Zuhause der Chef sein

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Hunderttausende Albaner sind in den neunziger Jahren ausgewandert. Jetzt kehren viele zurück und werden zum willkommenen Wirtschaftsmotor. Noch mehr Bedeutung haben aber die Geldüberweisungen jener, die im Ausland bleiben.

Vater und Sohn Avdian und Enver Koci strahlen. Nach anfänglichem Misstrauen gegenüber den neugierigen Fremden, die sich so nachdrücklich für ihre Geschäfte interessieren, überwiegt schnell der Stolz und die Gastfreundschaft der Albaner und sie schildern lebhaft ihre geschäftlichen Erfolge: Vor vier Jahren sind sie aus Italien zurückgekehrt, wo sie fast die ganzen 90er Jahre in diversen Restaurants, Bars und Cafés gearbeitet hatten. Mit dem ersparten Geld und den neuerlernten Fertigkeiten haben sie dann hier - im Zentrum der westalbanischen Hafenstadt Vlora - eine kleine "Piceria" eröffnet. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten und relativ hoher Lokalmiete geht das Geschäft gut. Sohn Enver konnte mittlerweile bereits sein eigenes Kleinunternehmen - wiederum klassisch italienisch - eine "Gelateria" aufbauen. Warum, fragt er schelmisch, sollte ich in Italien ein kleiner Arbeiter bleiben, wenn ich hier Chef sein kann?

Solche Fälle erfolgreicher Unternehmensgründung von rückkehrenden Emigranten sind in Albanien leider noch zu selten. Zu schwierig sind die Lebensbedingungen im Land, zu desolat und unterentwickelt noch die Infrastruktur, zu gering die allgemeine Kaufkraft. Doch sind die Investitionen rückkehrender Migranten in ganz Albanien auch aufgrund der allgemein positiven Wirtschaftsentwicklung der letzten fünf Jahre - mit Wachstumsraten um die sechs Prozent - stark im Steigen begriffen und eröffnen dem verarmten Land völlig neue Entwicklungschancen. In der gesamten Region Vlora zählte das lokale Arbeitsmarktservice zuletzt knapp 2600 private Unternehmen, wovon nicht weniger als 40 Prozent von rückkehrenden Migranten gegründet wurden. Allein im letzten Jahr wurden über 400 neue (meist Klein- und Kleinst-) Unternehmen gegründet, so gut wie alle von Rückkehrern.

Ein Viertel ausgewandert

Das eigentliche Potenzial der Rückkehrer für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes wird deutlich, wenn man einen Blick in die Geschichte der Auswanderung aus Albanien in den letzten 14 Jahren wirft. Nach dem Zusammenbruch des weitgehend isolierten kommunistischen Regimes im Jahre 1990 folgte zunächst eine erste Massenauswanderung in Richtung Italien und Griechenland. Obwohl sich die Lage ab 1993 wieder etwas stabilisiert hatte, kam es im Gefolge des Zusammenbruchs eines landesweiten Investitionsbetrugs ("Pyramidenspiels") im Jahre 1997, bei dem Hunderttausende ihre gesamten Ersparnisse verloren, zu chaotischen Zuständen und einer weiteren Auswanderungswelle. Die Volkszählung von 2001 ergab 750.000 Ausgewanderte, was bei einer verbleibenden Wohnbevölkerung von drei Millionen Albanern einem Viertel der Wohnbevölkerung und einem Drittel der erwerbstätigen Gesamtbevölkerung entspricht. Von dieser Gesamtzahl leben heute rund 500.000 in Griechenland und 200.000 in Italien, die Hälfte davon noch immer ohne legalen Aufenthaltsstatus. Trotz politischer Wirren und allgemein mangelnder Sicherheit war und ist der Großteil der Abwanderung ökonomisch motiviert - kein Wunder bei anhaltend hoher Arbeitslosigkeit von rund 30 Prozent und Monatslöhnen zwischen 100 bis 300 Euro in Albanien.

Das Wichtigste: Geld schicken

Angesichts dieser krassen Unterschiede im Wohlstandsniveau ist auch klar, dass die anhaltende Bedeutung der Auslandsalbaner für die albanische Wirtschaft nicht in einer Rückkehr von nennenswerten Teilen der Emigranten liegt, sondern vielmehr in deren Geldüberweisungen an ihre Familien im Heimatland. Seriösen Schätzungen zufolge belaufen sich diese heute bereits auf mehr als ein Drittel des Volkseinkommens und übersteigen somit sowohl Exportvolumen als auch ausländische Direktinvestitionen um ein Vielfaches. Theoretisch sollte dieser Mittelzufluss ja auch die lokale Entwicklung nachhaltig ankurbeln und so nach und nach zu einem selbsttragendem Aufschwung in Albanien führen. Das Problem dabei ist jedoch, dass ein Großteil dieser Auslandsüberweisungen ("Remissen") für die Deckung des täglichen Bedarfs - also für Konsumgüter - benötigt wird und nur ein Bruchteil in produktive Investitionen fließt. Das gleiche gilt auch für jene Migranten, die saisonal im Ausland arbeiten und dann wieder mehrere Monate im Jahr zu Hause verbringen. Ihre Mittel fließen oft in den Hausbau, was zwar zu einem regelrechten Bauboom in mehreren Städten Albaniens geführt hat, langfristig aber die Produktivität nicht heben kann.

Wenn also Investitionen in den Aufbau von Kleinunternehmen getätigt werden, so geschieht dies vor allem durch rückkehrende Emigranten: die "neue Unternehmerklasse" in Albanien, die neben ihrem bescheidenen Startkapital auch neu erlernte Fähigkeiten und Know-how mitbringt, vor allem aber den Willen, es mit ihrem in der Emigration hart erarbeiteten Geld in der Heimat zu schaffen. Auch heute fällt noch ein beträchtlicher Anteil von neu gegründeten Kleinunternehmen in die Kategorie "Kleinhandel", ein Phänomen, das der albanischen Wirtschaft schon in der Vergangenheit den Spitznamen "Kiosk-Economy" einbrachte. Daneben entfällt auch ein großer Anteil auf Dienstleistungsbranchen wie Restaurants, Bars und Hotels - gerade in den Küstenregionen entwickelt sich derzeit so etwas wie der Vorläufer einer Tourismusindustrie, der wiederum vor allem auf den lokalen Markt und die in den Sommermonaten hier urlaubenden Auslandsalbaner abzielt.

Die Heimat "sponsern"

Wichtig ist auch der Bausektor, sowie neu entstandene Zulieferfirmen in der Holz-, Aluminium- oder Glasbearbeitung, alles Bereiche, die noch vor kurzem ausschließlich aus Importen gedeckt wurden. Schließlich der Sektor Landwirtschaft: Dieser nach wie vor wichtigste Wirtschaftssektor Albaniens kämpft vor allem mit seiner Kleinteiligkeit und niedriger Produktivität. Bescheidene Investitionen fließen hier vor allem in bessere Maschinen, Transportmittel oder neue Produkte (Weinanbau, Glashäuser für Gemüseanbau), sind aber vor allem durch den eingeschränkten Marktzugang benachteiligt.

Neben den wachsenden Direktinvestitionen rückkehrender Emigranten in Kleinunternehmen und den anhaltenden Geldtransfers an die Familien der Auslandsalbaner gibt es noch eine dritte Art von Geldflüssen nach Albanien, die zunehmend an Bedeutung gewinnt: In einer wachsenden Zahl von albanischen Gemeinden gelingt es umtriebigen, wenn auch von ständiger Geldnot geplagten Lokalpolitikern, "ihre" im nahen Ausland lebenden Emigranten zu organisieren und zu kollektiven Investitionen in lokale Infrastrukturprojekte zu motivieren. Dazu muss man einerseits wissen, dass Emigranten aus bestimmten Herkunftsregionen in Albanien konzentriert in bestimmten Zielregionen in Griechenland oder Italien leben (z.B. Athen, Ioannina, Rom, Padua) und dass diese wiederum enge Beziehungen zu ihren Herkunftsregionen aufrecht erhalten.

In der direkt an Griechenland angrenzenden Region der südalbanischen Region Gjirokastra lebt eine anteilsmäßig bedeutende Minderheit von griechischsprachigen Albanern. Aufgrund der sprachlichen und geografischen Nähe ist die gesamte Region seit dem Umbruch besonders stark von der Abwanderung nach Griechenland betroffen. Migration fließt hier allerdings in beide Richtungen. Abwanderung und Rückwanderung wechseln einander ständig ab, bestimmt oft durch die saisonalen Arbeitsmöglichkeiten in Landwirtschaft und Tourismus in Griechenland. "Zirkuläre Migration" nennen Migrationsforscher dieses Phänomen temporärer Wanderungen, doch nach eineinhalb Jahrzehnten seit der Öffnung Albaniens lässt sich das Phänomen besser mit einem anderen Schlagwort beschreiben: "Transnationalismus". Viele haben heute bereits Wohnungen oder Häuser auf beiden Seiten der Grenze, ihre Kinder gehen in Griechenland zur Schule, verbringen Ferien oder Wochenenden in Albanien, kurz: Sie leben in beiden Welten.

Sammeln bei Emigranten

Der Bezirksvorstand von Tripol, einem ländlichen Bezirk von Gjirokastra mit etwa 9000 großteils griechischsprachigen Einwohnern, veranschaulicht seine "lokale Auslandsdiplomatie" anhand einer langen Liste von Namen und Adressen "seiner" Emigranten. Seit einigen Jahren sammelt er regelmäßig Geld und konnte so schon mehrere wichtige kommunale Projekte durchführen - vor allem den Bau von Straßen, Wasser- und Elektrizitätsleitungen. Das Geld dafür hat der aktive Lokalpolitiker, der seine Wähler auch regelmäßig bei Versammlungen in Griechenland und Italien trifft, durch eine Kombination von lokalen Abgaben, Beiträgen internationaler Hilfsorganisationen sowie Beiträgen von Auslandsalbanern im Verhältnis 1:1:1 aufgebracht. Derzeit sammelt er wieder für die Errichtung eines Altenheims in seinem Bezirk, ein Projekt, das vor allem jene Auslandsalbaner mit zurückgebliebenen Elternteilen begrüßen dürften.

Um eine umfassende Migrationspolitik voranzutreiben, wurde von der albanischen Regierung - unterstützt von uno, Weltbank und eu - eine "Nationale Strategie für Migration" ausgearbeitet. Neben der Bekämpfung illegaler Migration und der Anpassung der Migrationssteuerung an europäische Standards wird ein Schwerpunkt auf die Unterstützung der nach Albanien rückkehrenden Migranten gelegt: Rückkehrenden Universitätsabsolventen werden Stellen in der öffentlichen Verwaltung angeboten, rückkehrwilligen Kleinunternehmern hilft man mit Mikrokrediten. Daneben versucht man auch die derzeit meist illegal stattfindende Migration in legale Bahnen zu lenken, indem temporäre Migrationskontingente mit Zielländern wie Italien oder Griechenland ausgehandelt werden. Die schwierigste Aufgabe der albanischen Regierung besteht aber weiterhin darin, qualifizierte emigrationswillige Menschen durch die Schaffung entsprechender Alternativen von der Auswanderung abzuhalten.

Der Autor ist Senior Research Officer am International Centre for Migration Policy Development in Wien.

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