Adams irakische Erben

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Die Jesiden im Nordirak sind die wenigen letzten Gläubigen einer mesopotamischen Uralt-Religion. Nach Vertreibungen und Massakern im Saddam-Irak sind sie jetzt erneut der Verfolgung ausgesetzt.

Jesiden werden vergiftet", alarmierte Al-Taakhi, die Tageszeitung der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) die Bevölkerung des nordirakischen Kurdistan. Rund 400 Menschen aus dem von Jesiden bewohnten Dorf Khanik wurden wegen Vergiftungserscheinungen in ein Krankenhaus der Kurdenstadt Dohuk eingeliefert. Ein Arzt des Dorfes starb. Während Chemiker in Bagdad noch die Ursachen der Krankheiten erforschen, herrscht unter vielen Jesiden Panik. "Entweder", so ein Vertreter dieser Minderheit, "hat jemand in der Region das Trinkwasser vergiftet, oder einige Nahrungsmittel".

Die Zwischenfälle haben die Angehörigen dieser religiösen Minderheit in schwere Unruhe versetzt. Viele sehen darin den Beweis dafür, dass die seit dem Sturz des Diktators Saddam Hussein im Irak blutig wütenden islamistischen Fanatiker, die nicht nur gegen die Besatzungsmächte und deren irakische Verbündete, sondern speziell auch gegen die Jesiden wiederholte Drohungen ausgestoßen haben, diese nun in die Tat umsetzen. In Mosul waren Pamphlete aufgetaucht, die all jenen "Gottes Lohn" verheißen, die so viele Jesiden wie möglich töteten. In Mosul und Kirkuk wurden Jesiden vermutlich von islamistischen Gewalttätern, ermordet, weil sie in Lokalen Alkohol ausgeschenkt hatten.

"Jene Kräfte, die den Irak in Chaos und Instabilität stürzen wollen, versuchen heute alles, um die diversen ethnischen und religiösen Gruppen des Landes gegeneinander aufzuhetzen", erläutert der kurdische Historiker Jalile Jalil die neuen Gefahren, die der jesidischen Religionsgemeinschaft heute in dem von US-Truppen schlecht und recht kontrollierten Irak drohen. "Die Jesiden sind leichte Opfer, denn ihre lange Vergangenheit schwerster, grausamster Verfolgungen, Vertreibungen, Zwangsislamisierungen, Massaker und radikaler Dezimierung hat sie zutiefst verwundbar gemacht und in höchstem Maße verängstigt."

Nur Gott, kein Teufel

Tatsächlich steht das Überleben einer der ältesten Religionsgemeinschaften auf dem Spiel. Einst die dominierende Religion Kurdistans, der Gebiete Südostanatoliens, des heutigen Irak und Syriens, sowie Teile des Iran, sind die Jesiden durch die Gewalt Andersgläubiger auf kleine Restgruppen zusammengeschrumpft. Im Nordirak, wo auch ihr religiöses Zentrum, Lalesch liegt, leben heute maximal 500.000 Jesiden. Aus der Türkei wurden sie in den vergangenen Jahrzehnten durch schwere Schikanen ihrer muslimischen Nachbarn ins Exil gedrängt, überwiegend nach Deutschland, wo sie als bedrohte Religionsgemeinschaft anerkannt sind. Insgesamt dürfte die Religionsgemeinschaft heute kaum mehr als eineinhalb Millionen Menschen zählen.

Der monotheistische Glaube der Jesiden geht auf uralte religiöse Traditionen und Glaubenswahrheiten Mesopotamiens zurück. Seine Wurzeln reichen in die Zeit des zweiten Jahrtausends vor Christus. Seine frühe Geschichte ist bis heute nicht voll erforscht. Fest steht, dass der Jesidismus vom Zoroastrismus beeinflusst wurde, der vor dem Islam im Persischen Reich geltenden Staatsreligion. Er enthält aber auch Komponenten aus noch älterer Zeit.

Die Vorstellung der Jesiden vom Wesen Gottes gleicht jener der Christen und Muslime: Gott ist einzig, allgegenwärtig, immerwährend, ohne Anfang und ohne Ende, ohne Gestalt und allmächtig. Er erschuf die Welt. Neben ihm kann keine zweite Kraft existieren, die ohne seine Fürsprache, ohne sein Einwirken etwas Böses verrichtet. Deshalb gibt es nach jesidischem Glauben auch keine Gestalt des Bösen, keinen Teufel. Das Leben der Jesiden endet nicht mit dem Tod, sondern es wird nach einer Seelenwanderung ein neuer Zustand erreicht.

Gottes auserwähltes Volk

Insbesondere die Muslime der Region, Sunniten wie Schiiten, verfolgten die Jesiden wegen ihrer alten Kulte, der Verehrung der Sonne und des Feuers, mit Hass und Verachtung. Sie bedachten sie nicht - wie Juden und Christen - mit dem Status der "Völker des Buches", sondern halten sie für "Ungläubige". Hier liegt eine der Wurzeln für die heutigen Animositäten islamistischer Fanatiker. Dabei begreifen sich die jesidischen Bergbewohner als Gottes auserwähltes Volk. Sie führen ihre Abstammung allein auf Adam zurück. Eine Vermischung mit der übrigen, von Adam und Eva geborenen Menschheit, war ihnen nicht gestattet. Bis heute haben die Jesiden ihre religiöse und national-kurdische Identität bewahrt, sind starke Träger kurdischer Sprache und Kultur, in Kurdistan, ebenso wie in der Diaspora.

Als Jeside wird man geboren

In der langen, weit in das Gebirge eindringenden Schlucht von Lalesch, nördlich der Stadt Mosul, erheben sich zwischen den Felsen zahlreiche Kuppeln. Hier liegen die großen jesidischen Heiligen begraben. Lalesch ist Ziel jesidischer Gläubiger bei jährlichen Pilgerfahrten. Im Gegensatz zu Mekka, das Nicht-Muslimen strikt verwehrt ist, werden Nicht-Jesiden in Lalesch von den das Heiligtum bewachenden auserwählten Männern, den Fakiren, herzlich aufgenommen. Trotz der enormen Existenzprobleme in einer feindseligen Umwelt, ist der Jesidismus eine zutiefst tolerante Religion geblieben.

Die Wurzeln dafür liegen in seinen Grundregeln: Als Jeside wird man geboren. Niemand kann zu dieser Religion übertreten. Deshalb verfolgen die Jesiden auch keine missionarischen Ziele. Sie respektieren vielmehr alle Religionen und heiligen Bücher und erwarten von diesen dasselbe ihnen gegenüber. Insbesondere mit den Christen der Region, den Assyrern, wie den Armeniern, pflegen die Jesiden seit langem enge freundschaftliche Beziehungen. Die Armenier haben bis heute nicht vergessen, dass die jesidischen Kurden in der Türkei ihnen während der Massaker durch die muslimischen Türken Ende des Ersten Weltkrieges hilfreich beigestanden waren. Hunderttausende Jesiden waren damals mit den Armeniern in den Kaukasus geflüchtet, wo sie heute noch, insbesondere in Armenien und Georgien, leben.

Arabisierung ausgesetzt

Unter Saddam Hussein waren die Jesiden neuen Verfolgungen ausgesetzt. Das arabisch-nationalistische Baath-Regime stufte diese nicht-muslimischen Kurden als Araber ein und setzte sie massiven Arabisierungskampagnen aus. Das alte Hauptsiedlungsgebiet der Jesiden im Nord-Irak, die Bergkette des Sinjar im Grenzgebiet zu Syrien, stand bis zum Sturz Saddams unter Kontrolle der Zentralregierung in Bagdad, während Lalesch und die jesidischen Dörfer in der Umgebung seit 1991 zum Selbstverwaltungsgebiet der Kurden im Nord-Irak zählen. Seit dieser Zeit erlebten die Jesiden eine kleine Renaissance.

Die politische muslimische Kurdenführung zollt den Minderheiten in ihrem Administrationsgebiet - den Jesiden, ebenso wie den Christen oder den Turkmenen - hohen Respekt und fördert de-ren religiöse, wie kulturelle Institutionen. In Dohuk konnten die Jesiden in den vergangenen Jahren ihr Kulturzentrum ausbauen, dürfen offen jesidischen Kindern Religionsunterricht erteilen, ihre religiösen Feste ohne Angst in alter Tradition feiern. "Wir verdanken das alles Massoud Barzani", dem Führer der KDP, die gemeinsam mit der Patriotischen Union Kurdistans, PUK, das freie Kurdistan verwaltet, meint ein jesidischer Intellektueller. "Ohne Barzanis wohlwollende Toleranz gäbe es vielleicht heute im Nordirak keine jesidische Gemeinde mehr."

Doch ob Barzani nun die Jesiden vor dem neu aufgekeimten Haß islamistischer Fanatiker ausreichend schützen kann, ist höchst fraglich, sind doch die muslimischen Kurden selbst bereits Opfer blindwütiger Attentate jener Kräfte geworden, die eine Stabilisierung des Iraks, den Aufbau eines demokratischen, pluralistischen, toleranten Staates verhindern wollen.

Doch die schwer bedrängte jesidische Gemeinde hält trotz aller Bedrohungen an einem ihrer zentralen Grundsätze fest, der die tiefe Humanität dieser Religionsgemeinschaft bezeugt: "Lieber Gott", so rezitieren die Jesiden einen alten Vers, "gib erst 72 Völkern deinen Segen, schütze erst 18.000 Wesen - und danach uns Jesiden."

Die Autorin ist Nahost-Korrespondentin.

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