wir sind 100 - © KBB-Elisabeth Wagner

100 Jahre Burgenland: Einblicke ins einzigartige Universum

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Die burgenländische Landesausstellung „Wir sind 100“ auf der Burg Schlaining beleuchtet auch die religiöse Vielfalt. Landesjubiläum 2021 und 60-jähriges Diözesanjubiläum 2020 waren Anlass für allerlei Spurensuche.

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Die burgenländische Landesausstellung „Wir sind 100“ auf der Burg Schlaining beleuchtet auch die religiöse Vielfalt. Landesjubiläum 2021 und 60-jähriges Diözesanjubiläum 2020 waren Anlass für allerlei Spurensuche.

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Pandemiebedingt um fast drei Monate verschoben, ist Mitte August die Eröffnung der burgenländischen Landesausstellung „Wir sind 100“ auf der Burg Schlaining über die Bühne gegangen. Die vom Zeithistoriker Oliver Rathkolb von der Uni Wien kuratierte Schau hat bis Mitte September mehr als 10.000 Besucher ins Südburgenland gelockt. Auch im Winter kann die Ausstellung besucht werden; sie wird dann nächstes Jahr am selben Ort in ein burgenländisches „Haus der Geschichte“ integriert.

Auf drei Stockwerken des mittelalter­lichen Bollwerks werden Geschichte, Kultur, ethnisch-religiöse Vielfalt, Wirtschaft, Kulinarik und Selbstverständnis des Landes dargestellt. 130 Vitrinen und 30 Medienstationen wurden placiert. In zwölf Themenbereichen wird das, was das Burgenland landläufig ausmacht, nachgezeichnet, darunter Auswanderung, Pendeln zu den Großbaustellen, Fluchtbewegungen, Wallfahrten.

Ein kritischer Blick auf die Geschichte betrifft die Zeit des Nationalsozialismus sowie die negative Vor- und Nachgeschichte des Attentats auf vier Oberwarter Roma im Jahr 1995. Der Grundtenor ist aber ein anderer – man beleuchtet die Erfolge, ob Ostöffnung oder Österreichs Beitritt zur Europäischen Union und den damit verbundenen wirtschaftlichen Aufstieg.

Gleichzeitig laufen in Eisenstadt und Güssing Ausstellungen, die auch die in Schlaining bewusst beiseite gelassene Vorgeschichte des Gebietes betreffen: im Eisenstädter Diözesanmuseum bis 11. November (Martinsfest und Abschluss des Diözesanjubiläums) die Schau „60 Jahre Diözese Eisenstadt“– sie wurde bereits im Vorjahr eröffnet – und in der Burg Güssing die Zeitreise „Von Deutschwestungarn ins Burgenland“. Die Reise beginnt im Jahr 1848, dem Jahr der europäischen Revolu-
tionen, und endet mit dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie und der „Landnahme“ des Burgenlandes durch Österreich .

Schlaining, Eisenstadt, Güssing

Die Eisenstädter Ausstellung bietet echte Sensationen: etwa das „Klingenbacher Missale“, das die Diözese Györ/Raab zur Verfügung stellte. Die fragmentarischen handschriftlichen Eintragungen auf dem letzten Blatt des Messbuches (gedruckt 1501) gelten als das älteste bekannte und erhaltene Schrift- und Sprachdenkmal der burgenländischen Kroaten. Zum Teil ist das handschriftliche Fragment in der glagolitischen Schrift verfasst, die die älteste slawische Schrift darstellt.

Die Diözesen Győr/Raab und Szombathely/Steinamanger mussten zur Gründung der Apostolischen Administratur und späteren Diözese Eisenstadt große Gebiete abtreten, was jahrzehntelange Verbitterung der Würdenträger in Győr und Szomba­thely über Rom auslöste. 1922 war die Errichtung der Apostolischen Administratur Burgenland durch Pius XI. erfolgt, erst 1951 wurde ihr Sitz nach Eisenstadt verlegt, 1960 wurde das Gebiet eine eigene Diözese.

Aus Anlass des Diözesanjubiläums vor einem Jahr hat Altbischof Paul Iby eine vielbeachtete Ansprache gehalten. Iby ging zurück in jene Zeiten, als das Burgenland von Grenzkonflikten und Armut gekennzeichnet war.

„Als im Jahre 1921 nach dem Friedensvertrag von Saint-Germain am Ende des Ersten Weltkrieges das Gebiet von Deutschwestungarn zu Österreich kam, war das kein geordnetes, einheitliches Ganzes, sondern ein Trümmerhaufen. Dieses Gebiet gehörte zu den ungarischen Komitaten Wieselburg, Ödenburg und Eisenburg. Kirchlich gehörte es zu den Diözesen Szombathely und Győr. Wie sollte aus diesen Teilen etwas Einheitliches werden? Hat daran überhaupt jemand geglaubt?“, so der emeritierte Bischof.

Dass aus dem Trümmerhaufen ein eigenes selbstständiges Bundesland und eine selbstständige Diözese werden könnte, sei eine „Vision“ gewesen, die jedoch ausdrücklich „so von niemandem ausgesprochen“ worden sei. Dennoch: Im Volk seien „nach Zeiten, wo man verächtlich auf das Burgenland hinschaute und viele der Menschen sich schämten, zu sagen, dass sie Burgenländer seien“, Selbstbewusstsein und Heimatbewusstsein gewachsen.

Fundament dafür, dass die verschiedenen Volksgruppen und die verschiedenen Konfessionen und Religionen in diesem Land zu einer friedlichen Einheit gefunden hätten, sei ein lebendiger Glaube gewesen. Der Friede sei gewachsen, trotz der Anfangsschwierigkeiten und der schweren Jahre des Zweiten Weltkrieges.
Iby ging beim Jubiläum 2020 aber auch auf die dunklen Schatten ein, die Vertreibung und Ermordung der burgenländischen Juden und Roma in der NS-Zeit. Bei allem Positiven müsse beklagt werden, dass „zwei nachhaltige schwierige Zerstörungen leider nicht wiederhergestellt werden konnten: die Zerstörung der jüdischen Gemeinden im Burgenland und die Deportierung und Ermordung vieler Hunderter Mitglieder der Volksgruppe der Roma und Sinti“, hob der Bischof hervor.

Kirchliche Bemühung um Identität

Er erinnerte sodann an die Bemühungen von Bischof Josef Schoiswohl ab 1949, das Burgenland kirchlich-administrativ aufzuwerten. Schoiswohl habe begonnen, die Stadtpfarrkirche von Eisenstadt als künftige Domkirche umzugestalten. Weiters sei unter ihm in Mattersburg das Knaben­seminar neu gebaut worden. Als Schoiswohl 1954 Diözesanbischof von Graz-Seckau wurde, sei ihm Stefan László als neuer Apostolischer Administrator nachgefolgt. Er wurde zum Titularbischof von Metellopolis ernannt und 1956 in der Martinskirche zum Bischof geweiht. Er habe die Bemühungen von Bischof Schoiswohl fortgesetzt, damit das Burgenland zu einer Diözese erhoben werde. Unter Papst Johannes XXIII. sei dies schließlich 1960 tatsächlich gelungen, fasste Iby beim Jubiläum zusammen.

De facto war es so, dass erst die Diözesangründung in den Burgenländern – auch vielen Evangelischen – einen Schub an Selbstbewusstsein und Stolz ausgelöst hat. Der renommierte Historiker und Wissenschaftliche Leiter des Widerstands­archivs DÖW, Gerhard Baumgartner, charakterisierte die burgenländische Realität bis Ende der 1950er Jahre als village ethnicity. Die lokalen Dialekte der Deutschen, Ungarn und Kroaten sowie die aufgrund der ungarischen Vergangenheit im Vergleich zu Österreich völlig anderen und insgesamt demokratischeren Gemeindeverfassungen vor 1921 hätten starke lokale Identitäten hervorgebracht. Das Fehlen eines allgemeinen Wahlrechts in Ungarn habe sich keineswegs negativ ausgewirkt, denn dadurch sei die verhängnisvolle und hasserfüllte Mobilisierung entlang national gefärbter Parteien ausgeblieben. Die Kirche sei ein wichtiger Faktor gewesen, der das System in den Dörfern stabilisiert habe.

Die Neuorientierung erfolgte mit den ersten Landeswahlen 1922. Das Ergebnis löste einen Schock bei Klerus und Christlich­sozialen aus, denn stärkste Partei wurde mit fast 40 Prozent die – in ihrer Sicht – „jüdische“ Sozialdemokratie. Dies ist insofern beachtlich, als sie etwa im viel stärker urban geprägten Tirol nur 20 Prozent erhielt.

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