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Alle Modelle sind veränderlich

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In der Einleitung („Hat die Kirche eine eigene Soziallehre?“) wird vom \utor mit Recht festgehalten, daß ;ich die Soziallehre der Kirche auf liner sittlichen Ebene bewegt und m einzelnen auf Grund einer Pro- ;rammierung durch das Gewissen zu raktizieren ist. Wenn gesagt wird, 1 laß die Soziallehre der Kirche sich ; :1s konkrete Beurteilung veränder- ! icher Probleme entfaltet (S. 11), also Fakten die Beurteilung festlegen, ist . lamit noch nicht gesagt, daß die ’robleme, die von der Kirche ver- ] mittels des Lehrinstruments der i Enzykliken beurteilt werden, die : lumme aller möglichen Probleme j sind; sie sind Ausschnitte aus einer beurteilungsreif gewordenen Wirklichkeit. Sehr wesentliche Ausschnitte. Aber nicht alles. Ebensowenig kann vermutet werden, daß Enzykliken dazu bestimmt sind, Regeln für den technischen Ausbau der irdischen Ordnung zu geben oder auch nur anzubieten (S. 11). Selbst die Modelle sind nicht unveränderlich (S. 15). Jedes Modell dient bereits der Vorbereitung des nächsten Modells. Wäre es anders, hätte das, was wir als christliche Ordnung kennzeichnen, den Charakter einer abgestorbenen Struktur; es wäre ein Skelett.

Am Beispiel der Eigentumsfrage

Wo wird beispielsweise die dritte Eigentumsordnung zwischen jenen Ordnungen, die man als „privat“ bezeichnet, und der sogenannten kollektivistischen, eindeutig in den

Enzykliken beurteilt? Die Erscheinungsweisen des Konzerneigentums etwa. Noch ist das angedeutete, für den Aufbau unserer Gesellschaft sehr wesentliche Problem für eine Enzyklika nicht reif. Daher erfolgt auch noch keine eindeutige und pädagogisch verwertbare Beurteilung durch eine Enzyklika. Wenn auch das Privatunternehmen „das Kernstück des katholischen Sozialdenkens auf wirtschaftlichem Gebiet ist“ (S. 57): Was bedeutet „privat“? Soll es nur „nichtstaatlich“ heißen oder anzei- gen, daß ein Vermögenskomplex lediglich dann einen privaten Eigentümer hat, wenn dieser mit einer physischen Person identisch ist?

Wer kann uns sagen, welchen eindeutigen und auf Kursebene lehrbaren Inhalt dem Begriff des „Gemeinwohles“ zuzuordnen ist? Wie soll man die Definition: „Inbegriff gesellschaftlicher Voraussetzungen“ (S. 122) verstehen und gemeinverständlich lehren?

Welche eigenartige Wortdeutung hat sich um den Ausdruck „Berufständische Ordnung“ entwickelt, und dies in einer Zeit, die durch industrielle Fertigung und die progressiv wachsende Produktion von im Mittelalter weitgehend unbekannt gewesenen Dienstleistungen bestimmt ist. Wenige erkannten, daß es sich bei Forderungen nach Konstitution einer korporativen Ordnung um völlig Neues gehandelt hat; nicht um die Rekonstruktion von Berufskorporationen, die mit den heutigen Berufsbildern kaum abgestimmt werden können (S. 169), sondern tatsächlich um den Hinweis des Papstes darauf, daß neben den Extremdarstellungen des absolut gesetzten Individualismus und des egalisierenden Kollektivismus stets eine genossenschaftliche Verfahrungs weise des Wirtschaftens bestanden hat. Und daß diese am ehesten der menschlichen Natur entspricht, die ein Unfertiges, ein „Entwurf“ ist, welcher der Solidarität des Milieus bedarf.

Fragen, die zur Beurteilung nicht reif sind

Was heißt daher Kapitalismus? Handelt es sich um eine Denkweise? Oder um eine Organisationsweise der Wirtschaft, um eine besondere Darstellungsform des Einsatzes persönlichen Eigentums an Produktionsmitteln, insoweit diese in der betrieblichen Größenordnung der Fabrik genutzt werden?

Was kann die Kirche Definitives zum Klassenkampf sagen, den sie zwar — und dies neuerlich aus dem Mund von Paul VI. — ablehnt, den es aber angesichts einer nun einmal gegebenen Klassengesellschaft aus deren Natur heraus gibt. Der Klas- senkampf des 19. Jahrhunderts nach den berühmt gewordenen Schilderungen Friedrich Engels hat aber fine andere Struktur als der inner- sozialistische Klassenkampf im Dsten. Daher ist es kaum möglich, line Aussage über den Klassen- campf zu formulieren!

Anderseits gibt es neben den zeit- md ortsgebundenen Thesen der Sozialenzykliken das Sittengesetz, las sich unter Hinzuziehung der Sozialtheologie für eine Gesamtdar- itellung dessen, was die Kirche zum Sozialen auszusagen hat, anbietet. Ceinesfalls sollten aber die Sozial- Enzykliken so weit strapaziert wer- len, daß man sie in jeder sozial vesentlichen Situation als Grund- age für eine Beurteilung heran- ieht. Oder gar für eine Verurtei- ung.

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