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25 Jahre Oberhirte: Bischof Dr. Paulus Rusch

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Das Diktum eines feudal orientierten Prälaten: „Diözesen müssen im ersten Jahrtausend gegründet sein” — an sich schon anfechtbar —, wird vollends entkräftet, wenn man das bisherige Lebenswerk des zweiten Apostolischen Administrators von Innsbruck, Dr. Paulus Rüsch, beachtet. Wohl harrt der Passus im österreichischen Konkordat 1934, der die Erhebung der Apostolischen Admini- stratur Innsbruck-Feldkirch in den Rang einer Diözese vorsieht, bis heute immer noch der Verwirklichung. Doch haben Geist und Werk des Oberhirten ein Bistum geformt, das zur Diözesanwerdung reif ist. Unter den rund hundert Bischöfen von Säben und Brixen, in deren Sukzession die Tochterkirche von Innsbruck steht, haben bloß zwölf in ihrer Regierungszeit das Vierteljahrhundert erreicht oder überschritten. Gerade diese lange regierenden Hirten waren es aber, die dem kirchlichen Leben meist mächtige Impulse zu geben vermochten.

Für den jüngsten Bischof Großdeutschlands war 1938 der Anfang besonders schwierig. Anders als sein Vorgänger und Konsekra- tor Bischof Dr. Sigismund Waitz wurde Bischof Dr. Paul Rusch vom Staate nicht anerkannt; sein erster Provikar, Msgr. Karl Lampert, wurde bald verhaftet, gauverwiesen und schließlich zum Tode verurteilt. Dem verheerenden Einbruch ins Glaubensleben Tirols und Vorarlbergs stellte sich der junge Bischof mit einem dynamischen Aufbruch und einem vielfachen Vorstoß ins Neuland moderner Seelsorge. Der Wegfall aller staatlichen Hilfen für das kirchliche Leben und das Trommelfeuer der Schikanen brachten nicht nur Verluste und Einbußen. Das resignierte Wort von Nuntius Orsenigo in Berlin: „Sie werden haben weniger, aber diese Wenigen werden sein Christen!” wies den Weg zu echter Elitebildung. Den einstigen Seminarregens traf die Schließung des Seminars, der theologischen Fakultät Innsbruck und des Canisianums, bald auch des neuen Diözesan-Priestersemi- nars in St. Michael bei Matrei besonders hart, doch vermochte all dies nicht, das programmatische Konzept des neuen Bischofs zu brechen. Er gründete die Seelsorgeämter in Innsbruck und Feldkirch, versammelte alljährlich alle Dekane zur nunmehr traditionell gewordenen Herbsttagung und legte in all den Jahren besonderen Weit auf Priesterfortbildung. Ihr dienten die regelmäßig. wiederholten Pfarrerkurse, die Kooperatorenkurse, die Jugendseelsorgerkonferenzen, die Priesterstudientage, die Quatembereinkehrtage und nicht zuletzt die häufig persönlich gehaltenen Pastoralkonferenzen für seinen Klerus, dem er wiederholt auch persönlich Priesterexerzitien gab. Eines seiner großen Werke war 1951 bis 1954 der Neubau des Innsbrucker Priesterseminars. Oft findet man dort den Bischof bei seinen Theologen, deren Nachwuchs im Vergleich zu anderen Diözesen auch zahlenmäßig erfreulich ist. Die beiden bischöflichen Knabenseminarien, das Paulinum in Schwaz und das Marianum in Bregenz sowie die Maturaschule von Stams bilden im Verein mit den übrigen Mittelschulen den erhofften Nachwuchs heran. Als echter Wanderapostel erteilte der Bischof das Sakrament der Priesterweihe in den verschiedensten Gotteshäusern, um die Gemeinden für ihre Primizianten auszuzeichnen. Dabei sind seine Pontifikal- funktionen — seltene Synthese — würdevoll und kurz. Eine wohltuende Kürze zeichnet auch seine nunmehr beinahe dreißig Hirtenbriefe aus, die meist pragmatisch auf irgendein seelsorgliches Werk ausgerichtet sind.

Die Gemeinden werden vom Altar aus geformt. Diesem Ziele dient die Verlebendigung des Gottesdienstes. Das Diözesangesangsbuch „Gotteslob” war wohl bahnbrechend im deutschen Sprachraum. Und Gott sei Dank, unsere Gemeinden singen wieder! In der Mehrzahl der Kirchen gab es auch so etwas wie einen Ministrantenfrühling, denn für die katholische Jungschar wird alle Sorgfalt angewendet.

Das kirchliche Bauamt arbeitet auf Hochtouren, denn wohl zwei Dutzend neuer Seelsorgestationen wurden im Laufe dieser Jahrzehnte errichtet. Der Neubau des Ordinariatsgebäudes in Innsbruck und des Seelsorgeamtes in Feldkirch sollen dazu dienen, Programm und vielfältige Initiativen der jährlich neu gestellten „Seelsorgeaufgabe” möglichst in alle Gliederungen der Katholischen Aktion wirksam weiterzutragen.

Unter oberhirtlicher Lenkung konnte sich die bischöfliche Behörde in diesem Vierteljahrhundert organisch entfalten. Die Namen von vier Provikaren seien hier genannt. Der impulsive und bekenntnisstarke erste Provikar des Bischofs, Msgr. Karl Lampert, konnte nur eine kurze Aktivität entfalten, aber seine Passio im Dienste der Kirche von Innsbruck ließ ihn noch größer erscheinen. Sein Abschiedsbrief an Bischof Paulus vor der Hinrichtung in Thorgau ist ein ergreifendes menschliches und christliches Dokument. .Wiewohl schon im Ruhestand trat als bester Kenner des Kirchengebietes der verdiente Provikar von Bischof Waitz, Prälat Urban Draxl, mit Takt und Klugheit als Mentor des Bischofs in Erscheinung. Nach einer schweren Krankheit hatten die Ärzte dem Bischof täglichen Spaziergang und wöchentlich einen freien Tag empfohlen. Jahre hindurch verbrachte der Bischof diesen traditionellen freien Mittwoch meistens in Mötz bei Provikar Draxl. Als hervorragender Kanonist konnte der Freund und Mitschüler, Dr. Bruno Wechner, jahrelang das Amt eines Provikars bekleiden, ehe er als Generalvikar und Weihbischof von Feldkirch im Jahre 1955 sein jetziges hohes Amt antrat. Das Rätselraten über die Amtsnachfolge fand ein Ende mit der Berufung des bisherigen Leiters des Innsbrucker Seelsorgeamtes, Msgr. Michael Weiskopf, zum Provikar von Innsbruck.

Den Zeiterfordernissen entsprechend trat wie in anderen deutschen und österreichischen Diözesen neben dem Ordinariat und dem kirchlichen Gericht auch das Seelsorgeamt immer stärker in Erscheinung. Das persönliche Beispiel und die Impulse des Bischofs sorgen dafür, daß in den zahlreichen Referaten und Arbeitsgemeinschaften beider Seelsorgeämter von Innsbruck und Feldkirch intensive Arbeit geleistet wird — das persönliche Beispiel: denn längst vorbei ist die Zeit des Axioms „le roi regne, il ne gouverne pas”, „der König trägt wohl die Krone, aber er führt nicht die Regierungsgeschäfte”. Unser Bischof „regiert” höchstpersönlich und ist rührend arbeitsintensiv. Er war es schon einst im Seminar, wo er in sieben Jahren die beiden Doktorate der scholastischen Philosophie und der Theologie erwarb. Eine Leistung, für die es an der Innsbrucker Theologischen Fakultät nur drei Beispiele gibt. Arbeitsintensiv in den Audienzen. Ehe im Vorjahr der jetzige bescheidene Bischofshof entstand, konnte man jahrzehntelang an Vormittagen zwischen zehn und zwölf Uhr zahlreiche Audienzbewerber den bescheidenen Korridor der Kaplanswoh- nung im dritten Stock bevölkern sehen, in jener Wohnung, die dem Bischof so lange als bescheidenes Domizil genügte. Arbeitsintensiv bei zahllosen Predigten, Konferenzen, Besprechungen, Sitzungen und Vorträgen, ganz besonders bei der Dichte seines alljährlichen Visitationsprogrammes, wo durch mehrere Wochen ein schier pausenloser Nonstopbetrieb eine Pfarre nach der anderen in Atem hält. Es bleibt ein Rätsel, wie neben diesem täglichen Arbeitsanfall eine Reihe von Büchern und theologischen Aufsätzen entstehen konnten, und wie er neben der gründlichen Pastoration des eigenen Kirchengebietes auch eine geschätzte Vortragstätigkeit in fremden Diözesen entfalten konnte. Auslandsreisen im Dienste der Pax-Christi-Bewegung oder zur Einweihung des Heimes für Österreicherinnen in London seien nur am Rande erwähnt.

Für die persönlichen Impulse, die der Bischof den verschiedenen Referaten, Bewegungen, Werken und Arbeitsgemeinschaften der Katholischen Aktion zu geben vermag, sei zum Vergleich das Bild eines Leuchtturmes genannt, dessen Scheinwerfer turnusmäßig im Umkreis auszustrahlen weiß. Keine Abteilung braucht zu bangen, je vergessen zu werden, keine braucht indes zu fürchten, unablässig im Lichtkegel angestrahlt zu bleiben. Die Bemühungen im Laienapostolat, den Laien selbständige Verantwortung für das Reich Gottes zu übertragen, sind über erste Ansätze längst hinausgewachsen. Die Helfersendungen, die Pfarrlaienräte, die Apostolatsrunden haben vielerorts erstaunliche Initiativen und Aktionen hervorgerufen, so daß für das christliche Gemeindeleben neben Kirche und Pfarrhaus immer mehr auch das Jugendheim und der Pfarrsaal an Bedeutung gewinnen.

Ehe Bischof Paulus als Spätberufener mit 23 Jahren ins Canisianum in Innsbruck eintrat, war er eine Zeitlang Bankbeamter gewesen. Diese gewiß kurze berufliche Tätigkeit im Bankfach, glaubt man mitunter zu erkennen, wenn man das fiskalische Geschick des Oberhirten in Sozialaktionen, kirchlicher Bautätigkeit und kirchlicher Missions- und Entwicklungshilfe beobachtet. Deshalb hat die bischöfliche Finanzkammer eine Reihe von Aufgaben und von Erfolgen zu buchen.

Der Oberhirte findet indes den Weg zu seinem Kirchenvolk nicht nur über die Organe seiner administrativen Verwaltung, sondern er bleibt bestrebt, möglichst in Direktkontakt mit Gemeinden, Seelsorgern und Laien zu treten. Es darf nicht wundernehmen, daß ein so vielbeschäftigter Mann der bloßen Repräsentation eher abhold ist, und wer als autarker Regent die Zeichen der Zeit versteht und vor unliebsamen, aber als richtig erkannten Maßnahmen nicht zurückscheut, wird mitunter in der Einsamkeit des Unverstandenen verharren müssen. Gilt ihm doch der Grundsatz: „Ein Bischof ist nicht dazu da, beliebt zu sein, sondern dazu da, seine Pflicht zu tun.”

Als ein den Zeitaufgaben und der Zukunft entgegenfiebernder Apostel ist Bischof Paulus am Zweiten Vatikanischen Konzil brennendst interessiert und beteiligt. Zwar wird unser Bischof kaum Pilgerzüge nach Rom führen, aber in intensivem theologischen Studium zum Konzil findet seine Liebe zur Gesamtkirche und zum Stuhle Petri beredten Ausdruck. Vier Päpstän hat er treu gedient, und der Wunsch det Ernennungsbulle Pius’ XI. ist in Erfüllung gegangen, daß er das übertragene Amt „prudenter ac sollerter” — „klug und geschickt zum Heile der unsterblichen Seelen verwalte” —, wozu ihm der Herrgott noch lange Gesundheit und Gnade schenken möge!

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