Zuerst der Wahlkampf, dann die EU

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Statt Reformschritte für einen raschen EU-Beitritt zu setzen, sind die politischen Parteien in Slowenien damit beschäftigt, ihre Machtpositionen zu stärken.

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Statt Reformschritte für einen raschen EU-Beitritt zu setzen, sind die politischen Parteien in Slowenien damit beschäftigt, ihre Machtpositionen zu stärken.

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In Slowenien geht es zur Zeit politisch turbulent zu. Die erst Mitte Juni eingesetzte konservative Übergangsregierung aus der neuen "SLS+SKD Slowenischen Volkspartei" und der rechten "Sozialdemokratischen Partei" (SDS) ist nach einem Monat wieder auseinandergebrochen.

Der Grund: Das slowenische Parlament modifizierte die Verfassung und beendete einen langwierigen Streit über das Wahlgesetz. Nach der Änderung gilt weiterhin das Verhältniswahlrecht - nun allerdings mit Elementen des Mehrheitswahlrechts. Neu ist unter anderem eine Vier-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament. Das Wahlrecht wurde von der regierenden Volkspartei und - pikanterweise - der Opposition, jedoch nicht vom sozialdemokratischen Koalitionspartner beschlossen. Auch Ministerpräsident Andrej Bajuk lehnte das Gesetz ab und verließ aus Protest die Volkspartei. Mittlerweile hat er die Partei "Neues Slowenien - Christliche Volkspartei" gegründet, steht aber weiter der Regierung vor.

Laut den Befürwortern der Gesetzesreform ist das Wahlrecht jetzt so bereinigt, dass die Parlamentswahlen im Herbst stattfinden können. Es gab nämlich Bedenken über die Rechtmäßigkeit von Wahlen nach dem bisherigen Verhältniswahlrecht, weil vor vier Jahren eine Volksabstimmung für eine Änderung hin zum Mehrheitswahlrecht votierte.

Die kommenden Monate werden vom Wahlkampf geprägt sein. Die Bearbeitung politischer und wirtschaftlicher Aufgaben - vor allem die Gesetzesänderungen für die EU-Integration - bleibt hingegen liegen.

Slowenien hat sich seit der Unabhängigkeit vor neun Jahren wirtschaftlich sehr gut entwickelt. Noch nie war das Wirtschaftswachstum mit 6,3 Prozent so hoch wie in den ersten Monaten 2000. Die Industrieproduktion wuchs sogar über zehn Prozent. Die Inflationsrate sank von 9,1 Prozent (1997) auf 6,1 Prozent (1999). Die Arbeitslosenrate ist ebenfalls kontinuierlich gefallen: mit 7,5 Prozent ist sie vergleichsweise niedrig. Mit über 10.000 US-Dollar Pro-Kopf-Einkommen jährlich spielt das Land in einer Liga mit den EU-Mitgliedern Portugal und Griechenland. Ein Grund für diese Erfolgsgeschichte ist die bisherige politische Stabilität. Im Vergleich zu anderen Teilen Ex-Jugoslawiens ist Slowenien ein "demokratischer Musterknabe".

Erst kürzlich besuchte EU-Erweiterungs-Kommissar Günter Verheugen das Land. Slowenien komme auf dem Weg in die EU gut voran, attestierte Verheugen. Das Land habe die beste Startposition für den EU-Beitritt und auch in der nun beginnenden "mehr inhaltlichen" Verhandlungsphase könne man zuversichtlich auf weitere Erfolge setzen. Slowenien weist von den Beitrittskandidaten der ersten Runde das höchste Produktivitätsniveau auf. Und Verheugen bestätigte, dass Slowenien unter den ersten Kandidaten ist, die in die Union aufgenommen werden.

Der Zeitpunkt für den EU-Beitritt ist allerdings ungewiss. 2003 und 2005 werden als Daten genannt. Die politische Führung im Land drängt auf eine rasche Aufnahme. Und auch die Bevölkerung ist laut Umfragen mit über 60 Prozent für den Beitritt. Doch die innenpolitische Krise der letzten Monate verzögerte dringende Entscheidungen, vor allem bei den Strukturreformen und Anpassungen an die EU-Gesetzgebung.

Die Liste der Aufgaben ist lang: Privatisierungen, Gesetze im Bereich Telekommunikation, Medien, staatliche Verwaltung, Gesundheitssystem, Selbstverwaltung und vieles mehr. Allein in diesem Jahr müssten noch rund 50 Rechtsanpassungen verabschiedet werden. Andernfalls läuft Slowenien Gefahr, den Aufnahmezeitplan nicht mehr einzuhalten.

Die innenpolitsche Krise begann im April 2000: Nach vier Jahren scheiterte die Koalition zwischen der Slowenischen Volkspartei (SLS) und der stärksten Parlamentspartei, der Liberaldemokratischen Partei unter Ministerpräsident Janez Drnovsek. Die Volkspartei gründete daraufhin mit der Christdemokratischen Partei (SKD) die "SLS+SKD Slowenische Volkspartei", die damit stärkste Fraktion im Parlament wurde, und Ministerpräsident Drnovsek verlor im Parlament die Vertrauensabstimmung. Nun nominierten die konservativen Parteien den Wirtschaftsexperten Andrej Bajuk zum Ministerpräsidenten. Doch erst im Juni konnte sich Bajuk nach sechs Vertrauensabstimmungen durchsetzen.

Obwohl Bajuk bei seinem Amtsantritt betonte, keine "revolutionären Eingriffe" in die Personalpolitik zu machen, führte er schon bald radikale Umbesetzungen durch. So wurde etwa die Zahl der Staatssekretäre von 56 auf 40 reduziert, wovon er 21 neu ernannte. Auch in den großen Unternehmen, die mehrheitlich dem Staat gehören, wurden leitende Positionen ausgetauscht, was weitgehend auf Unverständnis stieß. Zum neuen Generaldirektor der staatlichen Telefongesellschaft wurde Marjan Podobnik, vormals Chef der Volkspartei SLS, ernannt. Auch die Post bekam eine konservative Direktorin, und bei den Banken gibt es ebenfalls personelle Veränderungen. Die jetzt oppositionellen Liberaldemokraten bezeichnen diese Personalpolitik als "Säuberung". Der politisch neutrale Rektor der Laibacher Universität, Joze Mencinger, meint, das Ganze erinnere ihn an 1945, als wichtige Posten mit "beliebigen Partisanen" besetzt wurden.

Nicht nur wegen seiner Personalpolitik sorgte Andrej Bajuk für Diskussionen. Im Mai 1945 flohen seine Eltern - wie viele Slowenen, die mit den Nazis kollaboriert hatten - über die Karawanken nach Österreich. Bajuks Eltern emigrierten weiter nach Argentinien, wo sich die Mehrheit der Emigranten ansiedelte. Bankmanager Bajuk, der auch für die Weltbank in Washington gearbeitet hatte, knüpfte bald nach der Unabhängigkeit Sloweniens Kontakte mit der Christdemokratischen Partei. Als weltläufiger Heimkehrer hatte er gute Karten, denn nach der Unabhängigkeit fehlte es den Rechtsparteien an Experten und Intellektuellen, wollten sie doch die Ex-Kommunisten vom politischen Leben ausschließen. Bajuk nützte seine Chance in der Volkspartei, bis zur Abstimmung um ein neues Wahlrecht Ende Juli, die ihn mit seiner Partei brechen ließ.

Angezettelt wurde die Änderung des Wahlrechts vom charismatischen Vorsitzenden der rechtsgerichteten Sozialdemokraten und Verteidigungsminister Janez Jansa. Dieser sah in einem Mehrheitswahlrecht, vergleichbar mit dem britischen, die einzige Chance für einen Wahlsieg der Rechten. Denn seit dem Unabhängigkeitskrieg 1991 gab es in Slowenien keine durch Wahlen zustande gekommene konservative Regierung. Da es jetzt beim Verhältniswahlrecht - mit Novellen zwar - bleibt, haben laut Meinungsforschung die linken Parteien wieder mehr Erfolgschancen.

Wie nach den Wahlen die politischen Kräfte zusammengesetzt sind, ist schwer vorauszusagen. Eines ist allerdings zu bemerken: Die Rechtsparteien haben durch die Krise in den letzten Wochen viel an Sympathie in der Bevölkerung verloren.

Der Autor ist Redakteur bei Radio Slowenien (RTV Slovenija).

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