Zwischen den Nation(alist)en

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Die bulgarischen Nationalisten haben die Ängste der bulgarischen Minderheit in der Ukraine als politische Spielwiese entdeckt. Das schürt das Misstrauen gegenüber der Regierung in Kiew.

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Die bulgarischen Nationalisten haben die Ängste der bulgarischen Minderheit in der Ukraine als politische Spielwiese entdeckt. Das schürt das Misstrauen gegenüber der Regierung in Kiew.

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Wenn das Leben einem normalen Lauf folgt, reisen Menschen und kursieren Waren unspektakulär von Varna in Bulgarien nach Illichivsk in der Ukraine, von Russe nach Kiew. Über das Schwarze Meer, das auch unruhige Zeiten kennt. In den russisch-türkischen Kriegen im 19. Jahrhundert waren es die großen Boote der Kosaken, "die Möven" genannt, die die Bulgaren aus dem Herrschaftsbereich der Osmanen brachten. Die Gemeinde der Krim-Bulgaren umfasste dann Ende des Jahrhunderts über 7500 Menschen. Viel hat sich seitdem ereignet in der Schwarzmeerregion. Heute zählen die ukrainischen Bulgaren mit über 260.000 Menschen zu einer großen Minderheit in der Ukraine.

Von Bulgarien aus in die Ukraine kann man auch über Rumänien reisen, vorbei an dem Kleinstaat Moldau -beides Nachbarländer mit sich überschneidenden Volksgruppen. Sie - Rumänen, Moldauer, Bulgaren und Gagausen und noch andere -, sind neben den Russen im Vielvölkerstaat Ukraine vertreten und werden nun in der Krise zur Zielscheibe nationalistischer Interessen. "Man hetzt die eine Ethnie gegen die andere auf, und das ist tragisch, weil der Erhalt der Integrität der Ukraine das beste für das Land ist", sagt Svetlana Dragneva, Vizepräsidentin der Vereinigung der ukrainischen Bulgaren.

Vorwiegend im Süden beheimatet

Die bulgarische Volksgruppe ist vorwiegend in der Süd,-und Ostukraine wohnhaft, in mehr als 90 kompakten Siedlungen. Im Umkreis Odessa ist sie etwa die drittgrößte. Unter der Führung des nun gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch hatten die Bulgaren gewisse Rechte errungen, vor allem die Möglichkeit, ihre Muttersprache in der Schule zu fördern. Mit dem Machtwechsel in Kiew im Februar kam es jedoch zu einer Gesetzesvorlage, die dieses Recht gefährdete. Die Rada beschloss in erster Lesung ein Gesetz, wonach künftig nur noch Ukrainisch als Amtssprache zugelassen sein sollte. Ein Affront nicht nur gegen die russischsprachigen Teile der Bevölkerung, sondern auch gegen die anderen Ethnien. Der Gesetzesentwurf wurde allerdings vom ukrainischen Übergangspräsidenten nie ratifiziert .

Trotzdem wurde der Akt bei der bulgarischen Regierung in Sofia als Provokation empfunden. Russlands Politik gegenüber der Regierung in Kiew dagegen fand Unterstützung.

Der Parteichef der neugegründeten Nationalistischen Partei Bulgariens (NPB), Simeon Kostandinov, sagte der "Ukrainisierung der Minderheiten" im Nachbarland laut den Kampf an. Zusammen mit Gleichgesinnten mobilisierten die Nationalisten Kampfgarden, um "unsere Landsleute in Schutz zu nehmen". Elf Vertreter aus Bulgarien verfolgten dann das Referendum über den Anschluss der Krim am 16. März und bildeten somit die größte Gruppe unter den sogenannten inoffiziellen ausländischen Beobachtern, meist auch Nationalisten und Sezessionisten, wie etwa Mitglieder der ungarischen Jobbik und des belgischen "Vlaams belang", aber auch österreichische Rechtsnationale wie etwa Ewald Stadler.

Der Umstand, dass der umstrittene Gesetzesentwurf wohl auch auf internationalen Druck hin zurückgenommen wurde, kann viele Angehörige der bulgarischen Minderheit in der Ukraine auch Wochen nach dem Vorfall nicht beruhigen. Sie meinen, dass stürmische Zeiten ihre ohnehin instabile Lage nur noch weiter verschlimmern werden.

Historische Reminiszenzen werden wach. Im Zuge des Bürgerkriegs zwischen Weißgardisten, Bolschewiken und ukrainischen Nationalisten wurde ihr Gebiet Taurien zum Terrain von Mobilisierungen, Requisitionen und Gerichtsprozessen.

In den 1930er-Jahren des 20. Jahrhunderts folgten dann die Repressalien Stalins. Etwa 25.000 Vertreter der Intelligenz aus Taurien - Lehrer, Ingenieure, Geistliche - wurden ermordet, über 44.000 vertrieben. Am Vorabend des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs schafften es doch Hunderte Bulgaren aufgrund des Bündnisses zwischen Bulgarien und Deutschland, in die Ursprungsheimat zu fliehen. Nach dem 9. September 1944 mussten sie jedoch unter dem Druck Moskaus zurückkehren. Das Leben von vielen endete dann in sibirischer Verbannung.

Entsprechend gespalten ist Bulgariens Politik abseits der Rechten, was die politische Krise in der Ukraine betrifft. So scheiterte der Versuch, die Abgeordneten der Volksversammlung zu einer gemeinsamen Erklärung zu bewegen.

Bleiben oder zurückkehren

Der Ethnologe Nikolaj Nikov erinnert sich an eine große Rückkehr-Kampagne der bulgarischen Regierung vor ein paar Jahren, bei der es nur beim Mediengetöse blieb: "Die Menschen haben ihre Wohnungen verkauft und sind mit ihren Autos und ihrem ganzen Besitz nach Bulgarien gekommen. Da hat sich aber keiner um sie gekümmert, und sie fanden wie Fremde in den Hotels Unterkunft". Man profitiere von seiner Herkunft nur bei den Konditionen für Studierende, die denen für bulgarische Staatsbürger gleichgestellt sind. Die Zukunft bleibt deshalb in der Ukraine. "Sie kann sich in der schwierigen Situation nur selbst helfen, indem sie sich fremden Interessen widersetzt und die Verschiedenheiten seiner Ethnien in einer gemeinsamen Politik berücksichtigt", sagt Svetlana Dragneva.

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