Als Aaron geboren, als Jean-Marie Brücken zu Juden gebaut

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Die jüdische Religion ist für uns nicht etwas, Äußerliches', sondern gehört in gewisser Weise zum, Inneren' unserer Religion:, Ihr seid unsere bevorzugten Brüder und, so könnte man es sagen, unsere älteren Brüder.' (Papst Johannes Paul II.)" Mit diesen Worten beschwor Kardinal Lustiger bei seinem letzten Wien-Besuch das christlich-jüdische Verhältnis. Am 30. Oktober 2005 sprach der schon von seiner schweren Krankheit gezeichnete Kirchenmann beim - von der Furche mitveranstalteten - Symposium zum 40. Jahrestag von Nostra Aetate, jener Erklärung des II. Vatikanums, welche das Verhältnis der katholischen Kirchen zum Judentum revolutionierte. Am vergangenen Sonntag ist Lustiger in einem Pariser Hospiz seinem Krebsleiden erlegen.

Dass der Alterzbischof von Paris nicht nur eine Kirchenpersönlichkeit war, bewiesen auch Stellungnahmen wie jene von Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, der Lustiger als "große Persönlichkeit des spirituellen, moralischen, intellektuellen und natürlich des religiösen Lebens unseres Landes" bezeichnete. Immerhin war Lustiger, der auch über 20 Bücher verfasst hatte, Mitglied der Académie Française.

Als Aaron Lustiger wurde er, Sohn polnischer Juden, die vor antisemitischen Verfolgungen nach Frankreich geflohen waren, 1926 in Paris geboren. Mit 14 Jahren konvertierte er zum Katholizismus und nahm den Namen Jean-Marie an. Seine Mutter wurde zwei jahre später nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Nach seiner Priesterweihe 1954 wirkte Lustiger 15 Jahre als Universitätsseelsorger an der Sorbonne und den französischen Eliteschulen. 1979 ernannte ihn Johannes Paul II. zum Bischof von Orléans, zwei Jahre später zum Erzbischof von Paris. 1983 erhielt er den Kardinalshut. 24 Jahre - bis 2005 - leitete er die Erzdiözese Paris. Theologisch sehr konservativ, aber spirituell von großer Kraft und voller Erneuerungsgeist, prägte er seine Diözese und die Kirche Frankreichs. 1981 gründete er den katholischen Radiosender Notre Dame - und wurde hier wie in vielen anderen Bereichen zum Vorbild und Freund des Wiener Erzbischofs Christoph Schönborn. Gemeinsam mit ihm und den Kardinälen von Lissabon und Brüssel propagierte er die Idee der "Stadtmission", die ihre erste Station 2003 in Wien machte.

Lustigers jüdische Herkunft ließ ihn unablässig an der Versöhnung zwischen der katholischen Kirche und dem Judentum arbeiten. Anfang 2005 schickte ihn der todkranke Johannes Paul II. als seinen persönlichen Vertreter zum 60-Jahr-Jubiläum der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau.

2005, bei seinem Wienaufenthalt, legte Lustiger auch gegenüber der Furche klar, wie er die Geschichte des christlichen Antijudaismus interpretierte: "Der Jude wurde zum unbewussten, unbekannten Anderen, den man hinausjagen kann: So wurde der christliche Antisemitismus ein geistliches Problem innerhalb des christlichen Bewusstseins." Die "Kehrtwende" der katholischen Kirche gegenüber den Juden war für ihn daher keine theologische, sondern eine "geistliche" Frage. Lustiger: "Es ging um die Treue zu Christus. Das Konzilsdekret, Nostra Aetate', das die Haltung der katholischen Kirche zum Judentum neu definierte, war für die katholische Kirche wichtiger als die Konstantinische Wende des vierten Jahrhunderts." ofri

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