Abbruch des Christentums
F.-X. Kaufmann analysiert den Zustand des Christentums. Sein Therapievorschlag: Schöpferische Ratlosigkeit.
F.-X. Kaufmann analysiert den Zustand des Christentums. Sein Therapievorschlag: Schöpferische Ratlosigkeit.
Die Perspektive für das Christentum in unseren Breitengraden ist wenig erfreulich. Nicht nur das: einen eklatanten Abbruch christlicher Traditionen ortet der Bielefelder Religionssoziologe Franz-Xaver Kaufmann in seinem neuen Büchlein "Wie überlebt das Christentum?" Christliche Religiosität wird nicht nur bedeutungsloser, sie verschwindet.
Sind die Älteren noch in einer Lebenswelt aufgewachsen, in der Familie, Verwandtschaft, Freunde eng mit Kirche verbunden waren, entwickeln junge Menschen - bedingt durch den gesellschaftlichen Umbruch - Verhaltensweisen, die nicht dazu geeignet sind, langfristige Traditionen zu stiften.
Trotz dieser Analyse liegt dem renommierten Soziologen nichts ferner, als "die gute, alte Zeit" zu beschwören. Er zeigt auf eine sachliche, prägnante und durch eine Unmenge an Wissen fundierte Weise, wie es zu dieser Situation gekommen ist - und das auf 150 dichten, spannenden Seiten.
Der Erfolg des Christentums gründet, so argumentiert Kaufmann, darin, dass es ihm immer gelungen ist, seine Anliegen aus dem Licht jener Kultur heraus zu beleuchten, in der es lebte.
Genau in diesem Erfolgsrezept liegt aber zugleich auch die Wurzel des Niedergangs: Ist es im Zug der christlichen Gemeindebildungen noch gelungen, inmitten einer heidnischen Umgebung eigene Lebenswelten zu entwickeln, die sich von der Umgebung abhoben, haben sich diese seit der Konstantinischen Wende eng mit der Politik verbunden - zu eng. Religionskritik und Aufklärung haben letztlich zur Entkoppelung von Religion und Politik geführt. Ein noch andauernder Prozess.
Paradoxerweise war diese Entwicklung aber zugleich getragen von Werten, die christlichen Ursprung haben: Frei sein, Person sein, Glücklich sein. Diese Werte sind Ikonen des modernen Individuums - "wenngleich mitunter nur ein matter Abglanz der biblischen Verheißung".
Kaufmanns Analyse ist konservativ - im besten aller Sinne: Nüchtern zeigt er, was das Christentum an bewahrenswerten Schätzen besaß und verspielte. Er wird dabei aber nicht kulturpessimistisch. Kaufmann argumentiert progressiv - weil er konservativ ist. Seine Prognose: Das Christentum als gesellschaftsbestimmende Religion wird nur überleben, wenn es ihm gelingt, in Probleme lösender Weise aktiv zu werden. Also keine Elite, kein Fundamentalismus, auch keine spirituelle Renaissance werden das Christentum retten. Fortschritt im Bewusstsein von wandelbarer Tradition ist das Gebot der Stunde.
Dass dies gelingt, ist ein Herzensanliegen des Soziologen: denn der Bedeutungsverlust des Christentums und damit verbunden der generelle Abbruch von Tradition werde den Menschen auf lange Zeit gesehen, vermutlich schaden. Er ist für Kaufmann zudem Ausdruck einer Gesellschaft, die von ökonomischen und politischen Imperativen dominiert ist.
Die Christen aber erinnert er daran, dass die jüdisch-christliche Glaubenstradition immer angefochten war und ihr zudem weltlicher Erfolg nicht in Aussicht gestellt wurde: "Eine schöpferische Ratlosigkeit wäre keine ungünstige Voraussetzung für die Auseinandersetzung mit einer unsicheren, offenen Zukunft."
Wie überlebt das Christentum? Von Franz-Xaver Kaufmann.
Verlag Herder (Herder spektrum), Freiburg 2000. 144 Seiten, TB, öS 123,-/e 8,33
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