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Ein genialer Schachzug

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• Zum zweiten zeigten die Landtagswahlen in Hessen und Bayern, daß die Wähler den Konkurs der CDU offenbar gar nicht wahrgenommen hatten. Der Aufstieg der NPD befreite sie obendrein von dem Alp traum, in dieser Situation zu Neuwahlen gezwungen zu werden. Niemand hätte in dieser Lage den wahrscheinlichen Einzug der NPD in den Bundestag verantworten können. So kam auch die SPD von der Idee der Neuwahlen ab. Darüber hinaus wurden die beiden Kontrahenten der CDU, die SPD und die FDP, belehrt, daß ihre Aussichten gar nicht so günstig waren, wie sie angenommen hatten. Statt eines Erdrutsches wie in Nordrhein-Westfalen erhielt die SPD nur Bruchteile des erwarteten Stimmengewinnes. Die FDP aber, die einerseits an die NPD Stimmen verlor, sich aber anderseits erstaunlich gehalten und in den Städten neue Wählerschichten dazugewonnen hatte, mußte in Bayern die spektakuläre Niederlage hinnehmen, nicht mehr in den Landtag einzuziehen. Sie war zwar insgesamt über den sonst üblichen 5 Prozent geblieben, hatte aber die in Bayern in einem Wahlkreis geforderten 10 Prozent nicht überspringen können. So geriet die geplante Wachablösung aus SPD und FDP unter Bundeskanzler Brandt ins, Stocken. Der schon immer eine große Koalition anstrebende stellvertretende SPD-Vor- sitzende Herbert Wehner nahm dem zögernden Brandt die Zügel aus der Hand und brachte seine widerstrebenden Frakticmskollegen letzten Endes dazu, dieser Koalition zuzustimmen.

Die SPD hatte lange Zeit in der Krise fast alle Trümpfe in der Hand. Der Zusammenbruch der Politik der CDU war so eklatant, daß bei geschickter Taktik ein SPD-Kanzler in einer großen Koalition durchaus denkbar gewesen wäre. Die einzig mögliche Alternative für die CDU, mit einem Minderheitenkabinett Erhard weiter regieren zu müssen, hätte sie allen Forderungen der SPD gefügig gemacht. Statt dessen ist die CDU in dieser Krise alle Probleme und insbesondere die Gefahr losgeworden, den von Wehner geforderten Offenbarungseid leisten zu müssen. In einem wirklich genialen Schachzug ist es Kiesinger und Strauß gelungen, die ganze Schuld an der Misere Ludwig Erhard und der daran weitgehend unschuldigen FDP aufzuhalsen. Die Tatsache, daß Erhard einmal der Kandidat der FDP gewesen war, daß die FDP noch treu zu diesem Mann gestanden war, als die CDU keine Intrige scheute, um Erhard anzuschwärzen, genügte, um dieses höchst erstaunliche Ergebnis hervorzubringen. Aus diesem Grund machte die CDU es auch zu einer ihrer Forderungen bei den Koalitionsverhandlungen, das reine Mehrheitswahlrecht einzuführen und damit den bisherigen Partner aus glückloser Zeit auszuhalten. Die SPD, in dem Bestreben, ihre Haltung in den Verhandlungen mit der FDP zu rechtfertigen, besorgt sogar noch das Geschäft der CDU, indem sie mit der Behauptung von der chronischen Unzuverlässigkeit der FDP hausieren geht, was in dieser Form zu behaupten der CDU schwerer fiele.

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