Abgeschoben ins Altersheim

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Wer jung und behindert ist und viele Pflegestunden braucht, muss sein Leben oft im Altersheim verbringen. Experten protestieren bisher erfolglos dagegen.

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Wer jung und behindert ist und viele Pflegestunden braucht, muss sein Leben oft im Altersheim verbringen. Experten protestieren bisher erfolglos dagegen.

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" Etwa 1000 junge Behinderte sind zwangsweise in Seniorenpflegeheimen untergebracht. Damit verstößt Öster-reich gegen internationales Recht. “

Sonja Wörndle ist 33 Jahre alt - und lebt im Altersheim. Nach zwei Schlaganfällen sitzt sie im Rollstuhl, auch ihre rechte Hand ist gelähmt. Seit September ist sie im Wohnheim Pradl in Innsbruck untergebracht, einem geriatrischen Alters- und Pflegeheim. Fast 200 alte, oft demente Menschen leben hier. Sonja Wörndles Mitbewohner sind im Schnitt 50 Jahre älter als sie, erzählt die Altenpflegerin Diana Hubjar. Die meisten der alten Bewohner verbringen den ganzen Tag in ihren Zimmern oder im Aufenthaltsraum, schlafen oder starren Löcher in die Wand. Als Animationsprogramm gibt es Klaviernachmittage oder Gedächtnistrainings.

Auf den Tischen im Aufenthaltsraum sind Spiele wie "Mensch, ärgere dich nicht“ aufgemalt, Zimmerpflanzen stehen herum, bei der Tür brennt eine große Kerze neben einer eingerahmten Todesanzeige. Die Schwestern und Pfleger sind die einzigen, mit denen die ungestüme 33-Jährigen sich altersgemäß unterhalten könnte.

Bis zu 1000 in Heimen

Frau Wörndle ist kein Einzelfall. Wer jung ist, und von zu Hause auszieht, dem steht die Welt offen. Wer jedoch jung und behindert ist, für den kann es schon am Anfang seines Lebens heißen: Endstation. In Österreich müssen viele junge Menschen in Altersheimen leben - weil sie eine Behinderung haben. Wie viele junge Behinderte in Österreich so untergebracht sind, weiß allerdings niemand genau.

Experten schätzen, dass in Österreich bis zu tausend junge Menschen in Altersheime abgeschoben werden, weil sie eine Behinderung haben. Der Grund: Es gibt zu wenig altersgerechte Plätze und für viele Behörden ist eine passende Betreuung oft zu teuer. Besonders in Kärnten gibt es keine adäquaten Einrichtungen.

Sieben Jahre Bevormundung

Es ist halb zwölf im Senioren- und Pflegezentrum Untere Fellach in Villach. Die Holztische sind fürs Mittagessen gedeckt, Teller und Besteck liegen bereit, getrunken wird aus Plastikbechern. Auch der 43-jährige schwer körperbehinderte Daniel Wiesenreiter kommt zu Tisch. Seit sieben Jahren lebt der junge Mann hier im Altersheim. Nachdem er eine Treppe herunterfiel, war er querschnittgelähmt. Vor acht Jahren wurden ihm dann beide Beine amputiert. Beschäftigung oder gar Förderung der jungen Menschen mit besonderen Bedürfnissen gibt es im Seniorenzentrum Untere Fellach nicht. Das Mittagessen ist für ihn eine der wenigen Abwechslungen im sonst eintönigen Tagesablauf. Hier trifft er zumindest die Mitbewohner, die noch aufstehen können.

Doch: Ein vernünftiges Gespräch, dazu ist auch kaum einer der Bewohner hier noch fähig. Jahrelang wohnte der jugendlich wirkende Daniel Wiesenreiter in einer eigenen Wohnung. Als die notwendige Unterstützung zu teuer wurde, musste er ins Heim. Wiesenreiters Wohnung wurde gekündigt und aufgelöst. Wenn sich seine Mutter Stefanie Reinbacher daran erinnert, schießen ihr Tränen in die Augen. Doch ihre Besuche sind für Herrn Wiesenreiter eine willkommene Abwechslung.

Im Altersheim fühlt er sich bevormundet wie ein kleines Kind. "Es ist zum Bespiel der Tagesablauf so, dass wir etwa um vier Uhr Nachmittag das Abendessen bekommen und dann, bis nächsten Tag um halb neun, neun, warten müssen, bis wir das nächste Mal etwas zu essen bekommen“, erzählt er.

Fehlende Privatsphäre

Doch am meisten fehlt dem 43-Jährigen die Privatsphäre. Tatsächlich stürmen immer wieder Pflegerinnen in sein Zimmer. "Die ganze Organisation, die ganze Struktur ist auf alte Menschen ausgerichtet, die altersbedingte Beeinträchtigungen haben. Das ist einfach nicht das passende Setting für junge Menschen mit Behinderungen“, kritisiert Isabella Scheiflinger, Behindertenanwältin in Kärnten, "ein junger Mensch möchte etwas erleben, er möchte vielleicht eine Freundin kennenlernen, er möchte intim sein können, will fortgehen, zum Beispiel in ein Konzert!“

Junge Menschen müssen in Altersheimen leben, weil auch das Geld fehlt. Denn ein Pflegeheim ist weit günstiger zu betreiben als ein altersgerechtes Behindertenwohnheim beispielsweise. Noch dazu sind die Regeln von Bundesland zu Bundesland verschieden.

In Tirol beispielsweise liegt der Höchstbetrag bei 250 Stunden persönliche Assistenz im Monat. In Wien wird das Doppelte an persönlicher Assistenz gewährt. Doch da wie dort gilt: Wer mehr braucht, landet im Heim. In Kärnten ist das besonders oft ein Altenheim. Denn in Kärnten gibt es keine Institutionen für Menschen mit schweren Körperbehinderungen. Die Leiterin des Seniorenwohn- und Pflegeheims Pradl in Innsbruck, Elfriede Steinwender, beobachtet, dass die Zahl der "Fehlplatzierten“ in Innsbruck zum Beispiel um ein Vielfaches angestiegen ist. Waren es in den Jahren davor zwei bis drei junge Menschen, die für einen Heimplatz angemeldet wurden, sind es heuer bereits 27.

Ein Rocker im Altersheim

Ins Seniorenheim Pradl musste auch Paul Gasser vor eineinhalb Jahren ziehen. Der 44-Jährige ist spastisch behindert, kann nur mit großer Anstrengung sprechen, sitzt im Rollstuhl und kann seine Bewegungen nur schwer steuern. Er kann nicht allein aus dem Bett, sich nicht allein waschen, anziehen oder sein Essen mit einem Messer schneiden. Im Heim sitzt er oft mit seiner langjährigen Freundin Carola Siegel im Aufenthaltsraum. Im Hintergrund läuft sanfte Klaviermusik. Gasser verzieht das Gesicht. Denn das entspricht so gar nicht seinem Geschmack. Am Liebsten hört er die Rockband AC/DC. Doch das geht gar nicht im Seniorenheim Pradl in Innsbruck - und erst recht nicht, so richtig aufdrehen, wie sich das für AC/DC gehört: "Wenn ich Musik mache, sagen die anderen Bewohner:, Ausschalten, ausschalten!‘“, erzählt der Mann mit den kurz geschorenen Haaren: "Die Menschen hier sind alt und ich bin jung!“ Mit seinen großflächigen Tätowierungen am ganzen Körper, über 60 Piercings und den schwarz lackierten Nägeln ist er der personifizierte Omaschreck. Seine Mitbewohner finden, er sei verrückt, erzählt der Mann, und dabei blitzt ein bisschen Stolz in seinen Augen auf.

Doch viele der alten Bewohner schreckt gar nichts mehr. Sie sind dement und nehmen Paul Gasser kaum war. Hin und wieder ins Kino oder ins Konzert zu gehen. Für den lebenslustigen jungen Mann ist das jetzt fast unmöglich. "Wenn ich zurückkommen würde, wäre das Haus zu“, sagt er: "Sie schließen den Eingang um acht, halb neun Uhr.“ Also fährt er tagein tagaus die Gänge des Altersheims auf und ab, umgeben von alten, großteils dementen Menschen. Bis zu dem Tag, als seine Freundin Carola Paul Gasser eine frohe Nachricht bringen konnte: Er dürfe raus aus dem Altersheim. Und vor Kurzem ist der 44-Jährige in ein Heim für Behinderte umgezogen.

Für Sonja Wörndle in Tirol ist das Wohnheim Pradl bereits das dritte Altersheim, in dem sie beschäftigungslos lebt. Ihre 96-jährige Zimmergenossin ist neben ihr gestorben. Da war sie 28 Jahre alt. Im Heim in Pradl hat sie jetzt ein Einzelzimmer. Doch wohlfühlt sich Sonja auch in dem neuen Altersheim nicht. Sie hat nur einen Wunsch: "Mit jungen Menschen zusammenleben.“

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