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Zur Demokratie erziehen

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ling im Jahr 1962, 18,55 Millionen Schilling, 31,579 Millionen Schilling, 54,154 Millionen Schilling und 50 Millionen Schilling in den Jahren 1963, 1964, 1965 und 1966. Sicherlich genug, um die Tariferhöhung, die in diesem Jahr schon vorgenommen wurde, zu rechtfertigen — wäre doch sonst 1967 neuerlich ein echtes Deri-Kit von 37 Millionen Schilling zu ver-reichmen gewesen.

Nun spricht man — unter Hinweis uf das „Pseudodeflzit“ von 1968 (128,582.000 Schilling) von einer neuerlichen Tariferhöhung. Dabei wird jedoch verschwiegen, daß — unter Berücksichtigung von „unechten“, well entweder formalen oder eher wertsteigernden Ausgaben — für 1968 auch bei dem gegenwärtigen Tarifsystem nicht nur kein echter Verlust, sondern sogar ein Überschuß Mi verzeichnen wäre: Die Wasserwerke werden Wertsteigerungen von nicht weniger als 64,000.000 Schilling erzielen! Rechnete man (auf der Grundlage der alten Tarife) für

1967 mit Einnahmen aus den Wassergebühren von insgesamt 117 Millionen Schilling, so erwartet man (auf Grund der bereits „eia Jahr alten“ Tariferhöhungen) für

1968 Gebühreneininahmen von 237,000.000 Schilling — und erklärt im gleichen Atemzug, daß weitere Gebührenerhöhungen (man spricht von zusätzlichen Mehreinnahmen von etwa 115 Millionen Schilling) „unvermeidlich“ seien.

Wird das Sterben teurer?

Im kleineren Ausmaß herrscht eine ähnliche Situation bei der Städtischen Bestattung. Für 1968 er-

wartet das Bestattungsunternehmen der Gemeinde Wien erstmals seit vielen Jahren einen Verlust, und zwar in der Höhe von 1,486.000 Schilling.

Bisher — so heißt es im Geschäftsbericht — wäre es möglich gewesen, bei etwa 27.400 Bestattungsfällen im Jahr trotz steigender Personal- und Materialkosten eine defizitäre Gebarung zu vermeiden. Dies sei ausschließlich durch Rationalisierungsmaßnahmen und durch von den Hinterbliebenen verlangte „höherwertige Leistungen“ möglich gewesen, denn die Bestattungstairife selbst seien seit 1953 unverändert.

Welche Bescheidenheit! Man verschweigt geradezu die lobenswerten Bemühungen von bisher unerreichter Intensität, noch mehr Rationalisierungseffekte zu erzielen und noch „höherwertige Leistungen“ an das Publikum zu bringen. Bisher wurden nämlich für den Bau einer kommunalen Sangfabrik bereits 10,615.000

Schilling ausgegeben; 1968 werden es weitere 17,055.000 Schilling sein. Diese Sangfabrik wird also einen

beachtlichen Wert darstellen — und auch eine nicht zu unterschätzende, deflzltbekämpfende Einnahmequelle. Will man doch in wienerischen Gemeindesängen nicht nur gewesene Wienerinnen und Wiener, sondern in erfreulicher Vorurteilslosigkeit auch gewesene Bundesländerfoewohner einsangen! Schon sind Verträge mit kommunalen Bestattungsunternehmen der Bundesländer abgeschlossen: Wien liefert die Särge (zweifellos eine Belebung des innerösterreichischen Lastenverkehrs); die Kapazität der Sangifäbrik wird dadurch voll ausgenützt; sie wird Überschuß abwerfen.

Diese Kalkulation wirkt derart vernünftig und — im Kontrast zum Kalkulationsgegenstand — gesund, daß das Defizit von 1968 seine Schrecken verliert: Schon 1969 müßte es durch Mehreinnahmen mehr als wettgemacht sein.

Nur nicht warten!

Aber nein, bis 1969 kann man nicht warten — wäre es doch dann nicht mehr möglich, höhere Bestattungstarife durchzusetzen. Man muß das Eisen schmieden, so lange es heiß ist. und da ist es ganz gut, daß für 1968 ein Defizit droht. Rauf mit den Tarifen, lautet demgemäß die Losung. Obwohl pro Begräbnis eine Verteuerung von 54 Schilling und 19 Groschen ausreichen würde, das drohende (und mit Sicherheit nur vorübergehende) Defizit zu beseitigen, wird man sich sicherlich nicht mit derart „.geringen“ Beträgen zufrieden geben. Um so besser, wenn dann 1969 der Gewinn um so höher sein wird!

In der Diskussion über den Begriff „Geistige Landesverteidigung“ geht es zunächst darum, zu klären, was diese nicht gerade glückliche Wortschöpfung bedeuten soll. Die öffentliche Debatte der letzten Jahre hat — auch von Seiten der Förderer der „Geistigen Landesverteidigung“ — wenig zur Klärung dieser Frage beigetragen. Diese Tatsache läßt den Schluß zu, daß die Motive der Förderer unterschiedlich sind, oder nicht alle offen ausgesprochen werden.

Dr. Günther Böhm, Mitglied der Leitung des Arbeitsausschusses „G“ im Unterrichtsministerium, sieht „Geistige Landesverteidigung“ vor allem als staatsbürgerliche Erziehung an. In der „Furche“ vom 28. Oktober 1967 schreibt er: „Die staatsbürgerliche Erziehung in der gegenwärtigen Form reicht nicht aus, die Demokratie als einzige für uns gültige Lebensform zu erklären. Wäre die Demokratie wirklich lebendig, so brauchten wir keine Geistige Landesverteidigung.“

Auch Unterrichtsminister Doktor Piffl erklärte in seiner Einleitungsrede zu einer Enquete seines Ministeriums am 4. Dezember 1964: „Gleich hier sei gesagt, daß die geistige Landesverteidigung ein Anliegen ist, das weit über den Aufgabenbereich des Bundesministeriums für Landesverteidigung hinausreicht.“ Oberstleutnant Hermann Strohschneider schließlich schrieb in einer Erwiderung an die Gewerkschaftszeitung „Der Chemiearbeiter“ im Mai 1967: „Der Begriff .Verteidigung' ist hier nicht ausschließlich im Sinne einer militärischen Aktion zu verstehen, sondern vielmehr als Ausdruck des ,Selbstbehauptungswillens aller Staatsbürger zur Erhaltung der immerwährenden Neutralität Österreichs'.“

Unpopuläres Heer

Erklärungen wie die eben zitierten vernebeln eher den Umstand, daß die „Geistige Landesverteidigung“ im Rahmen der sogenannten umfassenden Landesverteidigung einen Teil des Landesverteidigungskonzeptes darstellt und deshalb mit der militärischen Entwicklung aufs engste verknüpft ist. „Es geht einfach darum, den Österreichern klarzumachen, daß es vernünftiger ist, sich auf eine Landesverteidigung entsprechend vorzubereiten, als sich etwa einem Angriff schutzlos preiszugeben oder ihn geradezu durch eine mangelhafte, das heißt durch eine symbolische Landesverteidigung herauszufordern“, meinte der ÖVP-Nationalratsabgeordnete Franz Reqensburger 1965 in einer in den „Grillhof-Schriften“ des Tiroler

Volksbildungswerkes veröffentlichten Rede, als er auf die „Geistige Landesverteidigung“ zu sprechen kam. Und der Obmann dieser Institution, Hermann Weber, schrieb ein Jahr vorher in der gleichen Schriftenreihe: „Landesverteidigung ist eine Sache des ganzen Volkes, Wehrwille und Wehrbereitschaft sind ein Teil menschlichen Daseins, sie müssen aber im Geistigen fest gegründet sein und täglich neu gelebt werden.“

Der vielgenannte Mann von der Straße nennt es offener beim Wort. Er meint einfach, die Aktion „GL“ sei gestartet worden, um das Image des im Hause Österreich nicht sehr populären Heeres aufzumöbeln. Viele Ursachen mögen für diese Unpopu-larität mitentscheidend sein. Die älteren Generationen mögen sich noch immer an die Schicksalsjahre 1934 und 1938 erinnern und an die Tatsache, daß das Bundesheer wohl im Bürgerkrieg gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt wurde, nicht aber 1938 gegen die Armee, die die staatliche Existenz Österreichs auslöschte. Die Jungen denken wirtschaftlicher. Sie meinen oft, die für das Bundesheer aufgewendeten Milliarden würden dringender in der Forschung, in der Wirtschaft, im Wohnungs- und Straßenbau gebraucht.

Wie verbreitet und berechtigt oder nicht diese Meinungen auch immer sein mögen — die „geistigen Landesverteidiger“ wissen darüber Bescheid. Der Ruf nach der Abwehr und Bekämpfung solcher Einstellungen und Stimmungen ist aus allen Enqueten und Seminaren zu hören.

Umdenken des ganzen Volkes?

Diese Grundeinstellung wurde in der ersten Enquete zu dem Thema im Juni 1963 in St. Wolfgang sehr deutlich ausgedrückt. Dort heißt es:

„Somit begreift sich die .Geistige Landesverteidigung' im wesentlichen als Erziehungsaufgabe im doppelten Sinne:

a) Als Abwehr aller den Willen zur Selbstbehauptung störenden oder hemmenden Kräfte und

b) als Hinführung zu einer freiwil-

ligen Bejahung aller notwendigen Maßnahmen der Landesverteidigung durch den einzelnen und die gesellschaftlichen Gruppen.

Dies erfordert eine gemeinsame Bemühung aller erziehenden und bildenden Faktoren sowie der Faktoren der Meinungsbildung aller Art im Sinne eines Vmdenkens des ganzen Volkes.“

Das Erziehungsziel der „Geistigen Landesverteidigung“ ist also ein sehr enges, im wesentlichen begrenzt auf die bedingungslose Anerkennung der militärischen Verteidigung und des Heeres. Wo von „staatlicher Erziehung“ die Rede ist, werden nicht selten reaktionäre Meinungen verbreitet. Man spricht von „Wohlstandsdegeneration“,

wertet die Neutralität und das Jahr 1945 ab und stellt die Vertreter des Pazifismus an der Pranger.

1963 sagte Direktor Adalbert Schreiner von der Wr. Neustädter Militärakademie in St. Wolfgang unter anderem: „...Zeigte damit diese Dame nicht die geistige Fehlhaltung eines großen Teiles unserer Bevölkerung und auch unserer Jugend? Sie kann kaum etwas dafür, denn sie wurde zu diesem +otalitärem Pazifismus seit 1945 erzogen ...“ Solche Auslassungen stehen in den Schriften zur „Geistigen Landesverteidigung“ nicht vereinzelt da. Hier wird wieder ein falsches, verzerrtes Geschichtsbild geboren und das noch unter der Fahne der Vaterlandsverteidigung.

Weil die' Sozialisten grundsätzlich ja zur Landesverteidigung gesagt haben, wollen sie kein Heer, das die mangelnde militärische Schlagkraft durch Äußerlichkeiten zu verdecken sucht. Wenn die Jugend, die gesamte Bevölkerung zur Bereitschaft, für die Demokratie zu kämpfen, erzogen werden soll, muß auch das Heer dieser Forderung entsprechen. Kostspielige Manöver, Uniformzwang und überholte Traditionen wie Offizierssäbel und Kavallerie können nur zur weiteren geistigen und psychologischen Isolierung des Heeres in der Gesellschaft führen.

Es ist wohl unbestritten, daß ein Kleinstaat in der Zeit rasanter Entwicklungen der Rüstungstechnik und gigantischer internationaler Rüstungskosten seine Existenz nicht nur auf militärischer Verteidigung aufbauen kann. Staatsbürgerliche Erziehung im weitesten Sinn kann deshalb nur heißen: Erziehung zur lebenden Demokratie, zur Republik, zu österreichischem Nationalbewußtsein und zu einer aktiven Neutralitätspolitik. Diese Grundsätze zu verbreiten, ist innerhalb und außerhalb des Heeres nötig.

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