70 mal 70: Vorbild für Konvent

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Nun hat der Verfassungskonvent seine Arbeit aufgenommen. Viele Erwartungen sind ihm mitgegeben worden. Mir ist aufgefallen, dass der Konvent siebzig Mitglieder hat. Die Zahl 70 löst nicht nur Assoziationen wegen ihrer Heiligkeit aus, sie weckt auch eine ganz bestimmte historische Erinnerung. Zufall oder weise Absicht?

Mit dem Namen 70 wird die Septuaginta bezeichnet, die Übersetzung der Hebräischen Bibel ins Griechische, die im dritten Jahrhundert vor Christus durchgeführt wurde. Will unser Verfassungskonvent schon bei der Zahl seiner Mitglieder an diese kultur- und religionsgeschichtliche Großtat anknüpfen? Rund um die Septuaginta haben sich eine ganze Reihe von Legenden gebildet. Manche davon scheinen durchaus für die Arbeit des Konvents lehrreich zu sein.

Erstens: Die Septuaginta wurde rasch verwirklicht. Nicht mehr als 70 Tage, so heißt es, waren nötig, um das große Werk zu vollenden. Trotz aller Beschwörung des Prinzips "Speed wins" sehe ich wenig Chance, dass es mit der österreichischen Verfassung ähnlich rasch gehen könnte. Zweitens: Das Ergebnis der Arbeit wurde einmütig beschlossen. Alle Beteiligten waren verwundert darüber, denn Einmütigkeit war schon damals nicht der Normalfall. Auch da legt das gewollte oder ungewollte historische Vorbild die Latte etwas zu hoch.

Drittens: In einem Punkt steht aber zu befürchten, dass der Verfassungskonvent seinem historischen Vorbild nahekommt. Als nämlich das Ergebnis der Übersetzungsarbeit öffentlich vorgestellt wurde, brach das Volk in Jubel aus, heißt es. Denn es war gelungen, etwas Neues zu schaffen, ohne am Vorgegebenen auch nur das Geringste zu verändern. Zumindest in diesem Punkt wär's wünschenswert, meine ich, wenn vom historischen Vorbild abgewichen würde.

Der Autor ist Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche A.B.

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