Charles Taylor  - © Foto: © Berggruen Institut

Charles Taylor: Der metaphysische Rebell

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Der kanadische Philosoph Charles Taylor, der als Langzeit-Fellow des IWM auch in Wien wirkt, wurde am 5. November 90 Jahre alt. 2016 erhielt er den mit einer Million Dollar dotierten Berggruen-Preis für Philosophie.

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Der kanadische Philosoph Charles Taylor, der als Langzeit-Fellow des IWM auch in Wien wirkt, wurde am 5. November 90 Jahre alt. 2016 erhielt er den mit einer Million Dollar dotierten Berggruen-Preis für Philosophie.

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Rebellen brauchen nicht nur einen wachen Geist, sondern auch einen langen Atem und eine gesunde Physis. Über all dies verfügt Charles Taylor selbst mit seinen biblischen 90 Jahren noch. Von seiner geistigen Fitness zeugt seine anhaltende Publikationstätigkeit, von seiner körperlichen Disposition sein beharrlich durchgehaltenes Lauftraining. Auch in Wien, wo er als Langzeit-Fellow des Instituts für die Wissenschaft vom Menschen (IWM) immer wieder zu Gast ist und allmorgendlich den Donaukanal entlangjoggt.

Vielleicht ist es die Wiener Synthese von Moderne und in Stein und Putz konservierter Ewigkeit, die Taylor immer wieder inspiriert, sich nicht allein für das, was ist, denkerisch einzusetzen, für eine „Wiedergewinnung des Realismus“ zu kämpfen, wie seine aktuelle Publikation lautet, sondern stets auch den Geschmack für das Große und Ganze zu bewahren. Das klingt romantisch und ist auch so gemeint: Schließlich hat Taylor in seinem letzten Großwerk, „Das sprachbegabte Tier“, eine Lanze für die Romantik gebrochen.

Es ist der Mut zur Synthese in einer atomisierten Welt, der Taylor als ein Fels in der Brandung ­erscheinen lässt. Darin seinem deutschen Pendant, dem zwei Jahre älteren Jürgen Habermas, nicht unähnlich. Mit ihm teilt Taylor nicht nur sein waches Interesse an öffentlichen Diskursen und seine Bereitschaft, sich als öffentlicher Intellektueller in den medialen Windkanal zu stellen, sondern auch sein passioniertes Eintreten für eine andere Moderne, die nicht vergessen hat, um welchen Preis sie modern wurde; die nicht vergessen hat, dass sie auf den Schultern unzähliger Opfer der Geschichte steht. Entsprechend konstatierte Taylor zuletzt, dass wir einem „gewaltigen Irrtum“ erlegen sind, wo wir unseren Geist nur noch als datenverarbeitenden Wahrnehmungsapparat und die Welt als digitale Matrix von Einsen und Nullen verstehen. Auch wenn der metaphysische Faden, der Mensch, Welt und Himmel einst miteinander verband, nicht mehr ohne weiteres neu zu knüpfen ist, so bietet Taylor doch mit seiner Sprachphilosophie den ­Versuch, eine andere Geschichte der Moderne zu erzählen. Eine Geschichte, in der das Individuum nicht nur existiert, sondern in der Welt ist und Welt durch Sprache gestaltet.

Taylor, der alte und doch irritierend junge Cito­yen, machte bei all dem aus seinem Katholizismus nie einen Hehl. Das rebellische Moment, das seinem philosophischen Gestus innewohnt, ist vielleicht ein Ausfluss eben jenes katholischen Mutes zur Synthese. So liest sich sein Plädoyer für eine Wiedergewinnung des Weltzugangs der Romantik, die sich einen Geschmack für den Kosmos und das „Außermenschliche“ bewahrt habe, geradezu wie ein poetischer, zu Sprache geronnener Gottesbeweis. Vernunft ergibt sich demnach nicht aus einer religiösen Subtraktionslogik: Vernünftig handelt, wer in einem gesunden Welt- und Selbstverhältnis steht. Dieses lässt sich jedoch nicht rein argumentativ staubtrocken ableiten, sondern nur sprachlich erschließen. Im Anfang war schließlich das Wort.

2017 kündigte Taylor an, bereits an einer genaueren Ausfaltung und Relecture der romantischen Poetik zu arbeiten. Vier Jahre sind inzwischen ins Land gegangen. Wenig angesichts der Größe des Projekts, viel angesichts seines fortgeschrittenen Alters. Doch ernsthaft Sorgen braucht man sich um den intellektuellen Hünen wohl nicht zu machen: Schließlich gilt weiterhin jene Ansage, die er bereits zu seinem 85. Geburtstag gewohnt augenzwinkernd in den Raum stellte: Er erkenne heute mehr denn je, was noch alles zu tun sei. „Und daher käme es mir durchaus entgegen, wenn ich dazu 150 Jahre alt werden dürfte.“

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