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Angst vor blauem Mann

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Zarte Gemüter waren eher verwirrt, Parlaments-Freaks durchaus davon angetan: Volksvertretung ohne Klubdisziplin haben wir jüngst erlebt. Blaue und Grüne stimmten mit Schwarzen, Grüne und Gelbe (so muß man die Liberalen wohl nennen, soll das Codewort von der „Ampelkoalition" einen Sinn haben) mit Roten, einmal nur die Blauen und einmal auch noch die Gelben mit den Schwarzen: Ist was passiert dabei?

Ja, das Parlament hat sich belebt. Wenn wir eine neue Begie-rung haben und die Leute wieder nach Ordnung und Orientierung rufen, wird man wieder etwas disziplinierter sein müssen im Hohen Haus. Aber als Probegalopp für eine künftige gelockerte Koalition oder gar eine Minderheitsregierung war die Nachsitzwoche im Nationalrat gar nicht so übel.

Sie war es auch nicht im demokratiepolitischen Sinn. In den letzten Wochen hat der Moral-Bigoris-mus mancher Demokratiehüter aus den Freiheitlichen eine Lepra-Partei gemacht, denen niemand im Parlament auch nur nahe kommen durfte, während eine rot-gelb-grüne Ampelkoalition schon fast als Inbegriff vollendeter Demokratie gefeiert wurde. Von Schüssel wurden (selbst aus der eigenen Partei heraus) pausenlos Schwüre gegen ein Bündnis mit der FPÖ gefordert. Der Demokratie wurde damit nicht unbedingt der beabsichtigte Dienst erwiesen.

Erstens war es für den ÖVP-Obmann die Quadratur des Kreises: Schließt er eine Koalition mit den Freiheitlichen aus, läuft ihm ein Teil der eigenen Partei davon, der sich eine grundlegende Erneuerung wünscht. Schließt er sie ausdrücklich ein, läuft ihm ein anderer Teil der eigenen Wählerschaft davon, der (mit Recht) einen Vizekanzler Jörg Haider für untragbar hält. Was also tun, wenn man als ÖVP gewinnen will - ganz abgesehen davon, daß ein absolutes Nein zur FPÖ auch den Kaufpreis für eine Erneuerung der alten Regierungsehe in astronomische Höhen treiben müßte.

In der Fernsehdebatte mit Haider hat Schüssel eine genügend klare Abgrenzung zum FPÖ-Füh-rer persönlich getroffen: Ein blauer Vizekanzler Haider ist unter Schüssel nicht denkbar - eine Zusammenarbeit mit der FPÖ, falls die SPÖ für eine Erneuerung der jetzigen Koalition aus welchen Gründen immer nicht zu haben ist, aber schon. Fanatiker politischer Reinheit schreckt dieser Gedanke, aber es können ja schließlich nicht alle Parteien in Opposition gehen. Eine ganze Partei von der Stärke der Freiheitlichen auf Dauer mit einem Bannfluch zu belegen und damit auch gleich deren Wähler, schafft ein Ausmaß von Verbitterang und Frust, das der Demokratie gefährlicher werden könnte als eine behutsame Einbeziehung der FPÖ in das normale Kräftespiel des Parlaments. Daß daraus nicht gleich eine feste Koalition wird, ist jetzt in die Hände der SPÖ ebenso wie in jene der ÖVP gelegt.

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