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Bei der SPÖ überdeckt die Kanzlerschaft ihre Inhaltsleere, die ÖVP hat sich mit dem Schmäh der Buntheit erfolgreich selbstinfiziert.

Von welchem Regierungsmitglied sie am meisten enttäuscht sei, wurde eine prominente Kolumnistin kürzlich im ORF-Report gefragt. "Von Gusenbauer", antwortete sie ohne Zögern. Damit gab die Journalistin gewiss eine weit verbreitete Ansicht wieder. Aber macht Alfred Gusenbauer wirklich so einen schlechten Job? Nicht seine Performance als Bundeskanzler ist das Problem, sondern dass er und seine Partei im Wahlkampf tief in den links- und sozialpopulistischen Topf gelangt haben - in der beinahe zur Gewissheit verdichteten "Hoffnung", nie und nimmer ins Kanzleramt einzuziehen, sondern stattdessen weiterhin "soziale Kälte" und "Neoliberalismus" einer VP-geführten Regierung anprangern zu können.

Nach der Einigung mit Wolfgang Schüssel klang Gusenbauer freilich schon ganz anders; man werde, so sinngemäß die Botschaft, auf dem Erreichten aufbauen. Keine Rede mehr von Kurswechsel, nur noch ums Nachjustieren ("Giftzähne ziehen" heißt das in SP-Diktion) ging es. Seitdem regiert Gusenbauer in einer Stilmischung aus Gerhard Schröder und Wolfgang Schüssel: mit "ruhiger Hand", den Niederungen der Tagespolitik möglichst entrückt, unbeirrbar von den Irritationen an der eigenen Basis, als "Schweigekanzler", der nicht zu allem und jedem sich äußern will und muss.

Was Gusenbauer nicht hat, ist die Großkotzigkeit des deutschen und die Arroganz des österreichischen Ex-Kanzlers. Was ihm im Unterschied zu Schüssel (weniger zu Schröder) aber auch fehlt, ist so etwas wie ein erkennbares Programm, eine seine Politik leitende Zielvorstellung. Nun hat auch Wolfgang Schüssel - Stichwort Arroganz - es kaum je der Mühe wert gefunden, die Inhalte seiner Politik den Menschen zu erklären, sie "mitzunehmen", von deren Notwendigkeit zu überzeugen - was sich am 1. Oktober an den Wahlurnen gerächt hat. Aber wie immer man zu Schüssel stand, man hatte den Eindruck, dass ihn persönlich ein Gestaltungswille an- und umtrieb.

Bei Gusenbauer ist die Kanzlerschaft selbst schon das Programm; oder, genauer: sie überstrahlt die Inhaltsleere der Partei. Ein Blick nach Deutschland zeigt, wie es der Sozialdemokratie ohne Kanzlerschaft geht: die SPD unter Kurt Beck bietet ein jämmerliches Bild. Ähnlich sieht es in Frankreich aus, wo Paradesozialisten (wie Bernard Kouchner oder Jack Lang) in Scharen zur Nicolas Sarkozy überlaufen. Gewiss auch, weil es immer angenehm ist, auf der Seite des Siegers zu stehen; aber der tieferliegende Grund dürfte doch die Perspektivenlosigkeit der angestammten Bewegung sein.

Die europäische Sozialdemokratie hat schlicht noch keine Antwort auf die Frage gefunden, wie sie sich nach Durchsetzung ihrer historischen Ziele und Aufgaben neu positionieren soll; was sie mehr bieten kann, als die Fortführung liberal-konservativer Agenda, sanft abgefedert und mit viel Sozialrhetorik verbrämt. Die zentrale Herausforderung läge darin, die Begriffe "sozial" und "Gerechtigkeit" völlig neu zu buchstabieren. Jemand wie Gusenbauer hätte wohl intellektuell das Zeug dazu, aber politisch nicht die Klugheit und Kraft.

Daraus zu schließen, dass Schüssels Erben leicht lachen hätten, wäre freilich verfehlt. Der Parteireformeifer hat sich als Strohfeuer entpuppt, die demonstrativ aufgeschminkte Buntheit ist im grellen Kameralicht zerronnen. Im Herbst soll alles anders werden, bekommt man auf solche Einwände zu hören. Na dann …

Ideologisch hätten die Konservativen generell keine schlechten Karten: Soziale Marktwirtschaft, also die Verbindung von Leistungs- und Verantwortungsdenken, wird im Prinzip von niemandem mehr in Frage gestellt; traditionelle Werte erleben, gerade auch bei jungen Menschen, eine Renaissance, ganz ohne reaktionäres Bestemm und Schaum vor dem Mund. Dennoch zeigt sich auch bei konservativen oder christdemokratischen Parteien eine erschreckende Hilf- und Orientierungslosigkeit, wo es an einer die divergierenden Strömungen bündelnden Persönlichkeit mangelt.

Die Instinktlosigkeit der VP, ihre Sommer-PR-Kampagne "Mitten im Leben" nach einem der größten Flops der ORF-Geschichte, Mitten im Achten, zu benennen, erhält solcherart symbolische Bedeutung.

rudolf.mitloehner@furche.at

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