Groer Krenn - © APA / Kelly Schoebitz - Bischof Kurt Krenn (li.) und Kardinal Hans Hermann Groer

25 Jahre nach der Affäre Groër: Widerfahrene Gottlosigkeit

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Die Rückblenden auf Groër und Krenn sind gerade heute aufschlussreich, weil sie klare Unterscheidungen angesichts des sexuellen Missbrauchs fordern. Eine theologische Analyse.

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Die Rückblenden auf Groër und Krenn sind gerade heute aufschlussreich, weil sie klare Unterscheidungen angesichts des sexuellen Missbrauchs fordern. Eine theologische Analyse.

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An einem Freitagnachmittag im Oktober 1986 war der Besuch von Hans Hermann Groër im Institutsgebäude der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien angesagt. Er war im Sommer zum Erzbischof der Erzdiözese Wien ernannt worden. Unvergesslich ist mir bis heute die schier endlose Begrüßungsszene zwischen ihm und mir. Wir standen einander dicht gegenüber, er hielt meine rechte Hand fest und melkte ein wenig an meinen Fingern. Noch heute habe ich den Geruch seines Habits in der Nase, mit dem er gekleidet war. Eine üble Erfahrung. Was gesprochen wurde, weiß ich nicht mehr, ich war froh, mit diesem Mann nicht allein zu sein.

Was gesprochen wurde, weiß ich nicht mehr, ich war froh, mit diesem Mann nicht allein zu sein.

Als im Frühjahr 1995 Josef Hartmann den Kardinal sexuellen Missbrauchs beschuldigte, hatte ich an der Glaubwürdigkeit dieses Vorwurfs keinen Zweifel. Kirchlich wurde geschwiegen, gemauert, denunziert. Drei Jahre später zeigten sich dann die Erzbischöfe Schönborn und Eder sowie die Bischöfe Weber und Kapellari überzeugt, dass die Vorwürfe zutrafen. Groër selbst schwieg, sein Sekretär Michael Dinhobl schrieb von einer Lynchjustiz und unkontrollierbaren Mediengerichtsbarkeit; Kurt Krenn, der sich als Gottes eherne Faust darstellen ließ, sprang ihm bei, bis auch ihn der Wirbel homosexueller Orgien und kinderpornografischer Verbrechen im St. Pöltner Priesterseminar traf, die dazu führten, dass der Vatikan ihn 2004 emeritierte, ohne Sanktionen.

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Vier Unterscheidungen

Diese Rückblenden auf Groër und Krenn sind deshalb aufschlussreich, weil sie klare Unterscheidungen angesichts des sexuellen Missbrauchs fordern.

  • Eine erste Unterscheidung: Wenn in Klerus und Orden Homosexualität praktiziert wird, steht das zwar gegen die Verpflichtung, die die Männer und Frauen bei Weihe oder Gelübden eingegangen sind. Doch sind dies Beziehungen unter Mündigen, die zumindest de iure sich selbst vertreten und auflehnen können. Ganz anders steht es um den sexuellen Missbrauch von Minderjährigen. Diese sind unmündig, stehen im Schutzalter und sind angewiesen auf Vertretung, die sie gleichzeitig nicht erzwingen können. Kinderpornografie und Pädosexualität in ihrer Form von erzwungenem Sex mit Minderjährigen ist daher qualitativ zu unterscheiden von homo- und heterosexuellen Gewaltbeziehungen unter Erwachsenen. Um es klar zu sagen: Es ist zu unterscheiden zwischen dem sexuellen Missbrauch der Ordensfrau Doris Wagner und dem sexuellen Missbrauch von Internatsbuben wie Josef Haslinger.
  • Die zweite Unterscheidung betrifft das, was als wesentliche soziale Voraussetzung sexuellen Missbrauchs gilt: die hermetisch geschlossene Gesellschaft mit einem inner circle, in der Verführung und Schweigebote dominieren, zusammengehalten von einer klar strukturierten Hierarchie der Über- und Unterordnung. Dass sie im Bereich der katholischen Kirche gottgegeben sein soll, verschärft das Ganze nochmals. Diese inappellablen hierarchischen Strukturen, die alle Macht in einer Hand versammeln, nämlich in der bischöflichen – Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit, Exekutive –, überfordern de facto nicht nur die Amtsträger, sondern entziehen notwendige Kontrollmöglichkeiten.

    Eine Gewaltenteilung im Bereich der katholischen Kirche ist daher Gebot, sie einzuführen wäre Zeichen echter Umkehr angesichts der Missbrauchsverbrechen und ihrer jahrzehntelangen Verschweigung. Eine strukturell veränderte katholische Kirche würde zudem endlich anerkennen, dass der Klerus nicht mehr das Bildungsmonopol verwaltet wie in der Antike und im Mittelalter, sondern in seinen Verfahren und Formen rechenschaftspflichtig dem so genannten Glaubensvolk gegenüber wird. Dieses ist nicht mehr eine Sammlung von blökenden Schafen, die andächtig den Hirten lauschen und alles hinnehmen werden. In Bildungsgrad und moralischer Verantwortlichkeit gibt es keinen Unterschied zwischen Klerus und Lai(inn)en, sondern, wenn es gut geht, eine solidarische und subsidiäre Parität, eine Gleichheit unter verschieden institutionalisierten Menschen.

    Auch institutionell ist dieser Unterschied von Klerus und Lai(inn)en fraglich. Denn der Rekurs auf göttliche Einsetzung der Hierarchie ist historisch falsch und theologisch gesehen eine Ideologie. Sinnhaft hingegen ist die Betonung einer zuletzt auf Gott bezogenen und daher auch innerhalb der Kirchengemeinschaft ablaufenden Verantwortung aller Mitglieder der Kirche. Diese erlaubt kein in sich abgeschlossenes klerikales Leitungskollektiv.

Rigide Gehorsamsforderung

  • Die dritte Unterscheidung betrifft die Lebensweisen, die Missbrauch ermöglicht und gedeckt haben. Es mag sein, dass der Zölibat eine wichtige Voraussetzung dafür war und ist. Ihn für Priester freizustellen, bedeutet nicht, ihn abzuschaffen, wie die Zölibatsapologet(inn)en stets vermelden (lassen). Freistellung ist kein Verbot. Das sollte auch den härtesten Zölibatsanhänger(inn)en klar sein. Wesentlich anfälliger für Missbrauch ist eine rigide Gehorsamsforderung. Sie okkupiert das Innerste eines Menschen, schaltet Verantwortung aus und entmündigt. Das kommt von langer Hand her und zentriert sich im dogmatischen Grundgestus der katholischen Kirche.

    Dogmatik nimmt dem glaubenden Menschen das Entscheidende weg, das ihn vor Gott qualifiziert, nämlich seinen bestimmten Glauben sowie die mit ihm verbundenen Entscheidungen, Konsequenzen und aufrichtigen Diskurse. Sie erzeugt und sichert die hierarchische Über- und Unterordnung als ein geschlossenes System von Eingeweihten, das nach außen hin niemandem rechenschaftspflichtig ist, weil man in ihm die dogmatische Wahrheit besitze. Es ist hoch an der Zeit, diese dogmatisch fundierte Gehorsamsforderung markant zu relativieren und echten Diskursen auszusetzen. Oder traut man Gott wirklich so wenig über den Weg, seine Wirklichkeit durchzubringen?

Es ist hoch an der Zeit, diese dogmatisch fundierte Gehorsamsforderung markant zu relativieren und echten Diskursen auszusetzen.

Ein pervertierter Gottesglaube

  • Die vierte und letzte Unterscheidung betrifft den Gottesglauben. Die Missbrauchsverbrechen haben den kirchlich repräsentierten Gottesglauben ebenso massiv verstört wie die durch sie Gepeinigten. Aus dem Abgrund dieser Verbrechen erscheint das meiste des tradierten Redens von Gott wie eine durchschaubare Rhetorikübung religiös Angestellter, die es gut getroffen haben dürften in ihrem Leben. Es ist weithin haltlos und bedeutungslos. Denn religiös gesehen, betreffen die verübten Perversionen die Substanz des Glaubens: Im kirchlichen Raum rechneten die Missbrauchsverbrecher mit größter Sicherheit damit, dass den von ihnen Gepeinigten kein Gott zu Hilfe kommen wird.

    Ihr Kalkül ging auf. Ich weiß von keinem und keiner einzigen Geschändeten, dass in den Stunden der Finsternis Gottes rettende Hand gefühlt wurde. Es war die Hand des Peinigers, der sich im Akt der Unterwerfung zu ihrem Gott machte und über ihr Gedeih und Verderb allein entschied. Notwendig ist daher eine Theologie im Abgrund der widerfahrenen Gottlosigkeit; eine Theologie, die das dogmatische Korsett abwirft im Namen der Geschändeten, weil ihr zerrüttetes Ebenbild einen Anspruch auf theologische Solidarisierung stellt, der wesentlich bedeutender ist als der dogmatisch erzwungene Konsens von eisern geschmiedeten Sätzen, deren Gehorsamsforderung den Missbrauch reaktiviert und mobilisiert.

    Eine Theologie angesichts des Missbrauchs nimmt die abgründige Gotteskrise offensiv auf und verwandelt im Namen der Missbrauchten Traditionstexte in Hoffnungstexte; sie stellen die Aufgabe eines echten Exodus aus dem dogmatisch gestützten, gehorsamstotalitären Sklavenhaus des vielfältigen Missbrauchs. Eine solche Theologie steht für die Geschundenen ein im Bewusstsein, dass die entscheidenden Fragen vom Ende her die entscheidenden Fragen der Gegenwart sind: Wann haben wir dich hungrig, durstig, fremd, nackt oder gefangen gesehen? (Mt 25,38f.). Und schärfer: Warum haben wir dich ausgezogen, nackt stehen lassen, sind über dich gekommen? Das fordert klare Nachfragen in Bezug auf die Ermöglichungsfaktoren des Missbrauchs und den Mut, aufzustehen und befreiende Wege zu gehen, für andere und mit anderen, die in den Strukturen der „heiligen Gründung“, der „Hier-Archie“, zuschanden gemacht wurden.

Der Autor ist Fundamentaltheologe an der Universität Wien. Im WS 2019/20 veranstaltete er dort eine vielbeachtete Ringvorlesung zum Missbrauchsthema. Seine eigene Missbrauchserfahrung verarbeitete er in der Novelle „Sehr gut“.

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