Zivilgesellschaften Simsa - © Rainer Messerklinger (iStock/ dramatolog, iStock / kieferpix)

Zivilgesellschaft im Visier autoritärer Regierungen

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GASTKOMMENTAR. Es ist ein politischer Klimawandel, der sich deutlich spürbar vollzieht: Zivilgesellschaftliche Organisationen werden von Regierungen gezielt eingeschränkt. International – aber auch in Österreich, wie eine aktuelle Studie zeigt.

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GASTKOMMENTAR. Es ist ein politischer Klimawandel, der sich deutlich spürbar vollzieht: Zivilgesellschaftliche Organisationen werden von Regierungen gezielt eingeschränkt. International – aber auch in Österreich, wie eine aktuelle Studie zeigt.

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Es brennt, und die freiwillige Feuerwehr kommt. Die Großmutter braucht Essen auf Rädern, der Sohn Nachhilfe. Diese und andere Leistungen werden oft von Organisationen der Zivilgesellschaft erbracht. Viele als selbstverständlich wahrgenommene Aspekte unserer Kultur wurden von der Zivilgesellschaft erkämpft, vom Gleichbehandlungsgesetz bis zu Fahrradwegen. Die Zivilgesellschaft leistet also wichtige Beiträge für Lebensqualität, soziale Sicherheit und die Demokratie. Dazu tragen auch die 2,3 Millionen Menschen bei, die in Österreich regelmäßig unbezahlt Freiwilligenarbeit leisten. Die Vielfalt von Bürgerinitiativen, Protestbewegungen, Vereinen und anderen Nonprofit-Organisationen (NPOs) ist schwer wegzudenken. 90 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher sind überzeugt, dass NPOs einen entscheidenden Beitrag für unsere Gesellschaft leisten.

Der Politik ist die Zivilgesellschaft oft unbequem: Sie kritisiert, fordert, protestiert. Derzeit sind die Proteste von Schülerinnen und Schülern weit beachtet. Sie kritisieren weltweit und lautstark die Sorglosigkeit im Umgang mit der Klimakatastrophe, fordern eine radikal andere Politik, betreiben zivilen Widerstand und lernen nebenbei, sich zu organisieren. Viele NPOs sind in Bereichen tätig, die der gegenwärtigen Politik unangenehm sind: Sie helfen Migranten, stellen mit hoher Expertise die aktuelle Arbeitsmarkt- oder Sozialpolitik infrage, betreiben Frauenhäuser oder setzen sich für die Rechte von Alleinerziehenden ein. Falschmeldungen aus dem Mund von Politikern werden von zivilgesellschaftlichen Akteuren als solche geoutet und richtiggestellt.

Schleichender Prozess statt Putsch

Insbesondere autoritären Politikern sind lebendige und kritische Zivilgesellschaften ein Dorn im Auge. Autoritäre Regime entstehen immer seltener durch Militärputschs oder andere Formen massiver Gewalt, sondern in einem schleichenden Prozess oft kleiner Schritte. In diesem Prozess sind die kritische Zivilgesellschaft und unabhängige NPOs oft unter den ersten Zielen. Ungarns Regierung unter Viktor Orbán etwa schränkte nicht nur die unabhängige Presse massiv ein, sondern erschwerte die Rahmenbedingungen für bestimmte NPOs erheblich. Ähnliche Tendenzen zeigen sich in unterschiedlichem Ausmaß auch in zahlreichen anderen Ländern, die von Populisten und Autokraten regiert werden, etwa in der Türkei oder in Russland.

Der Prozess der Entwicklung autoritärer Regierungen verläuft meist in verschiedenen Stufen: Zunächst wird eine diskursive Delegitimierung der kritischen Zivilgesellschaft versucht, mittels gezielter Abwertungen. Danach wird die Partizipation in Gesetzgebung und politischen Debatten eingeschränkt und es folgen Änderungen der öffentlichen Finanzierung, weg von politisch unabhängigen zu abhängigen NPOs. Dann werden auch rechtliche Rahmenbedingungen geändert, insbesondere Grundrechte eingeschränkt. Zivilgesellschaft ist somit meist unter den ersten Zielen autoritärer Regime.

Eine aktuelle Erhebung von IGO und Wirtschaftsuniversität Wien hat Rahmenbedingungen der Zivilgesellschaft in Österreich untersucht. Der Civil Society Index – Update 2019 zeigt, dass es in Österreich deutliche Veränderungen gibt, die dem Muster der Entwicklung autoritärer Regime folgen.

Gezielte Einschüchterungsversuche

Das allgemeine Klima in Bezug auf die Zivilgesellschaft wurde schlechter. Es gibt eine deutliche Polarisierung des Diskurses, Versuche der gezielten Einschüchterung sowie eine zunehmende Delegitimierung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten in Medien und von Seiten der Politik. Den NPOs werden Profitinteressen unterstellt, ihre Arbeit wird systematisch abgewertet und eine negative, ausgrenzende Rhetorik auch von höchsten Stellen der mittlerweile abgesetzten Bundesregierung ist beobachtbar. Begriffe wie „NGO-Wahnsinn“ oder „Asyl-Industrie“ bauen bewusst ein Feindbild auf. O-Ton aus den Interviews: „Klimatisch ist es eine Eruption.“

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