Zwischen Koran und Kalaschnikow

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Terrorismus, Drogen und islamischer Fundamentalismus - schwere Zeiten für die zentralasiatischen Turkstaaten. Und Moskau reibt sich die Hände

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Terrorismus, Drogen und islamischer Fundamentalismus - schwere Zeiten für die zentralasiatischen Turkstaaten. Und Moskau reibt sich die Hände

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Schwarzenegger, karascho?" Die blaurote Militsia am Busbahnhof Taschkent blättern den Inhalt verborgener Geldgürtel genüsslich auf die Holztische schummriger Container, wo ausgebleichte Terminator-Poster kleben. Die Sitten an Marco Polos legendärer Seidenstraße sind rauer geworden: Sechs Stunden bis Samarkand, weitere vier Stunden bis Buchara. Die lange Reise zurück in die Vergangenheit ist gepflastert mit hausgroßen Propaganda-Parolen fürein neues Usbekistan und rosti-gen Kolchosen-Ruinen brüderlicher Einheit ...

Zentralasien war immer schon Spielfeld islamischer Fundamentalisten, doch seit einem Jahr überschlagen sich die Ereignisse: Das gescheiterte Attentat auf Präsident Islam Karimov im Februar 1999 bildete den Startschuss zum Endkampf gegen potentielle Verfechter eines islamischen Gottesstaates - die Verhaftung und Folterung klerikaler Oppositioneller, denen Putschaktivitäten gegen die weltliche Regierung angelastet wurde, hat lange Tradition. Menschenrechtsfragen waren für die regionale Supermacht Usbekistan nie Thema, entsprechende Bildbeweise sind rasch konfisziert, und die NSS - der usbekische KGB - steht nicht gerade im Ruf der Zimperlichkeit: Jihad, der heilige Krieg, einmal anders.

Die Organisatoren des "terroristischen Aktes" waren (allzu) rasch identifiziert und sind mittlerweile großteils hingerichtet. Takhir Yuldash, ein Vertrauter von Taliban-Führer Mullah Omar, und Mohammed Solih, Nationaldichter und Vorsitzender der verbotenen Erk-Partei, sind zwar untergetaucht, dafür erfreuen sich ihre Familien und Anhänger liebevoller Aufmerksamkeit der Militsia: Bei den obligaten Wohnungskontrollen ohne Augenzeugen werden mit bestechender Wahrscheinlichkeit Drogen und Waffen "gefunden" und Verhaftungen dadurch legitimiert.

Dörfer bombardiert Die wochenlangen Geiselnahmen vergangenen Sommer, unter anderem von japanischen Geologen, im Süden des (meist) befreundeten Nachbarn Kirgisistan blieben bis zur unblutigen Beendigung dubios - laut Zubair ibn Adurrakim, Vorsitzender der Usbekischen Islamischen Bewegung, ging es um die Wiedereröffnung von Koranschulen und die Freilassung von 50.000 "politischen" Gefangenen in den Gefängnissen Taschkents. Usbekistan reagierte nervös und bombardierte vermeintliche Rebellendörfer auf kirgisischem Territorium. Auch Russland war rasch wieder da und versorgte die notorisch schwache kirgisische Armee mit modernsten Waffen und Truppen. Leonid Drachevski, russischer Minister für GUS-Außenpolitik, wurde nicht müde zu betonen, wie wichtig gemeinsame Maßnahmen gegen regionalen Terrorismus und Drogenschmuggel sind - eine willkommene Gelegenheit für Moskau, sich als militärische Supermacht in den zentralasiatischen Brüderstaaten wieder Sympathien zu erwerben. Die Hoffnung liegt auf Russlands Putin: Starke Männer sind gefragt, wenn post-kommunistische Autokraten sich in kleinliche Grenzstreitigkeiten verlieren und ihre pseudodemokratisch erwählte Macht auf Dauer sichern wollen.

Das Ferghana-Tal, Dreiländereck zwischen Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan und notorischer Unruheherd, hat seither einen neuen Gouverneur. Die Geiseln sind wieder frei, die usbekischen Regimegegner immer noch in Haft und die Freischärler wieder Richtung Tadschikistan verschwunden, wo Dzhuma Namangami, usbekischer Warlord und Kopf der Aktion, stationiert sein soll. Doch was ist schon sicher zwischen Pamir und Hindukusch?

Als Mann im Hintergrund gilt Osama Bin Laden, der seinen Wirkungskreis nach Norden verlegt haben soll. Der legendenumrankte "Vater des Terrorismus" hat angeblich 150 Millionen US-Dollar in die regionale Organisation von Sabotage investiert und war auch durch angedrohte UNO-Sanktionen nicht von seinen afghanischen Stützpunkten zu entfernen. Das Know-how pakistanisch-tadschikisch-tschetschenischer Terrorkommandos zum Aufbau einer militanten Opposition innerhalb der Turkstaaten stellt niemand in Frage, auch ohne handfeste Beweise.

Gegen die Taliban Der tadschikische Premierminister Yakhye Azimov und Kamal Kharrazi, iranischer Außenminister, haben erst kürzlich gestenreich die überregionale Unterstützung gegen die afghanische Taliban-Bewegung bekräftigt. Talibanführer Mullah Mohammed Omar wiederum wäscht seine Hände in Unschuld und kündigt postwendend, was für ein Zufall, die Gründung einer Anti-Terror-Organisation an - ohne Aufhebung der US-Sanktionen fehlt schließlich das Geld, um den eigenen Oppositionsführer Masood an der tadschikischen Grenze endgültig zu vernichten: Bitter notwendig angesichts der 700 Tonnen illegaler Waffen, die letzten Oktober in einem Hilfszug durch Kirgisistan entdeckt wurden, und widerwillig an den Iran retourniert werden mußten. Dazu Dollarblüten in Millionenhöhe, die im kasachischen Tschimkent die Runde machten, konfisziert wurden und leider wieder verschwanden. Kein Wunder, dass das Nationale Sicherheitsbüro in Taschkent unmittelbar nach der Wiederwahl Karimovs die Zügel noch strenger anzog und eine Verteidigungsdoktrin mit noch mehr Rechten für die regionalen Streitkräfte verabschiedete: "Der Bedrohung Zentralasiens durch kriminelle Extremisten" muss nachhaltig Einhalt geboten werden, verkündete kürzlich auch Kasachstans Präsident Nazarbaev, wie Karimov ebenfalls seit der Unabhängigkeit 1991 im Amt, anlässlich eines Skiurlaubs in Österreich.

Die "Wahhabi" und die "Hezbe Tahriri Islomiya", islamische Bewegungen in den versteckten Hochtälern des Hindukusch, sind aktiver denn je. Karimov, selbst Moslem, zittert vor der Schaffung eines neuen Kalifenstaates. Radikale Säuberungsaktionen scheinen jetzt zur Beruhigung der Zivilbevölkerung gerechtfertigt, wie Rustam Inoyatov vom nationalen Sicherheitsdienst kryptisch vermerkt. Selbst im Nachbarstaat Kirgisistan, einst als "zentralasiatische Schweiz" über antidemokratische Vorwürfe weitgehend erhaben, zerbröckelt Präsident Akayevs Ruf des Reformers - Felix Kulov, einziger ernstzunehmender Konkurrent bei den Präsidentschaftswahlen im März, fand sich unverhofft wegen angeblichem Amtsmissbrauch im Gefängnis wieder. Ein bisschen Islam soll sein, nicht mehr. Orientalische Despoten mit kommunistischer Vergangenheit mögen Money lieber als Mekka, keinen Gottesstaat und schon gar keine Opposition.

Der usbekische Präsident herrscht mit eiserner Faust. Seit der Unabhängigkeit 1990 an der Macht und im Jänner 2000 wiederbestätigt, mag er die sozialistische Ideologie verloren haben - nicht aber seine Fähigkeit, das rohstoffreiche Land dem Kapitalismus zu nähern. Coca-Cola hat seine Abfüllanlagen in der Zwei-Millionen Metropole kürzlich verdreifacht und UzDaewoo, ein usbekisch-südkoreanisches Joint Venture im Automobilbereich, plant eine Ausweitung seines Motorenwerkes in Taschkent: 12.000 US-Dollar kostet ein Daewoo Nexia made in Usbekistan. Dazu ist Benzin bloß am Schwarzmarkt aufzutreiben, will man nicht mehrstündige Wartezeiten vor dem löchrigen staatlichen Tankstellennetz in Kauf nehmen. Das Monatsgehalt eines Universitätsprofessors reicht gerade für einen Schwarzmarkttank oder zehn Kilogramm Fleisch. Die staatlichen Geschäfte sind meist leer, von braunen Kefirflaschen und pyramidenförmig gestapelten Fischkonserven abgesehen.

Härteste Gesetze Karimovs politisches Überleben nach den Jännerwahlen hängt nicht zuletzt vom öffentlichen Status der Opposition ab. Die jüngste Massenamnestie für 12.000 Häftlinge ist ein wohldurchdachter Schachzug des Präsidenten: Gnade den Kleinkriminellen, doch gleichzeitig Verschärfung der Haftstrafen für religiösen Extremismus auf 20 Jahre - die Mitgliedschaft auch bei dezidiert friedlichen Oppositionsgruppen wie der Muslim Hizb-ut-Takhrir bringt immer noch Verhaftungen, trotz massiver Februar-Interventionen selbst des US-State Department gegen eines der "härtesten Religionsgesetze der Welt". Karimov jedenfalls, laut Interfax Usbekistans "Mann des Jahrhunderts", gab sich in seiner Inaugurationsrede unerwartet konziliant: "Die Macht eines Staates darf sich nicht auf Unterdrückung stützen". Doch die alten Männer in den Teestuben Bucharas haben schon zuviel gehört, um noch alles zu glauben.

Die Turkstaaten haben ihre orientalische Gelassenheit bewahrt, trotz 70 Jahren Hammer und Sichel: Salam Alaikum, Turkestan.

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