Alltag raus, Orden rein

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In die Wand ihres Alltags wollen sie ein zeitlich begrenztes Fenster einsetzen: Frauen und Männer, die beim Projekt Freiwilliges Ordensjahr mittun wollen.

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In die Wand ihres Alltags wollen sie ein zeitlich begrenztes Fenster einsetzen: Frauen und Männer, die beim Projekt Freiwilliges Ordensjahr mittun wollen.

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Als Silvia das Internet auf der Suche nach einer Auszeit in einem Kloster durchstöberte, stieß sie auf die Website ordensjahr. at. Silvia ist 40 Jahre alt und verheiratet. Sie schreibt ein kurzes E-Mail an die dort genannte Ordensfrau Ruth Pucher und bekundet darin ihr Interesse. Wenige Tage später sitzt Silvia bereits mit Schwester Ruth, der Organisatorin des Ordensjahres, zu einem Erstgespräch zusammen. Ruth Pucher ist Angehörige der "Missionarinnen Christi", Ordensentwicklerin und Kunsthistorikerin. Als Projektleiterin des Ordensjahres bringt sie zwei Gruppen zusammen: Menschen, die eine Zeitlang in einer Gemeinschaft leben wollen, und Orden, die ihre Gastgeber sind. "Ich bin so eine Art Partnervermittlungsbüro", lacht Schwester Ruth.

Können wir miteinander?

Ruth Puchers Arbeitszimmer im Wiener Kardinal König Haus ist übersichtlich. Alles hat seinen Platz. Hier laufen die Fäden des Freiwilligen Ordensjahres zusammen. Schwester Ruth ist vom Projekt überzeugt. Im September geht es los. Seit Monaten füllt sie Ringordner mit Anfragen, mit Bewerbungen von Interessierten und Angeboten von Ordenshäusern. "Ich spreche mit jedem, der sich für eine Auszeit in einem Orden interessiert, persönlich", versichert Schwester Ruth. Knapp 20 Einzelgespräche hat sie bisher geführt, zwei Drittel waren Frauen, ein Drittel Männer - im Alter zwischen 25 und 75 Jahren. Gemeinsam werden die Chancen und Risiken abgewogen. "Lohnende Gespräche", stellt sie fest. Sie bekomme viel mit und entwickle ein Gespür, wen sie wohin vermitteln kann. Eine anspruchsvolle Aufgabe: Die Teilnehmer sind Teil der jeweiligen Ordensgemeinschaft. Sie binden sich aber nicht daran.

"Leider musste ich schon einige Interessierte enttäuschen und zurücklassen", gibt Schwester Ruth Pucher zu. Diejenigen aber, die in das Projekt aufgenommen wurden, sind gleich von Beginn des Freiwilliges Ordensjahres an dabei, freut sich die 43-Jährige.

Beide Partner gewinnen

Rund 25 Frauen- und sechs Männergemeinschaften sind fixe Partner des Freiwilligen Ordensjahres, andere überlegen aber noch.

Schwester Beatrix Mayerhofer, Präsidentin der Vereinigung der Frauenorden Österreichs, ruft die Ordensgemeinschaften auf, diese Gelegenheit zu nutzen: "Mit jedem konkreten Menschen kommt Neues. Das können die Gemeinschaften als Chance begreifen."

Die Gäste von außen sollen im Ordensjahr nicht nur das Leben in den Konventen bereichern, sondern auch den Ordensauftrag begreifen. "Ich bin fest überzeugt, dass es hier zu vielen tiefen und prägenden Erfahrungen kommt", stellt Abtpräses Christian Haidinger, Vorsitzender der Männerorden Österreichs, fest.

Teilnehmen lassen - teilnehmen dürfen, Rucksack gepackt voller Erfahrungen: Ältere Menschen betreuen, Flüchtlinge begleiten, im Krankenhaus helfen oder in der Gärtnerei arbeiten - vielfältige Aufgaben warten auf die Gäste. Mindestens 30 Stunden in der Woche sollen sie in den jeweiligen Einrichtungen mitwirken. "Es ist kein Urlaub, sondern echtes Mitleben. Es begegnen sich zwei Welten, die sich gegenseitig etwas zu sagen haben, die sich gegenseitig in den Fragen nach der Zukunft unterstützen können", sagt Ruth Pucher. "Die Orden öffnen sich bewusst für jedes Alter."

Bewerberinnen, Bewerber und Gemeinschaften sollen gut harmonieren. Schnuppertage gehören dazu. Sie sollen das gegenseitige Kennenlernen erleichtern, das Vertrauen vertiefen. Nach diesen Tagen sollen der Teilnehmer und der Orden zum Schluss kommen: Wir gehören zusammen - oder eben nicht. Wenn ja, wird die Zusammenarbeit durch einen Vertrag, der Punkte wie die Finanzierung, Arbeitsleistung, soziale Absicherung und Urlaub festlegt, schriftlich vereinbart.

Junge Menschen können das Ordensjahr etwa auch im Rahmen des Freiwilligen Sozialen Jahres absolvieren. Sie erhalten dafür ein Taschengeld. Diejenigen, die für das Ordensjahr eine Bildungskarenz bekommen und bereits über ein monatliches Einkommen verfügen, sollen sich -je nach finanzieller Situation - an den Kosten beteiligen. Jene, die über kein Einkommen verfügen, werden von der Einrichtung geringfügig angestellt.

Getragen von vier Säulen

Das Freiwillige Ordensjahr beruht auf vier Säulen:

Die Ordensjahr-Teilnehmer leben in der Gemeinschaft mit, nehmen an den Gebeten und am Gemeinschaftsleben teil.

Sie engagieren sich beruflich und ehrenamtlich in den jeweiligen Einrichtungen des Konvents.

Sie bilden sich im Rahmen des Ordensjahres laufend weiter, reflektieren das Erlebte - zwei Tage pro Quartal sind dafür vorgesehen.

Sie setzen sich einmal im Monat mit einer Vertrauensperson im Orden zusammen.

Schwester M. Barbara Lehner, Generaloberin der Elisabethinen, kann im Gespräch mit der FURCHE ihre Freude nicht verbergen. Gespannt wartet sie schon auf die erste Ordensjahr-Teilnehmerin. Sie wird in der Klausur wohnen, gemeinsam mit den anderen die Mahlzeiten einnehmen und am Gebet teilnehmen. "Es tut unserer Gemeinschaft bestimmt gut", meint sie. Die Teilnehmerin erlebt hier die franziskanische Gastfreundschaft: "Gemeinsam mitleben, teilnehmen lassen, teilnehmen dürfen".

Eine heiße Sache

Die Idee zum Freiwillige Ordensjahr entstand im Jahr der Orden 2015. Ruth Pucher griff frühere Erfahrungen, Überlegungen und Ideen auf und entwickelte daraus ein Konzept: "Es ist wichtig, Zukunftsansätze für die Orden zu starten." Sie zog sich in das Haus der Stille bei Graz zurück, sprach mit Menschen, durchstöberte das Internet.

Für den Markt-und Jugendkulturforscher Bernhard Heinzlmaier ist das Freiwillige Ordensjahr "ein ganz heißes Angebot", heute, da "alles zu kalt, zu schnell und zu laut ist". Die österreichischen Ordensgemeinschaften bieten damit ein wertvolles Kontrastprogramm und die Möglichkeit, "in sich hinein zu hören" und den eigenen Ursprung zu finden, so Heinzlmaier.

Schwester Ruth Pucher dazu: "In vielen Ordensgemeinschaften hat die Bewerbung zum Ordensjahr einen Prozess ausgelöst, der das eigene Potenzial für die Zukunft anfragt." Im September geht es los. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer und die Ordensgemeinschaften, die am Ordensjahr teilnehmen, kommen nach Salzburg zu einem ersten Austauschwochenende.

Interessierte können sich aber jederzeit bei Schwester Ruth Pucher bewerben und auch unterm Jahr einsteigen, versichert sie. Nach einem Jahr endet aber für jede Teilnehmerin, für jeden Teilnehmer das Ordensjahr.

Schwester Ruth Pucher hofft auf mindestens fünf Teilnehmer beim ersten Zusammentreffen. "Beim Austauschwochenende sollen wir nicht im Viereck, sondern schon im Kreis sitzen."

"Das Handy nehme ich natürlich mit", sagt Silvia. Der Kontakt mit ihrer Familie, die ihre Entscheidung mitträgt, bleibt lebendig. Einmal im Monat verbringt sie ein Wochenende zu Hause. Da dreht sich die Sache um: raus aus dem Ordensalltag, rein in den Familienalltag.

Weiterführende Infos zum Ordensjahr:

Schwester Ruth Pucher

pucher@kardinal-koenig-haus.at

www.ordensjahr.at

Diese Seite entstand in Kooperation mit den Ordensgemeinschaften Österreichs. Die redaktionelle Verantwortung liegt bei Der Furche.

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