Kallas

Estlands Kaja Kallas: Die Luft der Freiheit

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Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas marschiert in Richtung zweite Amtszeit. Über eine Frau, deren Haltung früh geprägt wurde.

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Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas marschiert in Richtung zweite Amtszeit. Über eine Frau, deren Haltung früh geprägt wurde.

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Da gibt es dieses legendäre Foto: eine Familie vor dem Brandenburger Tor, auf der Ostseite Berlins. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1988. Damals war Kaja Kallas elf Jahre alt, und ihr Vater hatte appelliert: „Atmet tief ein. Hier weht die Luft der Freiheit zu uns herüber.“ Eine Anekdote, die von Estlands Premierministerin gern und oft erzählt wird. Die Perestroika Gorbatschows habe seinerzeit den Sowjetbürgern Reisen ins sozialistische Ausland erleichtert. Kallas Eltern hatten die Chance ergriffen und fuhren mit Tochter und Sohn so nahe gen Westen wie nur möglich.

33 Jahre später wird Kaja Kallas als erste Frau in der Geschichte Estlands zur Ministerpräsidentin gewählt. Ein Amt, das ihr einigermaßen vertraut gewesen sein dürfte – auch ihr Vater Siim Kallas hatte es zwischen 2002 und 2003 inne. Zeitmäßig allerdings steht die Tochter längst länger an der Spitze Estlands. Vor einer knappen Woche ging die heute 45-Jährige mit ihrer proeuropäischen Reformpartei bei der Parlamentswahl erneut als klare Siegerin hervor. Eine zweite Amtszeit scheint Kallas so gut wie sicher.

Beobachter begründen ihren Erfolgskurs vor allem mit ihrer Haltung zum russischen Angriffskrieg. Während andere europäische Staatschefs Anfang 2022 noch auf Russland einzureden versuchten, setzte Kallas bereits erste Hebel für Waffenlieferungen an die Ukraine in Bewegung. Die Gefahr eines Krieges sei „real“, sagte sie fast einen Monat vor Kriegsbeginn. Mittlerweile hat Estland mehr als ein Prozent seiner Wirtschaftsleistung als Militärhilfe an die Ukraine geleistet und über 60.000 Vertriebene aufgenommen. Eine Linie, an der Regierungschefin Kallas weiter festhalten will. Nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse erklärte sie: „Wir müssen in unsere Sicherheit investieren, unser aggressiver Nachbar ist nicht verschwunden und wird auch nicht verschwinden, also müssen wir damit arbeiten.“

Kallas’ politischer Mentalität sei es auch zu verdanken, dass Estlands (rund 1,3 Millionen Einwohner) Wort am Tisch der EU inzwischen das gleiche Gewicht habe wie jenes größerer Staaten, heißt es aus Brüsseler Diplomatenkreisen. Die Luft der Freiheit im eigenen Land atmen, diese Handlungsmaxime scheint Kaja Kallas strikt zu verfolgen und bereits in der Kindheit geprägt zu haben.

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