Zuviel Kirche im serbischen Staat

Werbung
Werbung
Werbung

Der politische Machtanspruch der serbisch-orthodoxen Kirche beunruhigt zwar die Angehörigen anderer Konfessionen und Religionen, doch alle Parteien buhlen um ihre Gunst.

Das orthodoxe Weihnachtsfest wurde in diesem Jahr in Belgrad von 49 neuen Glocken auf der noch nicht einmal fertiggebauten Kathedrale des heiligen Sava, des größten Gotteshauses auf dem Balkan, eingeläutet. Geliefert wurden sie von der Innsbrucker Gießerei "Graßmayr", die schon im 19. Jahrhundert, als Serbien noch unter der Herrschaft der Türken war, Glocken für das Land angefertigt hat. Die ersten Glocken mussten damals in Fässern verborgen eingeschmuggelt werden. Das Geläute zu Jahresbeginn entfachte sogleich heftige Diskussionen. Belgrader Bürger protestierten wegen des "Lärms", obwohl noch längst nicht der volle Ton erklungen ist, da die Glocken bei den herrschenden Minustemperaturen nicht komplett montiert werden konnten. Erst zu Ostern würde die volle Lautstärke zu hören sein.

Natürlich geht es bei dieser Aufregung nicht nur um die Lärmbelästigung empfindlicher Belgrader Ohren. Nachdem sie mehr als ein halbes Jahrhundert unter Tito und Milosevic´ nur sehr zurückhaltend agieren durfte, tritt die serbisch-orthodoxe Kirche heute so energisch auf, dass es manche als aggressiv empfinden. Es geht nicht nur um religiöses Empfinden, sondern um ihre Stellung in der weltlichen Gesellschaft. Sie fühlt sich als Vertreterin aller Serben nicht nur innerhalb der als eng empfundenen Grenzen des eigenen Landes.

Ihr Schirmherr, der Heilige Sava, eigentlich Prinz Rastko Nemanjic´, (1169-1236) ist auch in dieser Hinsicht ihr großes Vorbild. Als dritter Sohn des serbischen Fürsten Stefan Nemanja zog er sich sehr jung als Mönch auf den heiligen Berg Athos zurück, folgte dann aber dem Ruf seines Vaters und kehrte zurück. In der Praxis regierte er das kleine Land zuerst über seinen Vater, dann über seinen Bruder Stefan und am Ende über dessen Sohn. Sava verstand es vom Papst für seinen Bruder die Königskrone zu erhalten und von Byzanz die Autokephalität der serbischen Kirche. Natürlich wurde er ihr erster Metropolit, gründete Schulen, schrieb die ersten literarischen Arbeiten und weltlichen Gesetze auf Serbisch, organisierte die medizinische Versorgung, holte aus Griechenland Baumeister und Künstler, verfolgte allerdings gnadenlos alle Ketzer.

Nation und Religion

Da im Laufe der fünf Jahrhunderte währenden Türkenherrschaft bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Kirche einziger Hort der nationalen Identität und Gelehrsamkeit war, verstärkte sich die Zusammengehörigkeit von Nation und Religion wie sonst nirgendwo in der christlichen Welt.

Der Einfluss Belgrads auf die kroatischen und bosnischen Serben war stark von der serbisch-orthodoxen Kirche geprägt. Sie hat durchgesetzt, dass keine orthodoxe Kirche die mazedonische als autokephal anerkannt hat. Innerhalb der derzeitigen Debatte über die Trennung Montenegros von Serbien spielt die Kirche eine gewichtige Rolle. Eine abgespaltene Gruppe innerhalb des Berglandes nennt sich selbstständig und hat einen eigenen Metropoliten, Miras Dedaic, gewählt, der von den Belgradern prompt exkommuniziert wurde. Am Weihnachtstag kam es in einigen Städten der montenegrinischen Provinz sogar zu Schlägereien zwischen diesen beiden Richtungen, der "montenegrinisch-orthodoxen Kirche" und der "serbisch-orthodoxen Kirche in Montenegro". Die Polizei musste intervenieren.

Nach der demokratischen Wende vom Herbst 2000 gelang es der serbisch-orthodoxen Kirche viel Raum zurückzugewinnen. In den Schulen wurde der Religionsunterricht, in Krankenhäusern und der Armee die Seelsorge eingeführt. In verschiedensten weltlichen Institutionen wird offiziell in religiösen Zeremonien der Segen Gottes erfleht. Ein Höhepunkt war, als der neuernannte Botschafter in Washington, Milan St. Protic, den Teufel, der sich im Laufe der Jahrzehnte kommunistischer Diplomaten dort eingenistet haben soll, vom Patriarchen Pavle persönlich austreiben und anstatt des Staatschefs Konterfei ein Portrait des Kirchenoberhauptes an die Wand hängen ließ.

Pro/Kontra MilosÇevi´c

Im Laufe der Jugoslawienkriege kämpften Priester auf der Seite der bosnischen Serben. Der damalige bosnische Erzbischof, Atanasije, nannte sich selbst einen Zeloten. Als man aber einsah, dass MilosÇevic´ den Traum eines Serbiens, in dem alle Serben vereint wären, nicht erfüllen konnte, wandten sich die Geistlichen von ihm ab. Atanasije, der gebrechliche, greise Patriarch führte einige der Demonstrationen gegen den Selbstherrscher sogar selber an.

Die politische Stellungnahme der Kirchenführung ist durchaus relevant. Dass Ende vergangenen Jahres die Serben an den Wahlen im Kosovo teilnahmen, ist auch Patriarch Pavle zu verdanken, der als ehemals langjähriger Erzbischof von Pec das Recht nützte, sich als Wähler im Kosovo registrieren zu lassen. Bezeichnend ist auch, dass die arbeitslos gewordenen Angestellten von vier serbischen Banken, die kürzlich in den Konkurs schlitterten beim Patriarchen Schutz vor ihrer materiellen Unbill suchen wollten.

Der neue Präsident, Vojislav KoÇstunica, ist ein gläubiger Mensch. Seine erste Auslandsreise war eine Pilgerfahrt auf den heiligen Berg Athos, der ausdrücklich nicht mit einem Staatsbesuch Griechenlands verbunden war, um den religiösen Charakter zu betonen. Wenn die serbisch-orthodoxe Kirche ihren Schutzheiligen Sava in den Vordergrund stellt, was auch Patriarch Pavle in seiner jüngsten Weihnachtsbotschaft getan hat, ist das politisch motiviert. Wie dieser will sie der weltlichen Obrigkeiten ein Wegweiser sein.

Das Problem dabei ist, dass sich nur rund 60 Prozent der Staatsbürger Serbiens zur serbisch-orthodoxen Kirche bekennen. Und den Katholiken, Muslimen, Protestanten, Juden und Atheisten ist der Anspruch der Orthodoxen, überall federführend ihren Glauben zu bekennen, keineswegs geheuer geschweige denn, dass sie ihn für berechtigt halten. Aber alle politischen Parteien buhlen derzeit um die Gunst der Orthodoxen. Niemand wagt, im Verhalten einzelner Bischöfe fundamentalistische Züge zu erkennen. Patriarch Pavle ist ein erfahrener, weiser und sehr bescheidener Mensch. Er ist keineswegs so weltfremd, wie er es oft für richtig hält zu tun. Eine große Frage wird allerdings sein, wer nach ihm auf dem Thron des heiligen Sava Platz nimmt.

Der Autor ist serbischer Schriftsteller und Publizist, Autor zahlreicher Bücher.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung