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Abwegige englische Forschungen

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DieGegenspieler des Lehrers derGerech-tigkeit sind der „Frevelpriester“ und der „Lügenprediger“. Diese und andere Hinweise bewogen einige Forscher in England, alle in der Höhle gefundenen Texte, 60 wie sie sind und ohne Ausnahme, der judenchristlichen Sekte der Ebioniten zuzuschreiben, die hauptsächlich in den ersten beiden Jahrhunderten nach Christi ihre Irrlehren verbreiteten. Es muß zugegeben werden, daß der Lehrer der Gerechtigkeit gewisse Züge aufweist, die Christus nach ebionitischer Auffassung gehabt hat. Nach ebionitischer Christologie ist Jesus Christus. Mensch von Menschen geboren und war durch seine innere Reinheit und Bereitschaft, die Sohnschaft Gottes in geistigem Sinne anzunehmen, zu dieser Sohnschaft erhoben und somit zum Messias von Gott ernannt worden, er ist kein Christus natus ex Maria virgine, sondern ein Christus appellatus. In den ebioni-tischen pseudoklementinischen Rekogni-tionen (1/48) heißt es von Christus: „Der in den Wassern der Taufe durch Appellation von Gott Sohn genannt wurde.“ Weiters ist Christus nach ebionitischer Theologie für die messianische Zwischenperiode bis zu seiner Wiederkehr beim Letzten Gericht der bindende Interpret und Reiniger des mosaischen Gesetzes. Ganz dieselbe Eigenschaft hat der „Lehrer der Gerechtigkeit“ im Habakuk-Kommentar und vor allem in der Sammlung apokrypher Psalmen. Nach letzterem wurde er „aus der Unterwelt des Verderbens in die Höhe der kommenden Welt emporgehoben“. Nur durch den „Lehrer der Gerechtigkeit“ und durch seine Lehre können seine Gläubigen gerechtfertigt werden, denn „ihn selbst ließ Er (Gott) teilhaben am Wissen um die Geheimnisse Seiner Wunderkraft“ und „an ihm hat Er viele erleuchtet“. Der „Lehrer der Gerechtigkeit“ wurde somit auch von seinem Menschsein erhoben, er hat Teil an Gottes Wunderkraft, was der Appellationsauffassung in der ebionitischen Christologie sehr nahekommt. Auch vom Lehrer der Gerechtigkeit wird in den erwähnten apokryphen Psalmen ausgesagt, daß er von •einen Gegnern schwer verfolgt wurde, daß „er zu Spott und Schande im Munde aller wurde, die Lügen reden“, aber „im Vertrauen auf Ihn wird er sich wieder zusammenraffen und aufstehen gegen diejenigen, die ihn verschmähen“. Auch diese Züge des Lehrers der Gerechtigkeit kann man mit den ebionitischen Vorstellungen zusammenstellen, die die endzeitliche Parusie Christi als unmittelbar bevorstehend erwarteten.

Doch andererseits weisen sowohl die erwähnten Texte wie auch das zu Anfang dieses Jahrhunderts in Kairo gefundene „Dokument des Neuen Bundes im Lande Damaskus“, das inhaltlich unzweifelhaft mit den neugefundenen Handschriften aufs engste verwandt ist, Eigentümlichkeiten auf, die ausgeschlossen beionitisch sein können. Vor allem in der Stellung zum Tempelopfer in Jerusalem und in der Stellung zu den Nachkommen Aarons, des Ahnherrn des Priestergeschlechts, weichen die neugefundenen Texte gemeinsam mit den Damaskusdokument stark von der ebionitischen Praxis ab. Es ist somit auch nicht angängig, die Texte als ebionitisches Schrifttum bestimmen zu wollen und die Vermutung Teichers (Cambridge), der im „Lügenprediger“ den Apostel Paulus wiedererkennen wollte, ist als irrig abzuweisen. Paulus war der größte Feind des Ebionitismus und seine Lehre wurde von den Ebioniten schwer bekämpft. Da die Texte aber selbst nicht ebionitisch sein können, ergibt sich von selbst die Unmöglichkeit der Zusammenstellung: Apostel Paulus — Lügenprediger.

Die historischen Anspielungen im Habakukmädrasch weisen entweder in die Zeit des Makkabäeraufstandes (etwa 167—160 vor Christi) oder in die Zeit der blutigen Kämpfe zwischen Pharisäern und Sadduzäern, die vom hasmonäischen König Alexander Jannai (103—76) begünstigt und unterstützt wurden. Die Krüge, in denen die Texte in der Höhle aufbewahrt waren, weisen ebenfalls in die Zeit des Alexander Jannai. Auf Grund einer Stelle im Habakuk-Kommentar liegt es sehr nahe, die Zeit Alexander Jannais als Abfassungzeit dieses Kommentars anzusehen. Als einzige jüdische Sekte dieser Zeit, die bisher neben den Pharisäern und Sadduzäern bekannt ist, nennen die Quellen die Essener. In der Tat weisen die Nachrichten über die Essener mit dem Inhalt der neugefundenen Texte oft ein verblüffende Ähnlichkeit auf. Ein Zusammenhang mit den Essenern ist somit so gut wie gesichert. Der Kirchenvater Hippolytus berichtet von den Essenern, daß sie an ein künftiges Weltgericht und an einen Weltenbrand glauben. Djeses Thema ist das zentrale Anliegen etlicher apokrypher Psalmen. Nach Philaster von Brescia ist der Christus der Essener „ein Prophet und gerechter Mann“. Weit zahlreicher sind die Ubereinstimmungen unserer Texte mit den Berichten, die Josephus Flavius und Philon von Alexandria von den Essenern geben. Trotz all diesen Übereinstimmungen weisen aber sowohl das Essenertum als auch die Sektentexte aus der Höhle bei Jericho Züge auf, zu denen sich in einer der beiden Gruppen keine Ubereinstimmungen finden lassen. Somit will sich

folgendes Gesamtbild ergeben: Im zweiten Jahrhundert vor Christi vor dem Essenismus oder als

Nebenlinie desselben gründete oder organisierte neu der „Lehrer der Gerechtigkeit“ eine Gemeinde von überfrommen Juden, die das Kommen des Messias am Ende der Zeiten in unmittelbarer Zukunft erwarteten. Ob der „Lehrer der Gerechtigkeit“ mit dem nach der Vorstellung der Sekte zu erwartenden Messias identisch sei, läßt sich aus den bisher bekannten Texten nicht mit Sicherheit aussagen, allerdings mit Wahrscheinlichkeit vermuten. Die Mitglieder dieser Sekte und deren Anschauungen vom „Lehrer der Gerechtigkeit“ trugen dann auf christlichem Boden, besonders innerhalb der Urgemeinde, wesentlich zum Werden der ebionitischen Häresie bei.

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