Ablass im Sprudelbecken

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Über sieben Millionen Gäste haben im vergangenen Jahr österreichische Thermen besucht - und dort hoffentlich jene "Wellness" gefunden, nach der sie suchten. Oft genug entpuppt sich der Ausflug in eine Wohlfühl-Oase jedoch als Enttäuschung - eine Erfahrung, die (zahllose) Qualitäts-und Gütesiegel verhindern helfen sollen. Nicht zu verhindern ist freilich, dass sich so mancher diese Art von "Wellness" gar nicht leisten kann. Das vorliegende Dossier analysiert den Wohlfühl-Boom - und sucht auch nach seinen dunklen Seiten. Redaktion: Doris Helmberger Harald A. Friedl über die Hintergründe des Wohlfühl-Booms, den (verebbten) Goldrausch in der Wellness-Branche und das aktuelle Ringen um Qualität.

Ob Bad Blumau, Eduscho oder Hofer, ob Thermen, Bücher oder Klodeckel: Alles will der "Wellness" des Konsumenten dienen - und dessen Brieftasche lockern. "Wellness", dieses sinnlich im Mund rollende Zauberwort, löste Mitte der 90er-Jahre unter den Thermen einen überwältigenden Boom aus, auf den zahlreiche Branchen folgten: Kosmetik und Beauty, Tourismus, Nahrung und Getränke, Sportartikel, Coaching und Weiterbildung, Bücher und vieles mehr. Erklärbar ist dieser Erfolg, weil der Begriff "Wellness" einem kollektiven Bedürfnis Ausdruck zu verleihen vermochte. In den 80ern und frühen 90ern hatten sich die Menschen noch nach einer heilen Umwelt gesehnt, wobei die Vorsilbe "Öko" Attraktivität symbolisierte. Doch der rasche Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft führte auch zu veränderten Bedürfnissen der Konsumenten.

Ausgepumpt und aufgetankt

Liberalisierung und Globalisierung der Märkte, die Auflösung traditioneller Arbeitsverhältnisse, Zwang und Lust zu zunehmender räumlicher und sozialer Mobilität, um als "Ich-AG" zu bestehen: Dieser wachsende Druck auf die Menschen, verbunden mit dem Verlust alter Sicherheiten, schuf eine enorme Nachfrage nach Geborgenheit, Sicherheit, Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit. Der postmoderne Mensch, der sich während der Woche geistig und emotional für Firma und Kunden auspumpt, will - und muss - sich in der knappen Freizeit wieder "auftanken". Er will - und muss - seine Attraktivität bewahren, um am heiß umkämpften Markt um gute Jobs und schöne Partnerinnen und Partner punkten zu können. Und das Ganze soll auch Sinn machen: eine Prise Lebenslust und-orientierung gehört selbstverständlich auch dazu.

Wer so viele unerfüllte Bedürfnisse hat, ist der umhegte König einer Konsumbranche, die Serviceleistungen für jedes Bedürfnis zu erfinden bereit ist. Warum also nicht auch den säkularen Ablass für die alltäglichen Lebenssünden wie Stress, Erfolgsgier, Völlerei und Zeit-Geiz anbieten? Ayurveda gegen die Verspannung wegen des nervigen Chefs, Hawaii-Massage gegen die Seitensprünge des Ehemanns, und finnische Sauna gegen die Heringsschmaus-Folgen ... Ein Fressen für die Tourismusbranche, die am Schwund jener Sommerfrischler litt, die ihre Urlaubsparadiese weiter im Süden suchten. Auf der Jagd nach neuen Konzepten und Attraktionen wurde Wellness zur Offenbarung: der ultimative Marketing-Gag eines pervertierten Begriffs.

Erarbeitet oder begnadet?

Aus den USA stammend, bezeichnete Wellness ursprünglich das selbstverantwortliche ganzheitliche Bemühen um körperliches, geistiges und seelisches Wohlbefinden. Dahinter steht die - protestantisch motivierte - Überzeugung, dass Gesundheit keine Gabe Gottes sei, sondern Ausdruck des eigenen disziplinierten Lebensstils. Anders formuliert: Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner, denn der Staat zahlt nicht für deine Lebenssünden. Denn in den USA gibt es keine allgemeine Krankenversicherung. Wer nicht auf sich Acht gibt, geht vor die Hunde. Ganz anders dagegen im katholisch geprägten Mitteleuropa, wo Erlösung gleichsam als Gabe empfunden wird: früher durch den Priester, dann durch den Arzt, und heute durch den Wellness-Coach. Man muss nur die richtige Wahl treffen ... Doch genau hier beginnt das eigentliche Problem.

Der Wellness-Boom glich einem Goldrausch: Allein die Thermen verzeichneten bis zum Jahr 2000 zweistellige Umsatz-Zuwachsraten. Diese Aussicht auf reiche Fischzüge in einem scheinbar unendlich wachsenden Markt brachte den Anbietermarkt in dramatische Bewegung. Seither schießen immer neue Thermen in Österreich, aber auch in den neuen EU-Ländern, aus dem Boden. Und immer mehr Tourismusbetriebe outen sich als "Wellness-Oase". Mittlerweile ist der Markt heillos übersättigt, die Konkurrenz mörderisch. Die jährlichen Zuwachsraten bei den Thermen-Umsätzen liegen nur noch bei einem knappen Prozent. Die Ära des großen Geldes ist für Wellness vorbei, obwohl viele Betriebe ihre großzügigen Investitionen noch lange nicht abbezahlt haben.

Skeptisch und verwirrt

Damit steigt die Gefahr, dass sich hinter Heilsversprechungen an Kunden mindere Service-und Produktangebote wie mickrige Saunen, kalte Kneipp-Becken oder wertlose Pflegeprodukte verbergen. So begnügen sich manche renommierten Hotelbetriebe in ihrem "Wellness-Resort" mit Personal, das kaum einen Wochenkurs als Wellness-Trainer hinter sich gebracht hat. Denn wo hohe Renditen ausbleiben, muss gespart werden - auf Kosten der Qualität und der Konsumenten. Im Gegenzug wächst die Skepsis des Verbrauchers gegenüber einer unübersichtlichen Angebotsvielfalt unterschiedlichster Qualität. Unter diesem Konkurrenz-Dschungel leiden freilich auch Betriebe mit hochwertigen Angeboten, weil sie nicht mehr wahrgenommen werden.

Als Ausweg aus diesem Chaos böte sich die Entwicklung und Verbreitung von Qualitätszeichen für bestimmte Standards mit dem Ziel an, sich von der Masse abzuheben. So vergibt etwa die FH Joanneum in Bad Gleichenberg alljährlich den "BELENUS-Award für innovative Wellness-Produkte". Das Grazer Ö-Norm-Institut wiederum versucht mit der neuen ÖNORM D4000, Standards insbesondere unter therapeutischen Wellness-Produkten zu etablieren. Den Weg des Zusammenschlusses zur "European Spa World" wählten hingegen die Thermen der Regionen Burgenland, Pannonia, Slowenien und der Steiermark. Dem steht im Westen Österreichs das "Alpine Wellness"-Label entgegen.

Qualität und Nischen

Weil immer mehr Unternehmen der genialen Idee der Auszeichnung folgen, verpufft auch der Orientierungseffekt zu einem Dschungel der Zeichen: Längst steht der Endverbraucher vor einer fast unüberschaubaren Anzahl solcher (regionaler) Qualitätssiegel und ist deshalb so klug wie vorher. Abhilfe könnte zwar ein nationales Qualitätssiegel schaffen, doch sind hier bislang die regionalen Widerstände gegen ein gemeinsames Vorgehen zu groß.

Die strategische Alternative für Unternehmen ist eine klare Profilbildung und Spezialisierung, etwa auf die Bereiche Medizin, Bodystyling, Fitness oder auch Esoterik. In solchen neu geschaffenen Marktnischen, die für den Verbraucher wieder überschaubar sind, eröffnen sich dann auch neue Wachstumschancen. Eine solche viel versprechende Marktnische ist Medical Wellness: die Schnittstelle von Freizeit, Wohlbefinden, Gesundheit und Selbstzahlermedizin. Hier können Menschen therapeutische Behandlungen präventiv zur Gesundheitsförderung konsumieren. Dahinter steht das Ziel, bis ins hohe Alter gesund, schmerzfrei und leistungsfähig zu bleiben. Die Tatsache, dass solche medizinisch fundierten Behandlungen teurer sind als bloße Aromasauna, signalisiert auch deren höheren Qualitätswert. Denn was nichts kostet, ist bekanntlich wenig wert. Der Haken dabei: Leistbar sind diese Service-Angebote nur für Menschen, die das nötige Kleingeld haben. Wem das fehlt, der muss auch weiterhin mit dem Taschenbuch-Ratgeber in der Hand durch den Stadtpark seine Nordic-Walking-Runden drehen, Müsli essen und auf Schnäppchen-Jagd nach billigen Wochenenden in überlaufenen Thermen gehen. Vielleicht bleibt dann wenigstens der Wellness-Effekt der Weisheit: denn aus Schaden wird man klug ...

Der Autor lehrt Freizeitsoziologie und Tourismusethik am Studiengang "Gesundheitsmanagement im Tourismus" an der FH Joanneum in Bad Gleichenberg.

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