Kartal Cemevi - © Foto: Cemyildiz/cc

Aleviten: Der etwas andere Islam

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Wie islamisch sind die Aleviten? Bei aller Gemeinsamkeit gibt es unter Österreichs Aleviten in dieser Frage unterschiedliche Positionen.

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Wie islamisch sind die Aleviten? Bei aller Gemeinsamkeit gibt es unter Österreichs Aleviten in dieser Frage unterschiedliche Positionen.

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"Mein Vater hat immer zu mir gesagt: Junge, wenn du am Abend schlafen gehst und mit ruhigem Gewissen schlafen kannst, dann gibt es keinen besseren Aleviten als dich“, sagt Tuncay Alper und fügt lächelnd hinzu: " Wir stellen den Menschen in den Mittelpunkt. Bei uns spielen nicht Regeln, die vor zig Jahren gemacht worden sind eine Rolle, sondern wir sagen: Behandle jeden Menschen gleich und gerecht.“ Der Dreißigjährige ist stellvertretender Vorsitzender der Alevitischen Jugend in Österreich (ajö) und einer von rund 60.000 Aleviten, die heute im Land leben. Im österreichischen Bewusstsein ist seine aus Anatolien stammende Religion noch nicht wirklich angekommen, obwohl die ersten Aleviten bereits in den 1960er Jahren nach Österreich kamen.

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Die relative Unkenntnis, die dem Alevitentum in Österreich nach wie vor entgegenschlägt, mag einerseits mit der vergleichsweise geringen Zahl der hier lebenden Aleviten zu tun haben. Andererseits begleitet die Aleviten die Strategie, sich möglichst unauffällig zu verhalten, bereits seit hunderten von Jahren. "Man ging in die innere Emigration“, beschreibt der Turkologe Markus Köhbach von der Universität Wien das Verhalten der Gemeinschaft ab dem 14. Jahrhundert. "Auf diese Art konnten die Aleviten bis heute überleben“, so der Wissenschaftler. Die Anfeindungen, die die Aleviten in ein möglichst unauffälliges Leben drängten, hatten neben politischen Kämpfen mit den osmanischen Machthabern vor allem auch mit der ganz eigenen Beziehung zum Islam zu tun.

Möglichst unauffäliges Leben

Bis heute diskutieren Islamwissenschaftler, muslimische Gelehrte und auch Aleviten selbst, ob die alevitische Religion denn innerhalb oder außerhalb des Islams anzusiedeln ist. "Ich würde generell sagen, dass das Alevitentum eine Glaubensrichtung des Islams ist“, sagt Riza Sari. Der Mann mit dem dichten Schnauzbart ist Beamter der Stadt Wien und Pressesprecher der Islamisch-alevitischen Glaubensgemeinschaft (ALEVI). Seit 2010 ist die Glaubensgemeinschaft in Österreich als religiöse Bekenntnisgemeinschaft anerkannt. Im Mai dieses Jahres wird sie ziemlich sicher den Sprung zur anerkannten Religionsgemeinschaft schaffen. Eine Entwicklung, mit der nicht alle Aleviten in Österreich glücklich sind. Sie stoßen sich an dem Zusatz "islamisch“ im Namen, in dem sie die Gefahr einer Vereinnahmung sehen. "Es gibt gewissen Gruppen im Islam, die im Alevitentum Angst hervorgerufen haben und den Ruf nach Eigenständigkeit laut werden ließen“, sagt Tuncay Alper, der mit der ajö unter dem Dach der Föderation der Aleviten Gemeinden in Österreich (AABF) beheimatet ist. Im Gegensatz zur Islamisch-alevitischen Glaubensgemeinschaft versucht der ursprüngliche alevitische Dachverband AABF als alevitische Religionsgemeinschaft ohne das Wort "Islam“ im Namen anerkannt zu werden (vgl. dazu den Beitrag rechts).

Viele Traditionen integriert

"Unsere Wurzeln liegen zwar im Islam, aber über die Zeit hinweg haben wir uns immer weiter vom Islam fortbewegt und sind zu einer eigenständigen Glaubensart geworden“, so Alper. Dass sich die alevitische Theologie seit der Zeit Mohammeds stark weiterentwickelt habe, räumt auch Riza Sari ein. Wie die Schiiten, eine der beiden Hauptströmungen des Islams, halten zwar auch die Aleviten Mohammeds Cousin und Schwiegersohn Ali für dessen rechtmäßigen Nachfolger. Doch sehen sie die fünf Säulen des Islams - Glaubensbekenntnis, Gebet, Almosen, Fasten und die Pilgerfahrt nach Mekka - nicht als bindend an. Dazu kommt, dass die Aleviten im Laufe der Jahrhunderte eine Vielzahl an Traditionen in ihre religiöse Praxis integrierten, die sich sonst nirgends im Islam finden lassen.

All das machte sie für viele Muslime in der Türkei über die Jahrhunderte suspekt und führte immer wieder zu gewaltsamen Ausschreitungen gegen die alevitische Bevölkerung. Bis heute konnte sich die türkische Republik nicht durchringen, die Aleviten als eigenständige religiöse Richtung anzuerkennen, sondern spricht von der alevitischen Kultur. Die Aleviten werfen der türkischen Regierung außerdem vor, eine Politik der Assimilierung voranzutreiben - eine Angst die auch manche der österreichischen Aleviten umtreibt. "Viele wehren sich gegen den Namen islamisch-alevitisch, weil man die Befürchtung hat, dass dahinter eine Assimiliationspolitik steht, die auch von der Türkei beeinflusst sein könnte“, so Tuncay Alper.

Angst vor islamischer Assimilation

Es gäbe einiges, das einem solchen Assimilationsprozess zum Opfer fallen könnte, wie etwa die ganze eigene Art des Gottesdienstes. "Cem“ nennen die Aleviten die aus 12 Teilen bestehende religiöse Feier, die von einem Dede geleitet wird. Dieser muss ein direkter Nachfahre der Familie Mohammeds sein und gilt seiner Gemeinde als religiöser Führer. An die 25 dieser Gemeindevorsteher gebe es allein in Österreich, sagt Riza Sari. Im ländlichen Anatolien zog der Dede von Dorf zu Dorf, und ein Cem fand immer dann statt, wenn jener gerade vor Ort war. Auch heute feiern die Aleviten ihre Gottesdienste weit weniger häufig als Christen oder andere Muslime, dafür kann ein Cem vier Stunden dauern.

Fixe Termine sind vor allem die vier bedeutenden Feiertage innerhalb des Alevitentums: das muslimische Opferfest, das Aschura-Fest, das an die Schlacht bei Kerbela erinnert, der Geburtstag Alis und die Feier des Schutzheiligen Hizir. Im Zentrum des Cem, der auch in Österreich auf Türkisch gefeiert wird, steht der Semah, ein ritueller Kreistanz. Begleitet von der Musik der Saz, einer Langhalslaute, tanzen Frauen und Männer gemeinsam. Denn die Aleviten legen Wert darauf, dass zwischen den Geschlechtern kein Unterschied besteht. Auf das Bild des Mannes als Oberhaupt und Ernährer der Familie hatte dieser religiöse Gleichheitsgedanke allerdings weniger Einfluss.

Doch glaubt man Tuncay Alper, dann beginnen sich auch bei den Aleviten die gesellschaftlichen Rollenbilder zu ändern. "Vor allem die dritte Generation der Aleviten in Österreich beginnt sich immer stärker zu öffnen“, so Alper. Er sieht die Aufgabe der ajö gerade auch darin, die Jugendlichen beim Finden ihrer Rolle und Identität zu unterstützen. So sei es das Ziel vor allem, die sozialen Kompetenzen der jungen Aleviten zu stärken. Mit diesem sozialen Ansatz steht die Jugendorganisation in guter alevitischer Tradition.

Die Stärkung der Gemeinschaft und des sozialen Gefüges spielt eine wichtige Rolle im alevitischen Leben, wie auch Räumlichkeiten der alevitischen Vereine in Österreich nicht allein religiösen Zwecken dienen. Nachhilfekurse finden dort ebenso ihren Platz wie Musik- und Tanzunterricht. "Unter der Woche sind sie als Sozialräume offen, wo sich die Alten auf Kaffee und Kartenspiel treffen und am Freitagabend finden bei uns die Freitagsgespräche statt“, sagt Riza Sari. Dort diskutiere man dann über Gott und die Welt und lade regelmäßig auch Gesprächspartner aus Politik und Gesellschaft ein.

Dass die Aleviten dabei keine Berührungsängste mit anderen Religionen haben, liegt für Sari in der Natur der eigenen Religion begründet. "Wir haben kein Problem mit dem interreligiösen Dialog. Ich kann als Alevit ganz locker sagen, ich liebe Jesus genauso wie Mohammed.“ Wenn alles wie ge-plant verläuft, kann er ab Mai das Gespräch mit den anderen Religionen als Pressesprecher der 13. in Österreich anerkannten Religionsgemeinschaft führen.

Der Autor ist Assistent an der Wiener Evang.-Theol. Fakultät

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