1989 Was ungesagt blieb

Werbung
Werbung
Werbung

Der Fall des Eisernen Vorhangs beschäftigt Gesellschaft, Politik und Wissenschaft. Viele Bilder von damals fallen aber immer noch zu fragmentarisch aus. Versuch einer Zusammenschau.

Es gibt Jahre, die im Rückblick leer und unbedeutend erscheinen. Und es gibt Jahre wie 1989, so voller Geschichte, dass scheinbar jeder etwas dazu sagen kann. Klar, auf einmal war die Mauer weg. Bush, Kohl und Gorbatschow. Der Kommunismus? Am Ende. Ja auch kein Wunder, bei der Planwirtschaft. Die unten wollten nicht mehr, und die oben konnten nicht mehr. So hat Lenin einmal die Voraussetzungen für das Gelingen einer Revolution beschrieben. Die Wissenschaft ist in der Beschäftigung mit 1989 schon recht weit. Unabhängig davon blieben in der Darstellung 2009, im Jubiläumsjahr, einige Aspekte im Dunkeln. Was es ist, das im Reigen der Narrative gefehlt haben könnte? Zunächst kam der Kommunismus nicht einfach an sein Ende. Im Buch „Der Vorhang geht auf“ zeigt György Dalos, dass die Sowjets schon im Juli 1986 den geheimen Beschluss fassten, sich in Osteuropa nicht mehr einzumischen. Moskau war im Rüstungswettbewerb der Atem ausgegangen und nicht mehr in der Lage, das Funktionieren des osteuropäischen Wirtschaftsgefüges zu garantieren. „Das bedeutet, sie wollten diese Länder ein bisschen freilassen, damit der Westen sie finanziert.“ Reform oder Untergang – daher Glasnost und Perestroika.

Die unterschiedlichen Revolutionen

Das Ende musste dann in jedem Land erst erkämpft, verhandelt oder erstritten werden. In Polen hatten es die Machthaber mit einer breiten Oppositionsbewegung zu tun. In Ungarn konnte man die Dissidenten an einer Hand abzählen, weil sich das Land schon weit geöffnet hatte, und: der Reformimpuls ging von Mitgliedern der Staatspartei aus. In Bulgarien und Rumänien, fast spätstalinistische Länder, sahen die Revolutionen, wenn sie diese Bezeichnung denn verdienen, völlig anders aus. Alte Netzwerke konservierten sich. Die Hinrichtung Ceau¸sescus war mehr das Ergebnis eines internen Konflikts zwischen Partei, Securitate und Armee, als Verdienst der niedergemetzelten Volkserhebung. Das strategische Interesse der Supermächte war eng mit der DDR verknüpft und die USA vor allem an einem interessiert: Dass ein wiedervereinigtes Deutschland Mitglied der NATO bleibt.

Kaum ein deutscher Politiker hat bis in den Spätherbst 1989 eine baldige Wiedervereinigung für möglich gehalten, geschweige denn gewollt. Auch nicht DDR-Bürgerrechtler und Reformer in der SED. Zu stark die Systemgrenze in den Köpfen bei Leuten, die großteils mit der Mauer groß geworden waren. „Wir guckten nach Osten wenn wir geschaut haben, wo sich was Interessantes tut“, erinnert sich Dieter Segert, damals Mitglied einer Basisbewegung in der SED, heute Professor für Transformationsprozesse in Mittel-, Ost- und Südosteuropa an der Uni Wien. „Was mir oft fehlt ist die Perspektive, wie es in der Zeit selbst aussah. 1989 war mehr als nur der Wunsch nach bürgerlichen und politischen Freiheiten. Wir hofften auf die Vereinigung einer Gesellschaft, die zumindest behauptet hat, sie strebe soziale Gleichheit an, mit den politischen Freiheiten des Westens. Also ein dritter Weg. Über diese nicht realisierte Hoffnung wird wenig gesprochen.“ Genauso schlägt er vor zu fragen, was in der Zeit seit 1989 herausgekommen ist. Seine Antwort ist durchaus positiv: Die 20 Jahre könnten als neuer Aufholprozess der Peripherie Europas gesehen werden. Das BIP-Wachstum hat überall stark zugenommen. Zugleich gab es einen Verlust sozialer Sicherheit. In den neuen EU-Ländern stieg die Arbeitslosigkeit von nahezu Null in kommunistischer Zeit auf durchschnittlich 8,4 Prozent 2008. Kein Wunder, dass die Gefühle in der Bevölkerung über den Umbruch heute sehr gemischt sind.

Schuldenberge

Die Ausgangsposition der Länder war verschieden ungünstig. Lech Wa/lÛesa schaffte es für Polen, die großen Auslandsschulden herunterzuhandeln: Bei manchen Gläubigern um bis zu 50 Prozent. Als Gesicht der Solidarno´s´c war er eine Art Superstar. Der erste polnische Finanzminister, Leszek Balcerowicz, verordnete strikten Kapitalismus. Gleichzeitig galt es, die Demokratisierung voranzutreiben. Ein Dilemma der Gleichzeitigkeit für eine ganze Region, das Polen besser lösen konnte als andere Länder.

Politisch verloren die alten Eliten fast überall in den ersten Wahlen ihre Dominanz. Dabei hatten sie in den fortgeschrittensten Reformländern der Liberalisierung, Polen und Ungarn, am wenigsten Erfolg. Gerade Ungarn ging offensiv an die Verarbeitung der Vergangenheit. Mehr Liberalisierung vor 1989 bedeutete aber wirtschaftlich keinen Startvorteil. „In der Slowakei wurden die Leute nicht so verwöhnt wie von János Kádár in Ungarn“, sagt Arnold Suppan (siehe Interview). „Bis 1989 gab es Zensur, keine Reisefreiheit und niedrige Löhne. Dadurch war der Start mit kapitalistischen Methoden erstaunlich leicht möglich. Schauen Sie sich die Pensionen an, die sind immer noch lächerlich. Die Durchschnittspension liegt bei rund 200 Euro.“ In Rumänien und Bulgarien waren die Wahlen 1990 alles andere als frei. Gleich 73 Parteien traten in Rumänien an. Eine Taktik, die die alte Elite gerne benutzt hat: Opposition zulassen, dafür aber kontrolliert und völlig zersplittert. Sehr bitter bilanziert der deutsche Schriftsteller Ilija Trojanow für Bulgarien. Die Wirtschaft sei nicht privatisiert, sondern piratisiert worden. Politiker stünden im Einfluss mafiöser Strukturen, die sich bereichert hätten. Keine Vergangenheitsbewältigung, nur Korruption und Elend. In einem ZDF-Film erinnert er an die Grausamkeit der Diktatur. Koljo Wutew, politischer Gefangener von 1958–1962, erzählt vom Steinbruch Lowetsch. Die Gefangenen mussten regelmäßig Sprengstoff anbringen, mit viel zu kurzen Lunten. Nach dem Anzünden hat es viele Männer zerrissen: „Hier ein Bein, dort eine Hand. Schnell, die Kadaver wegräumen. Einige kriegen Säcke, andere waschen den Felsen ab. Du greifst nach einem Bein, es zittert noch. Alles auf den Laster und die Arbeit geht weiter.“ Land der Rosen?, fragt ein Historiker. „Von wegen. Land der rosigen Gräueltaten!“

Stasi-Mitarbeiter als Sündenböcke?

Eines hatten alle Regime gemeinsam: Ohne das wachsame Auge der Geheimdienste hätten sie nicht funktioniert. Das Begleichen alter Rechnungen läuft daher oft über diese Thematik. Natürlich sei die Verantwortung führender Personen unbestritten, sagt Segert: „Aber in den 90er Jahren ist etwas passiert, das man in Deutschland gut verfolgen kann. Man hat in den inoffiziellen Mitarbeitern einen Sündenbock für alle Demütigungen gefunden. Aber wie soll man die Verantwortung dieser Leute messen? In den Akten steht sie ja nicht. Die Thematik wurde benutzt, um bestimmte Interessen durchzubringen. Das ist fatal, weil es nicht mehr um die Frage geht, was damals passiert ist.“ Auch in dieser Hinsicht ist die Wende noch lange nicht zu Ende.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung