Zeitgemäße Sicherheitspolitik

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Österreich hat seine Neutralität immer mit Solidarität verbunden. Das ist nach wie vor zeitgemäß.

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Österreich hat seine Neutralität immer mit Solidarität verbunden. Das ist nach wie vor zeitgemäß.

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Ein Teil des österreichischen Parteienspektrums - vor allem ÖVP und FPÖ - meint, daß Österreich seine Neutralität über Bord werfen und der NATO beitreten sollte. Hinzugefügt wird, daß wir spätestens seit Abschluß des Amsterdamer Vertrages oder sogar mit EU-Beitritt ohnehin nicht mehr neutral seien. Dazu sei angemerkt, das Neutralitätsgesetz gilt nach wie vor. Bei Abschluß und Ratifizierung des Amsterdamer Vertrages haben das auch ÖVP-Vertreter bekräftigt, selbst wenn sie sich ungern daran erinnern lassen. Außerdem haben ÖVP-Spitzenpolitiker, wie Alois Mock, vor dem EU-Beitritt hoch und heilig versprochen, daß Österreichs Neutralität dadurch nicht eingeschränkt würde, sondern EU-Mitgliedschaft und Neutralität miteinander vereinbar sind.

Ich bin der Meinung - und darin weiß ich mich bei der Mehrheit der Österreicher - daß sich die bewährte, international anerkannte, in der Verfassung verankerte Neutralität in Kombination mit Solidarität nach wie vor und auch für die Zukunft sinnvoll ist. Nicht nur für Österreich, sondern auch für unsere Nachbarn, für die EU und für Gesamteuropa.

Dafür sprechen zahlreiche Argumente: Die Neutralität ist zeitgemäß. Österreichs Neutralitätspolitik war nie statisch, sondern hat sich angesichts der Veränderungen in Europa und der Welt den Erfordernissen angepaßt und dynamisch weiterentwickelt. Die Kernpunkte: * keine Beteiligung an kriegerischen Konflikten * keine Stationierung fremder Truppen * kein Beitritt zu einem Militärbündnis - sind jedoch unverändert geblieben und erlauben die aktive Mitwirkung an der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU.

Neutralität und Solidarität sind für mich keine Gegensätze, wie insbesondere von ÖVP-Seite behauptet wird. Unser Neutralitätsverständnis war nie ein wertfreies oder isolationistisches Österreich. Es war zwischen russischen Panzern und ungarischen Freiheitskämpfen 1956 ebenso wenig neutral, wie zwischen Warschauer-Pakt-Truppen und Prager Studenten 1968 oder zwischen serbischen Vergewaltigern und kosovarischen Opfern 1999 - weil wir moralische Neutralität und Gesinnungsneutralität immer abgelehnt haben. Aber in diesen und vielen anderen Fällen haben wir militärisch nicht eingegriffen. Unsere Solidarität praktizierten wir in anderer Weise: Mit humanitärer Hilfe für Kriegsgebiete und Flüchtlinge, politischer Mitwirkung an Friedensinitiativen und durch die Beteiligung österreichischer Truppen und Polizei an Einsätzen im Rahmen von UNO und OSZE.

Die Neutralität gewährleistet Entscheidungsfreiheit. Über seine Mitwirkung an Friedenseinsätzen - Vorbedingung war bisher und soll auch in Zukunft ein UN- oder OSZE-Mandat sein - sowie über Art und Umfang der Beteiligung hat Österreich immer nach eigenem Ermessen autonom entschieden. Bei einer Mitgliedschaft in einem Militärpakt wäre diese Entscheidungsfreiheit weitaus geringer.

Die Ereignisse auf dem Balkan haben gezeigt, daß neutrale und bündnisfreie Staaten nicht nur voll und gleichberechtigt am europäischen Krisenmanagement teilnehmen, sondern wichtige Funktionen bei Konfliktlösungen haben, die nach kriegerischen Auseinandersetzungen wie im Kosovo nötig sind: Der finnische Staatspräsident Martti Ahtisaari als Vermittler im Kosovo-Krieg, der schwedische Ex-Ministerpräsident Carl Bildt als UN-Sonderbeauftragter und der österreichische Diplomat Wolfgang Petritsch als EU-Sonderbeauftragter für den Kosovo und nun internationaler Bosnien-Beauftragter sind gute Beispiele dafür.

Ziel der sicherheitspolitischen Debatten innerhalb der EU, kann nicht sein, die EU in ein Militärbündnis zu verwandeln, sondern die zivilen und militärischen Fähigkeiten und Instrumente der EU im Bereich der Konfliktvorbeugung und des Krisenmanagements zu verbessern. Österreich kann dazu als neutraler Staat wesentlich mehr einbringen, als wenn es 20. NATO-Mitglied wäre.

Daß ein Tausch der Neutralität gegen einen NATO-Beitritt kein mehr an Sicherheit brächte, sondern nur ein Mehr an Militärausgaben die in anderen Bereichen besser investiert sind; daß es für Frieden und Stabilität Europas von Nutzen ist, wenn nicht sämtliche EU-Staaten der NATO angehören, sondern ihre Außen- und Sicherheitspolitik ein eigenes Profil hat; und daß internationale Organisationen nicht zuletzt Österreich als Sitz haben, weil es neutral ist, ließe sich noch anführen.

Einen Beitritt zur NATO würde ich heute, wo die Wahrscheinlichkeit einer militärischen Aggression gegen Österreich sich dem Grenzwert Null nähert und Europa vor anderen Herausforderungen steht, mit genau jenen Adjektiven versehen, die Neutralitätsgegner so gerne verwenden: unzeitgemäß und rückwärtsgewandt.

Der Autor ist Erster Nationalratspräsident und stellvertretender SPÖ-Vorsitzender.

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