Alexander Kluge - © Foto: Imago / Future Image

Zum 90. Geburtstag von Alexander Kluge: Antirealismus der Gefühle

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Wenn die Aufklärung versagt hat, wie kann man dann Auswege suchen und finden? Diese Frage stellt der deutsche Filmemacher, Fernsehproduzent, Schriftsteller und Philosoph Alexander Ernst Kluge in seinem vielschichtigem Werk.

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Wenn die Aufklärung versagt hat, wie kann man dann Auswege suchen und finden? Diese Frage stellt der deutsche Filmemacher, Fernsehproduzent, Schriftsteller und Philosoph Alexander Ernst Kluge in seinem vielschichtigem Werk.

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Wer das Utopische aufgreift, ist noch lange kein Utopist. Wer den Möglichkeitssinn strapaziert, flieht die Realität nicht. Wer die Ratlosigkeit zu einem Prinzip erhebt, drückt sich keineswegs vor dem Handeln. Im Gegenteil. Sie oder er schaut und hört bloß genauer hin und problematisiert das, was leichtfertig und einfach als Wirklichkeit gilt. Alexander Kluge sagt das auf dialektische Weise so: „Die Wirklichkeit vertritt die Ideologie, sie sei wirklich. Und das ist sie nicht.“ Für den Filmemacher, Schriftsteller und Philosophen speist sich Realismus aus zwei Haltungen: einer realistischen und einer antirealistischen. Die „Genauigkeit in der Wiedergabe realer Erfahrungen“ kann man realistische Haltung nennen. Diese Haltung wird von Ideologien unterlaufen, also vom „Kontrast zwischen den Wünschen der Menschen und einer Wirklichkeit, die nicht auf diese Wünsche antwortet“.

Zum anderen gibt es eine „Haltung gegen das, was an Unglück in den realen Verhältnissen ist, […] eine antirealistische Haltung“. Diese Haltung leugnet die Verhältnisse nicht, wie es die Ideologie tut, sondern in ihr tritt der „Antirealismus der Gefühle“ zutage. Denn „wenn eine Tatsache menschenfeindlich ist, den Menschen verletzt, dann leugnet er sie“.

Diese Dialektik durchzieht Kluges Werk. Es versammelt weit Auseinanderliegendes und setzt es in neue Verhältnisse. Wie Heidegger auf die Krim kam (er kam nicht dorthin, aber er hätte können) oder was Nanotechnologie mit Napoleon zu tun hat. „Die Bibliothek von Alexandria brennt für mich noch heute“, schreibt Kluge in „Chronik der Gefühle“. Seine Erzählungen, Interviews, Filme und Fernsehsendungen strapazieren den Muskel zur Unterscheidung von wirklich und erfunden und fordern die Leser(innen) und Zuschauer(innen), sich zu beteiligen. Es geht nach den Katastrophen im 20. Jahrhundert um die „Reinschrift der Aufklärung“.

Die Frage, die Alexander Kluge, der am 14. Februar seinen 90. Geburtstag feiert, mit seinem vielfältigen Werk seit Jahrzehnten stellt, gilt mehr denn je: Wie kann ich, wenn die Aufklärung versagt hat, Auswege suchen und finden?

Zwei neue Bücher von Alexander Kluge sind soeben im Suhrkamp Verlag erschienen: "Das Buch der Kommentare.Unruhiger Garten der Seele" und "Zirkus / Kommentar".

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