Nicht nur für die Grande Nation, sondern weit darüber hinaus galt der französische Präsident als ein role model für eine Politik, welche die alten Kategorisierungen von rechts und links hinter sich lässt, und zukunftstaugliche Lösungen entwickelt. Nun gilt er, der doch sowohl nach den Gesetzen moderner Mediengesellschaften als auch der Logik der political correctness zufolge eigentlich (fast) alles richtig gemacht hatte, als abgehoben und elitär. Einmal mehr rächt sich auch hier der Anti-Elitenfuror der Achtundsechziger. Die Entwicklung ist freilich brandgefährlich: Wenn Leute, die gut aussehen, intelligent wirken, weltläufig auftreten, womöglich Absolventen von sogenannten Elite-Bildungseinrichtungen sind und einen all dem entsprechenden Lebensstandard erreicht haben, unter Generalverdacht stehen, haben wir ein Problem. Und zwar alle, nicht nur die Eliten. Denn solche werden wir - in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft -künftig noch dringender brauchen als bisher.

Jenseits von links und rechts?

Ein Stück weit diskreditiert ist aber auch die Rede von der Überwindung des Links-Rechts-Schemas. Deren Zweck ist meistens ohnedies nur, sich gegen die Zuschreibung "links" zu wehren -um eine bestimmte Politik nicht ideologisch zu brandmarken, sondern ihr die Aura einer allgemein einsichtigen Vernünftigkeit und Richtigkeit zu verleihen. Demgegenüber gilt indes als völlig klar, was "rechts" bedeutet und dass man sich davon klar abzugrenzen habe. Aber man kann natürlich die Begriffe "links" und "rechts" für obsolet erklären und andere dafür finden. Das ändert jedoch nichts daran, dass es nach wie vor auf politische Fragen aller Art unterschiedliche Antworten gibt und dass man gerade in der Politik sich für eine bestimmte Antwort entscheiden muss. Das Abwägen, Nachdenken, das Einerseits/Andrerseits ist gut und wichtig (und Aufgabe von Medienleuten, Intellektuellen, Kulturschaffenden etc.). In der Politik gilt letztlich immer: tertium non datur (ein Drittes gibt es nicht), es gilt buchstäblich Farbe zu bekennen. Was stets bedeutet, sich bei bestimmten Gruppen unbeliebt zu machen (etwas, was Politiker freilich habituell scheuen).

"Wir haben vermutlich unterschiedliche Weltbilder", sagte jüngst Bundeskanzler Kurz in Richtung Opposition bei einer Nationalratssitzung. Und das ist gut so, darf man ergänzen. Und der Streit darüber macht den Kern von Politik aus.

rudolf.mitloehner@furche.at |

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