"18 Jahre Gefängnis ... konnten mich nicht zum Verstummen bringen"

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Sie zeigen vorbildhafte Lösungen für die drängendsten Probleme der Menschheit auf, und seit 25 Jahren erhalten sie dafür den Alternativen Nobelpreis. Zum Jubiläum treffen sich über 70 Preisträger diese Woche in Salzburg. Einer darf nicht kommen: der israelische "Atomspion" Mordechai Vanunu. Sein Eintreten für einen atomwaffenfreien Nahen Osten lässt er sich aber auch nach 18 Jahren Gefängnis nicht verbieten.

Die Furche: Herr Vanunu, es ist Ihnen strikt verboten, Interviews zu geben - warum haben Sie diesem Gespräch trotzdem zugestimmt?

Mordechai Vanunu: So wie jeder andere Mensch beanspruche ich für mich das Recht auf Redefreiheit. So wie jeder andere Mensch in einem demokratischen Staat habe ich das Recht, meine politische Meinung zu sagen. Die israelische Regierung unterstellt mir, dass ich noch im Besitz von nuklearen Geheimnissen bin und diese verraten werde - aber ich habe keine Geheimnisse mehr; alles was ich über Israels Atomwaffenprogramm wusste, habe ich vor 19 Jahren gesagt, und dafür bin ich entführt, verurteilt und eingesperrt worden.

Die Furche: Mit welchen Einschränkungen Ihrer Freiheit müssen Sie gegenwärtig leben?

Vanunu: Mit vielen: Ich darf das Land nicht verlassen, darf mich auch in Israel nicht ohne vorherige Mitteilung an die Behörden bewegen, darf nicht mit Ausländern und ausländischen Medien sprechen, darf nicht in ausländische Botschaften gehen und darf mich generell nicht zu nuklearen Themen und Atomwaffen äußern.

Die Furche: Mit dem Vorwurf, Sie würden gegen diese Auflagen verstoßen, hat man Sie letzten Monat wieder vor Gericht gestellt.

Vanunu: Eine Schande für die israelische Demokratie, aber nicht die erste Schikane seit meiner Haftentlassung vor einem Jahr: Am Tag von Arafats Tod, vergangenen November, stürmten Polizeieinheiten mein Quartier in der St. Georgs-Kathedrale in Ost-Jerusalem, nahmen mich zwölf Stunden lang fest und verhörten mich. Zu Weihnachten, als ich zur Christmette nach Betlehem fahren wollte, wurde ich erneut festgenommen und um zwei Uhr in der Früh - als die Mette vorbei war - wieder freigelassen.

Die Furche: Zahlreiche Beschuldigungen in der neuerlichen Anklage gegen Sie wurden letzte Woche vom Gericht in Jerusalem verworfen - ein kleiner Erfolg, ein Hoffnungsschimmer?

Vanunu: Kleiner Erfolg ja, aber kein Hoffnungsschimmer: In den letzten 19 Jahren habe ich nur schlechte Erfahrungen mit der israelischen Justiz gemacht - nehmen Sie es mir nicht übel, dass ich da nicht mehr so schnell optimistisch sein kann.

Die Furche: Jüdische Siedler und Mitglieder der religiösen Rechten haben lautstark gegen Ihre Freilassung protestiert - fühlen Sie sich bedroht?

Vanunu: Ich fürchte mich nicht, auch wenn es diese Menschen gibt; aber wenn ich unter Israeli gehe, bin ich sicher einer gewissen Gefahr ausgesetzt, angeschrien oder angegriffen zu werden. Aber hier in der St. Georgs-Kathedrale und in Ost-Jerusalem generell leben zum Großteil Fremde, Palästinenser, Christen, hier fühle ich mich sicher, hier kann ich mich ohne Probleme überall zeigen.

Die Furche: In Ihren Briefen aus dem Gefängnis an den Wiener Friedensaktivisten Ernst Schwarcz haben Sie geschrieben, Sie würden deshalb besonders drangsaliert, weil Sie vom Juden- zum Christentum konvertiert sind - sehen Sie das heute auch noch so?

Vanunu: Absolut, davon bin ich fest überzeugt. Weil ich Christ wurde, musste ich 18 Jahre im Gefängnis leiden; wenn ich nach wie vor Jude wäre, hätten sie mich nicht in dieser Weise leiden lassen. Nach zwei Dritteln der Haft wird in Israel jeder Kriminelle freigelassen - ich musste trotz unzähligen Anträgen die volle Strafe absitzen, bis zum letzten Tag. Es gab Mörder, die sind nach zwei, drei Jahren freigekommen, jüdische Terroristen ebenso, mich aber behandelte man wie einen palästinensischen Terroristen.

Die Furche: Welchen Qualen waren Sie ausgesetzt?

Vanunu: Einzelhaft, elfeinhalb Jahre war ich in totaler Isolation, nur zwei Stunden am Tag durfte ich in einen kleinen Gefängnishof hinausgehen - wieder allein. In dieser Zeit führten israelische Agenten einen Psycho-Krieg gegen mich: Sie wollten mich brechen, mich verrückt machen, meinen Geist zerstören und meine Gesundheit. Sie rissen mich aus dem Schlaf, verspäteten sich mit meinem Essen - Psycho-Krieg eben.

Die Furche: Wie konnten Sie diese Zeit überstehen?

Vanunu: Ich versuchte jeden Tag neu zu lernen und neu zu verstehen, was sie mit mir anstellen und wie ich dagegen ankämpfen kann. Ich versuchte mich in ihre Gedanken zu versetzen, um eine Antwort auf ihre Angriffe zu finden. Allein kämpfen zu müssen, jeden Tag kämpfen zu müssen - das braucht einen sehr starken Mann: Du darfst nicht aufgeben, du musst immer weiterkämpfen. Aber ich glaubte daran, dass ich ein Mensch bin, mit einem freien Geist, mit freien Gedanken, und ich habe das Recht, das zu glauben und zu tun, was ich will. Ich habe nicht zugelassen, dass sie mich verändern oder zerstören.

Die Furche: Als Sie sich 1986 mit Ihrem Wissen um Israels Atomwaffen an die Presse wandten, wussten Sie um das Risiko für Ihr eigenes Leben - warum haben Sie es trotzdem getan?

Vanunu: Es war einfach meine Pflicht, die Welt darüber zu informieren, was Israel wirklich tut. Zu der Zeit war ich neun Jahre lang in Israels Atomreaktor Dimona beschäftigt gewesen; mein Job war es, nukleares Material, Plutonium, Lithium, Tritium zu produzieren. Ich erkannte, dass wir genug atomwaffenfähiges Material für zehn Atombomben pro Jahr produzieren. Das bedeutet, Israel hatte zu der Zeit schon mehr als 200 Atombomben, aber niemand wusste davon, Israel täuschte die ganze Welt.

Die Furche: Was glaubten Sie, mit Ihren Aussagen erreichen zu können?

Vanunu: Ich wollte die Welt warnen und damit einen Atomkrieg im Nahen Osten verhindern, denn die israelische Regierung war bereit, Atomwaffen bei einem nächsten Krieg gegen die Araber einzusetzen. Außerdem hoffte ich, meine Enthüllung würde den Palästinensern helfen, ihr Land und ihre Rechte zu bekommen - mit Atomwaffen ist Israel stark genug und braucht nicht auf den Palästinensergebieten als Schutzzonen zu beharren.

Die Furche: Die Atomwaffensperrvertrag-Konferenz in New York ist kürzlich ohne Erfolg zu Ende gegangen. Ein atomwaffenfreier Naher Osten bleibt somit erneut Illusion.

Vanunu: Solange Israel seine Atompolitik nicht ändert, gibt es keine Hoffnung für einen atomwaffenfreien Nahen Osten. Solange nicht die Welt, die uno, die usa und Europa die israelische Politik in dieser Frage unter Druck setzen, gibt es keine Chance auf ein Einlenken. Ohne vehementen Druck auf Israel bleiben alle diese Konferenzen sinnlos und ohne Erfolg. Die us-Politik einer Demokratisierung und Befriedung des Nahen Ostens muss sich auch an dieser Frage messen lassen.

Die Furche: Wie soll die Welt mit den nuklearen Ambitionen des Irans umgehen?

Vanunu: Amerika und Europa: Wer selber Atomwaffen besitzt und sich gegen Abrüstung sträubt, wird den Iran nicht wirklich überzeugen und von seiner nuklearen Aufrüstung abhalten können. Zuerst müssten George W. Bush und Europa mit gutem Beispiel vorangehen und ihre Atomwaffen abbauen und dann können und sollen sie, Israel zur Abrüstung zwingen. Aber stattdessen spielen sie nur Spiele.

Die Furche: Israel beharrt um seiner Sicherheit willen auf der "Politik der nuklearen Zweideutigkeit".

Vanunu: Israel wird sicher sein, wenn es den Friedensprozess im eigenen Land und in der Region vorantreibt - und nicht mit mehr Atomwaffen. Heute bringen Atombomben keinem Staat ein Mehr an Sicherheit.

Die Furche: Wieviele Israelis unterstützen Sie - Uri Avnery (siehe Beitrag unten) hat zum Beispiel recht vehement für Sie Partei ergriffen?

Vanunu: Es gibt Unterstützung von israelitischer Seite - aber sie ist sehr, sehr gering, nur wenige Individuen sind auf meiner Seite.

Die Furche: Ein Grund mehr, dass Sie Israel verlassen wollen - wo haben Sie schon überall um Asyl angesucht?

Vanunu: In Irland, Frankreich, Norwegen, Schweden, Dänemark und Kanada - bislang erfolglos ...

Die Furche: Und in Österreich?

Vanunu: In Österreich habe ich noch nicht angesucht - aber wenn Sie wollen, können Sie das für mich tun. Aber ich warne Sie, geben Sie nicht zu schnell auf, es wird nicht leicht werden, mich hier rauszubekommen.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

der Spion des kleinen mannes

"Ich war kein Agent irgendeiner Organisation. Ich wollte, dass der kleine Mann die Wahrheit erfährt. Ich habe es nicht für Geld getan und ich habe kein Geld erhalten", steht in einem Brief Mordechai Vanunus an den Ehrenpräsidenten des Österreichischen Versöhnungsbundes Ernst Schwarcz. Über viele Jahre hinweg war der Wiener Friedensaktivist Schwarcz mit Mordechai Vanunu in Briefkontakt, schickte Bücher, Zeitungen und nicht zuletzt Opernvideos an den Literatur- und Musikfreund im Shikma Gefängnis in Ashkelon.

"Ich brach das Tabu!"

Am 21. April 2004 wurde Vanunu nach 18 Jahren Gefängnis, zwölf Jahre davon in Einzelhaft, entlassen - Einschränkungen seiner Rede- und Bewegungsfreiheit sind aber nach wie vor aufrecht. 1986 hatte Vanunu der britischen Zeitung Sunday Times in London das Nukleargeheimnis Israels verraten. Er arbeitete zuvor als Techniker im Atomreaktor Dimona in der Wüste Negev. Aufgrund seiner Beschreibungen und Fotos kamen Experten zu dem Schluss, dass Israel über das sechstgrößte Atomwaffenpotenzial der Welt verfügt. "Ich brach das Tabu. Nun werden andere kommen. Niemand kann das verhindern", schrieb Vanunu 1987.

"Politik der atomaren Zweideutigkeit"

Doch er täuschte sich - Israel hat den Besitz von Atomwaffen bis heute weder bestätigt noch dementiert. Diese so genannte "Politik der atomaren Zweideutigkeit" sei für die Verteidigung des Landes "unverzichtbar", erklärte erst kürzlich wieder Israels Ministerpräsident Ariel Sharon.

Kurze Zeit nach seiner Erklärung gegenüber der Presse wurde Vanunu von Israels Geheimdienst Mossad und mit Hilfe einer amerikanischen Agentin von London nach Rom gelockt, entführt, in einem Frachtschiff nach Israel gebracht und in einem nicht öffentlichen Prozess verurteilt. Doch schon in seinem letzten Brief aus dem Gefängnis an Ernst Schwarcz kündigte Vanunu an: "Alle diese Jahre, in denen ich zum Schweigen gebracht wurde, konnten mich nicht zum Verstummen bringen." WM

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