Zyperns letzter Tango

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Die Aufnahme der Mittelmeerinsel in den Schoß der Europäischen Union könnte die Teilung des winzigen Staates zementieren. - Die Chancen auf eine Wiedervereinigung schwinden.

Sie treten zur neuen Runde in ihrem "letzten Tango" an: die beiden Jugendfreunde und alten Kämpfer, Glafkos Clerides (Präsident der griechisch-zypriotischen Republik) und Rauf Denktasch (Führer der nur von der Türkei anerkannten Türkischen Republik Nord-Zypern). Jede byzantinische Finte ist ihnen vertraut. Sie kennen jede Falte im Gesicht des Gegners. Sie haben einander in harten Verhandlungen unzählige Male politische Fallen gestellt. Doch sie haben auch unzählige Gläser Whisky gemeinsam geleert, viel miteinander gescherzt und gelacht. Diese beiden alten Zyprioten verstehen einander und sie besäßen damit große Chancen, endlich die uralte Feindschaft zwischen Griechen und Türken Zyperns zu überwinden. Wiederholt haben sie es schon versucht. Nun ist es das letzte Mal. Schon im nächsten Jahr wird der 83-jährige Clerides mit Ablauf seiner zweiten fünfjährigen Amtsperiode aus der Politik ausscheiden. Und dem fettleibigen Denktasch steht eine schwere Operation bevor.

Doch auch das Bewusstsein des nahenden Endes ihrer Karriere und einer gigantischen Verantwortung für ihre jeweiligen Volksgruppen, ja für die Stabilität in der gesamten Region, flößte den beiden Veteranen nicht den nötigen Mut zu visionären Entscheidungen ein. In den sechs Monaten, in denen sie sich zweimal wöchentlich zu Verhandlungen trafen, wagte sich keiner aus den Schützengräben heraus, die sie über die Jahrzehnte gegraben hatten. Beide verbargen sich hinter lang praktizierter Demagogie. Keiner vermag die Last einer blutgetränkten Vergangenheit abzuschütteln.

Rasant in die Katastrophe

Bis Ende Juni wollten sie einen Durchbruch zur Wiedervereinigung der seit 1974 geteilten Insel erzielen, damit bis zum Jahresende die Einzelheiten des neuen zypriotischen Staates festgelegt und die Aufnahme der gesamten Insel in die Europäische Union gesichert sein könnten. Es gelang nicht. Jeder schiebt nun die Schuld dem anderen zu. Die UNO wirft Denktasch größere Kompromisslosigkeit vor. Der Zyperntürke schäumt vor Ärger, die Opposition im eigenen Ministaat drängt ihn zu einer grundlegender Positionsänderung. Nach einem Zwischenbericht des Weltsicherheitsrates beginnen beide nun erneut zu verhandeln. Die Vorzeichen allerdings könnten schlechter nicht sein. Die Türkei, Schutzmacht der Türken Zyperns, steht in Aufruhr. Für die nächsten Monate droht politische Ohnmacht, während sich Noch-Regierungschef Bülent Ecevit mit den letzten seiner schwindenden Kräfte an die Macht klammert und Neuwahlen unvermeidlich erscheinen. "Obwohl wir es gar nicht merken, treiben wir rasant der Katastrophe entgegen. Wir werden aufwachen, wenn wir an die Wand stoßen. Doch dann wird es zu spät sein", klagt der Journalist Mehmet Ali Birand. Er ist überzeugt, dass die Türkei die Hauptlast tragen muss, wenn Zypern die Chance auf Wiedervereinigung verpasst.

"Partnerschafts-Staat" heißt das neue Zauberwort, mit dem Denktasch nun Clerides zu locken hofft: ein neuer Staat mit einer neuen Flagge und einer neuen Nationalhymne, bestehend aus der griechisch-zypriotischen Republik Süd-Zypern und dem türkisch-zypriotischen Staat des Nordens. Diese beiden sollen einer neuen Zentralregierung eingeschränkte Autorität übertragen, selbst aber volle Macht ausüben. In Wahrheit ist der Partnerschafts-Staat nichts als ein neuer, gefälligerer Name für die lose Staatenkonföderation, auf der Denktasch jahrelang beharrte und die die Griechen entschieden ablehnen. Ihrer Meinung nach würde dies den türkischen Zyprioten die Möglichkeit bieten, sich jederzeit vom "Partner" zu lösen und so internationale Legitimität zu erhalten.

Zyperns Griechen wissen in ihrer Ablehnung der Partnerschafts-Idee die EU und auch die UNO hinter sich. EU-Erweiterungs-Kommissar Günter Verheugen stellte jüngst klar: "Die Türken der Insel müssen begreifen, dass ein künstliches Gebilde, auf zwei de facto unabhängigen Staaten basierend, nicht (von der EU) akzeptiert werden kann." Den Griechen schwebt eine bizonale Föderation aus zwei Bundesländern vor, die weitgehend autonom sein sollen und über eine starke Zentralregierung verfügen.

Zurück an den Anfang

Die griechisch-zypriotischen Unterhändler hatten, laut Informationen aus der Verhandlungsdelegation, Landkarten vorbereitet, nach denen die türkische Seite zwei Drittel der 36 Prozent des Inselterritoriums behalten sollten, das sie derzeit mit Hilfe einer türkischen Besatzungsarmee von 35.000 Mann kontrollieren. Doch die Karten wurden nicht einmal vorgelegt, weil Denktasch darauf beharrt, erst über das Territorium und andere Probleme - wie Rückkehr der griechisch-zypriotischen Flüchtlinge oder Kompensation zu reden - wenn die Frage der Souveränität gelöst ist. "Wir stehen wieder am Anfang", bemerkte ein Mitglied der griechisch-zypriotischen Verhandlungsdelegation entmutigt.

Denktaschs "neue Ideen" wecken also den Verdacht, dass der Türkenführer an seiner alten Position der Teilung festhält: "Ich habe dies (den Staat) mit meinen eigenen Händen aufgebaut. Ich werde nicht derjenige sein, der ihn wieder zerstört. Ich werde meinen Staat nicht verlassen und werde keinen Schritt tun, bevor ich nicht seine Souveränität erreicht habe", bekräftigte der Türkenführer seine Position gegenüber UN-Generalsekretär Kofi Annan.

EU ist existenzielle Sicherheit

Die Zyperngriechen verfolgen nach unzähligen enttäuschten Hoffnungen diesen "letzten Tango" der alten Kämpfer teilnahmslos. Sie wissen, dass ihnen die Tore zur Europäischen Union in jedem Fall offen stehen. Die EU hat längst klargestellt, dass die Aufnahme Zyperns in die Union nicht von einer Wiedervereinigung abhängig sei. Bis 2004 wird damit der Musterkandidat seinen Platz in Europa gefunden haben. Für die Griechen der Insel ist dies weit mehr als ein Trostpreis, denn sie sehen in der EU-Mitgliedschaft eine existenzielle Sicherheitsgarantie. Denn Ankara werde sich künftig in der Zypernfrage auch mit den Europäern auseinandersetzen müssen.

Für die türkischen Zyprioten aber geht es um ihre Existenz. Scheitern die Verhandlungen, wird die Republik ohne den türkischen Inselteil in die EU aufgenommen. Dann dürfte Ankara Nord-Zypern annektieren. Schon jetzt haben die Bewohner dieses von der Welt vollends isolierten Inselteils eine schwere Last zu tragen. Das Land verarmt, die Jugend hat keine Zukunft. Die türkische Wirtschaftskrise schlug auf türkisch-Zypern durch. Die einzige Branche, die boomt, ist die Glücksspiel-Industrie. Aber sie bringt den türkischen Zyprioten nichts, denn die 28 Casinos stehen im Besitz von Türken und dienen in erster Linie der Geldwäsche.

Vor allem junge, qualifizierte Bürger sehen ihr einziges Heil in der Emigration - oder im Beitritt Zyperns zur EU. Wenn sie es aber wagen, ihre Stimme für eine Aussöhnung mit den Griechen zu erheben, dann schlägt Denktaschs Knute zu. Die Repression Andersdenkender hat sich jüngst wesentlich verschärft. Finden Denktasch und Clerides keine Einigung, dann bleibt zukunftsorientierten türkischen Zyprioten höchstens der Ausweg eines individuellen EU-Beitritts, indem sie von dem Recht auf einen zypriotischen Pass Gebrauch machen und sich nach Zyperns Aufnahme in die EU in einem europäischen Land niederlassen. Ihre Plätze auf der Insel würden neue Siedler aus Anatolien füllen und damit würde sich die Kluft zum Süden noch weiter öffnen. Denn mit den Türken Anatoliens verbindet Zyperns Griechen gar nichts.

Der Schlüssel zu einer Lösung liegt in Ankara. Als Haupthindernis identifizieren Diplomaten die Unschlüssigkeit in den wichtigsten Machtzentren der Türkei über die eigenen EU-Ambitionen. Starke nationalistische Kräfte im Militär und in der Politik verschanzen sich hinter dem "großen nationalen Anliegen" Zypern: Dem Schutz von kaum mehr als hunderttausend Inseltürken, die sie nicht auf dem Altar Europas opfern dürften, um Integrationsbestrebungen zu blockieren. Selbst der europa-freundliche Ex-Außenminister Ismail Cem stellte jüngst klar: "Angesichts der weltweiten Tendenz zu ethnischer Separation kann es nur zwei gleichberechtigte, separate Staaten mit je eigener Souveränität geben", die dann einen Partnerschafts-Staat" gründen könnten.

Die derzeitige politische Krise in der Türkei könnte den nationalistischen Hardlinern die willkommene Gelegenheit bieten, ihre Position zu verstärken. Wenn die Krise eskaliert, dann wird sich die türkische Politik erfahrungsgemäß in der Zypernfrage verhärten, da niemand weitreichende, mutige Entscheidungen zu treffen vermag. Und damit würde der "letzte Tango" von Denktasch und Clerides wohl endgültig in Disharmonie enden.

Die Autorin ist Nahost-Korrespondentin.

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